Der herkömmliche Ansatz, Therapien durch die Anwendung von Leitlinien zu standardisieren und zu verbessern, greift bei multimorbiden Patienten nur bedingt. Das IT-Schlüsselthema überführt daher medizinische Leitlinien in computer-interpretierbare Leitlinien (Computer-Interpretable Guidelines – CIGs), so dass diese auf spezifische Patienten zugeschnitten und interpretiert werden können. Ziel ist es, daraus konkrete Empfehlungen für multimorbide Patienten abzuleiten.
Schätzungen gehen davon aus, dass bei 13 bis 15 Prozent der Patienten gleichzeitig mehrere Erkrankungen bestehen. Diese Patientengruppe verursacht einen überproportionalen Anteil der Gesundheitsausgaben. Dies gilt vor allem für chronische Erkrankungen, die eine dauerhafte oder wiederkehrende medizinische Behandlung erfordern. Im Zuge des demografischen Wandels wird der Anteil an Patienten mit Mehrfacherkrankungen weiter wachsen. Chronische Krankheiten und Multimorbidität zählen in Deutschland zu den gesundheitsökonomisch bedeutsamsten Problemen.
Mehr als nur Leitlinien
Der herkömmliche Ansatz, Therapien durch die Anwendung von Leitlinien zu standardisieren und zu verbessern, greift bei multimorbiden Patienten nur bedingt. Die Empfehlungen der evidenz- und konsensbasierten medizinischen Leitlinien beziehen sich in der Regel nur auf eine Erkrankung. Die fallspezifische Bewertung der Empfehlungen der unterschiedlichen Leitlinien benötigt mehr Zeit, als Ärzte im klinischen Alltag haben.
Im Rahmen der Entscheiderfabrik 2018 wurde die Entwicklung eines Clinical Decision Support Systems (CDSS) für multimorbide Patienten beziehungsweise Patienten mit komplexen chronischen Erkrankungen zu einem der fünf IT-Schlüsselthemen in der deutschen Gesundheitswirtschaft gewählt.
Die Entwicklung baut auf dem bereits existierenden Arezzo Clinical Decision Support-Framework von Elsevier auf. Mit Hilfe der Arezzo-Technologie können medizinische Leitlinien in computer-interpretierbare Leitlinien (Computer-Interpretable Guidelines – CIGs) überführt und dann computer-gestützt, im Hinblick auf spezifische Patienten, interpretiert werden, um diejenigen Empfehlungen zu identifizieren, die für den jeweiligen Patienten infrage kommen. Die Arezzo-Technologie von Elsevier nutzt hierzu einen deklarativen Ansatz der Wissensrepräsentation, um das Spezialwissen von Leitlinien und die Schlussfolgerungsfähigkeit klinischer Experten technisch nachzubilden. Das bedeutet, dass der Lösungsweg nicht algorithmisch vorgegeben ist, sondern nur mehr die Bedingungen definiert werden, die die Lösung des Problems erfüllen sollen. Deklarative Programme sind in der Regel effizienter zu programmieren als vergleichbare algorithmische Programme und besitzen Vorteile bei parallelen Berechnungen. Dieser Ansatz ist zur Bewältigung des komplexen Problems der Multimorbidität besonders geeignet.
Anwendungsfall 1
Darmkrebs ist in Deutschland die zweithäufigste Krebserkrankung. Das Durchschnittsalter bei Erstdiagnose liegt bei 65 Jahren – ein Alter, in dem viele Patienten bereits an anderen chronischen Erkrankungen leiden. Komorbiditäten beeinflussen die Therapieentscheidungen des Tumorboards. Im Projekt arbeitet Elsevier eng mit dem Team von Prof. Yon-Dschun Ko, Chefarzt der Internistischen Onkologie am Johanniter-Krankenhaus Bonn, zusammen, um den Prototyp eines Clinical Decision Support Systems speziell für die Unterstützung des Tumorboards bei multimorbiden Patienten mit Kolonkarzinom zu entwickeln. Inhaltlich basiert der Prototyp auf der S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom, krankenhauseigenen Formularen, Prozessbeschreibungen und Protokollen sowie iterativem Feedback durch das klinische Team.
Das Projekt-Team
- Prof. Dr. Yon-Dschun Ko, Ärztlicher Direktor, Chefarzt, Internistische Onkologie, Johanniter-Krankenhaus Bonn
- Dr. Martin Kaufmann, Oberarzt Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin, Robert-Bosch-Krankenhaus
- Prof. Dr. Yvonne Weber, Ltd. Oberärztin Neurologie, Universitätsklinikum Tübingen
- Laura Zwack, Product Director Clinical Solutions DACH, Wissenschaftsverlag Elsevier
- Meik Eusterholz, Geschäftsfeldleiter & Prokurist, UNITY AG