Alle warten auf die große Krankenhausreform, die Minister Karl Lauterbach versprochen hat. Doch die Synchronisierung von Krankenhausplanung, -finanzierung und -struktur ist eine Herkulesaufgabe. Eine Annäherung in zehn Punkten.
Alle scheinen sich einig zu sein: Krankenhausplanung und -finanzierung müssen irgendwie „neu“ gedacht werden. Aber wie es denn künftig gehen soll, darin unterscheiden sich die Ansätze erheblich. Ist weiterhin Raum für alle heutigen Anbieter da? Woher kommt das Geld, das für Investitionen und Betrieb notwendig sein wird? Die Kassen – nicht nur die Krankenkassen – sind strapaziert, wie viel bleibt für die Daseinsvorsorge der Zukunft? Wie passt die intendierte Auflösung von Sektorengrenzen zu all dem? Nicht alle Fragen lassen sich beantworten, ein paar Ansätze sollen aber skizziert werden.
Eine stationäre Strukturreform ist komplex, vermutlich wird das „Produkt“ nie wirklich fertig sein. Ein Gesundheitssystem muss sich entsprechend dem medizinischen Erkenntnis- zuwachs und den gesellschaftlichen Entwicklungen stetig weiterentwickeln. Schon aus der Luftfahrt weiß man: Ein vollkommen starrer Flügel bricht in Turbulenzen. Und die sind im Gesundheitsbereich sicher, nicht nur in Form von Pandemien. Es klingt ein wenig widersprüchlich: Anpassungsfähigkeit ist ein wesentliches Kriterium für die Stabilität. Grundsätze und Zielsetzungen haben dabei Bestand. Eine stetige und professionelle Begleitung der System(fort)- entwicklung ist die Konsequenz.
Eine sehr zügige Neuausrichtung des stationären Sektors ist nicht zu erwarten, ein vollständiges Umkrempeln geht nicht mal eben so. Wir beginnen aber auch nicht auf der grünen Wiese. Gerade deshalb sind – auch politisches – Durchhaltevermögen und „Power“ erforderlich, nicht zuletzt auch finanziell. Ohne starke Investition geht nicht viel.
Ein genauerer Blick zeigt ein bereits hohes Maß an Evidenz bezüglich der Notwendigkeiten. Das eine oder andere wurde bereits umgesetzt. Der für eine Strukturreform erforderliche lange Atem hat in den vergangenen Jahren jedoch gefehlt. Einige Aspekte werden im Folgenden benannt.
1. Bund und Länder gemeinsam
In unserem föderalen System ist die Krankenhausplanung Aufgabe der Länder. Daraus erwächst auch die Verpflichtung, die Investitionskosten zu finanzieren – eine Verpflichtung, die die Länder bereits seit langer Zeit nicht mehr erfüllen, in der Ausprägung unterschiedlich je nach Bundesland, aber nirgendwo ausreichend.
Wenn zeitgemäße Strukturen das Ziel sind, benötigen wir Investitionsmittel in erheblicher Höhe. Die Länder werden diese nicht allein aufbringen können, der Bund muss sich beteiligen. Sonst wird es nicht zu wirklichen Reformen kommen, allenfalls zu kleinen Modifikationen wie bisher. Werden Bundesmittel in relevantem Umfang zugesteuert, ergeben sich daraus Beteiligungsrechte des Bundes an der inhaltlichen Gestaltung. Dies bedeutet keineswegs, dass die Planung der Krankenhausstrukturen nicht primär auf regionalen Bedarfen beruhen muss. Die Einhaltung bundesweit verbindlicher Minimalstandards ist aber bei der Gestaltung einer zeitgemäßen Struktur nicht Menetekel, sondern Erfordernis. Basis sind dabei Erkenntnisse aus Medizin und Wissenschaft.
2. Qualität und Wirtschaftlichkeit
Eine bezüglich des Ergebnisses gelungene Behandlung ist zunächst einmal gut für den Patienten. Sie ist aber auch gut unter Wirtschaftlichkeitsaspekten: Werden Reoperationen vermieden, wird von verschiedenen Therapieoptionen die richtige ausgewählt, dann hat dies aber ebenso positive Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit.
Illusorisch wäre die Annahme, die einzelne Krankenhausbehandlung würde künftig weniger kosten. Effekte ergeben sich allerdings aus einer medizinisch sinnvollen Verlagerung vieler Krankenhausaufenthalte in die ambulante Versorgung. Dass das Know-how, die Infrastruktur eines Krankenhauses, dabei von Nutzen sein kann, ist klar. „Ambulant mit den Mitteln eines Krankenhauses“ könnte eine neue Kategorie im Leistungskatalog heißen. Es ist nicht sinnvoll, bisher stationär erbrachte Behandlungen, die eine hohe Spezialisierung voraussetzen, generell für den ambulanten Bereich zu öffnen.
3. Politische Verantwortung
Menschen, die eine hohe Gesundheitskompetenz haben, die sich in unserem Versorgungssystem auskennen oder aber entsprechende Experten kennen, gehen bei einer komplexen Krankenhausbehandlung nicht einfach in das nächste Krankenhaus.
Die meisten Bundesbürger verfügen aber nicht über solche Beziehungen. Die Transparenz bezüglich unterschiedlicher Versorgungsqualität ist – und bleibt auf absehbare Zeit – für den „normalen“ Bürger eng begrenzt. Politische oder gesellschaftliche Verantwortung muss danach streben, dass alle Bürgerinnen und Bürger gleiche Gesundheitschancen haben. Dazu gehört für die „Beziehungslosen“ die Verbesserung der Wahrscheinlichkeit, in ein Krankenhaus zu gelangen, das die Voraussetzungen für eine exzellente Behandlung bietet. Die Notwendigkeit zu einer dezidierten Krankenhausplanung folgt unmittelbar aus politischer Verantwortung.
Die bisherige Krankenhausplanung hatte kaum Steuerungs- und Versorgungsrelevanz. Eine Orientierung an Leistungsbereichen und Leistungsgruppen wie in Nordrhein-Westfalen (NRW) hat nun das Potenzial, eine solche zu entwickeln, und widersetzt sich zudem der aktuellen Fragmentierung der Leistungen. Unseres Erachtens ist sie eine geeignete Methodik, nicht nur für NRW, sondern bundesweit.
4. Stadt und Land ergänzen sich
Findet stationäre Versorgung künftig nur noch in Städten statt? Wie lang ist künftig der Weg ins Krankenhaus? Manche der publizierten Modellrechnungen bezüglich der Anzahl notwendiger Krankenhausstandorte lösen bei undifferenzierter Betrachtung Ängste aus. Diese werden manchmal instrumentalisiert, ob aus Oppositionsreflex, ob aus Gründen der „Besitzstandswahrung“, egal.
Wichtig daher: Die Versorgung in der Fläche wird verbessert, nicht verschlechtert. In Notfällen muss ein Krankenhaus in vertretbarer Zeit erreichbar sein, nicht nur in der Stadt. Es nützt aber nichts, wenn das angefahrene Krankenhaus die erforderlichen Behandlungen nicht beherrscht, entsprechend qualifiziertes Personal nicht vorhält oder schlicht überfordert ist. Auch heute gilt bereits: Ein paar Minuten länger in einem gut ausgestatteten und kompetent besetzten Rettungswagen sind oft gut investiert, um eine adäquate Behandlung zu erhalten. Entscheidend ist eine optimale Versorgungskette, dazu gehört mehr als das Krankenhaus.
5. Veränderte Rollen
Nach Ertüchtigung der verbleibenden Standorte könnte man rein unter Bedarfsdeckungskriterien eine große Anzahl von Kliniken schließen. Die derzeit bescheidene Förderung der Investitionsmittel könnte auf weniger Standorte konzentriert werden, erhöht werden muss sie trotzdem. Ärzte und Pflegekräfte würden in größeren Einheiten zusammengefasst – gut zum Beispiel für die Erfüllung von Mindestbesetzungsnormen. In einer Zeit des Fachkräftemangels ist eine gewisse Konzentration im Sinne der Qualität ein Mittel der Wahl. Dafür gibt es international hinreichend Evidenz; eine qualitative Überlegenheit des eher kleinteilig orientierten deutschen stationären Versorgungssystems lässt sich jedenfalls nicht belegen. Und unzumutbare, medizinisch problematische Entfernungen würden in Deutschland ohnehin nicht entstehen, wären gesellschaftlich nicht durchsetzbar.
Trotzdem wäre es aus Akzeptanzgründen schwierig, einfach eine große Zahl von Standorten zu schließen. Ein Standort, der stationäre Leistungen nicht mehr oder in geringerem Umfang anbietet, muss nicht ersatzlos verschwinden. Wir haben in Deutschland einen Mangel an hoch spezialisierten, multidisziplinär ambulanten Zentren sowie ein großes Verlagerungspotenzial von stationär in Richtung ambulant. So können viele bisherige Krankenhäuser in modifizierter Rolle als Gesundheitsstandorte weitergeführt werden. Kurzstationäre Behandlungen, Pflegeleistungen oder Ähnliches ließen sich integrieren. „Ambulant mit den Mitteln eines Krankenhauses“ ist vielleicht eine treffendere Bezeichnung als der im Koalitionsvertrag genannte Begriff „Hybrid-DRG“. Wir sollten bewusst entscheiden, ob das heute noch stationär versorgte Spektrum künftig generell für alle geöffnet werden sollte oder ob wir hierauf ein neues Rollenmodell für bisherige stationäre Einrichtungen begründen wollen. Dafür bedarf es jedoch einer klaren wirtschaftlichen Perspektive.
6. Effiziente Personalplanung
Einfach Pflegekräfte aus dem Ausland zu akquirieren, wird den sich abzeichnenden Personalmangel nur lindern, nicht beheben. Gleichzeitig scheinen „körpernahe“ Berufe nicht an Attraktivität zu gewinnen – ob man diesen scheinbaren Trend umkehren kann, ist offen. Allein die Gehaltshöhe wird das Problem nicht lösen. Die Technik kann vieles erleichtern, sicher ist: Auf eine persönliche Zuwendung für den Kranken wollen wir nicht verzichten. Das wäre inhuman und unethisch.
Was eine stärkere Konzentration von Standorten aber mit sich bringt, sind Synergien. Sie ermöglicht effizientere Mindestbesetzungen, leichtere Spezia-lsierungen und ein besseres Verkraften von Personalausfällen – nicht nur in Pandemien. Eine Institution wird robuster gegen Krisen. Ein Argument für eine Krankenhausplanung, die eine Konzentration fördert.
7. Resistenz gegen Pandemien
Covid-19 hat zu schizophrenen Situationen geführt: Überlastungen an einer Stelle, Leerlauf an anderer. In vielen Kliniken hat die gegenseitige Unterstützung gut funktioniert, auch in einigen Regionen gab es gute Beispiele. Aber vielfach eben auch Koordinationsmängel, Stress hier, Abbummeln von Urlaub wegen rückläufiger Eingriffe dort. Kein Vorwurf, man konnte nicht alles vorhersehen. Und sicher, viele Akteure haben einen exzellenten Job gemacht.
Es geht jetzt darum, aus Erfahrungen zu lernen. Ist es möglich, eine Intensivreserve auszubilden? Gelingt es, Kliniken in Bedarfssituationen schneller auf ein Spezialgebiet auszurichten? Wer koordiniert auf Basis welcher Daten? Starre Vorhaltungen scheinen mit Blick auf volatile Entwicklungen nicht die richtige Antwort zu sein. Eine fachkundig besetzte Kommission sollte die letzten zwei Jahre aufarbeiten und Konsequenzen vorschlagen.
8. Kooperation statt Lagerdenken
Sortieren wir die Sektoren neu und reißen Grenzen ein – dann beginnt ein Verteilungskampf: Wer bekommt was? Kooperation gibt es zwischen den Akteuren vor Ort, mit echter Kooperation zwischen den beteiligten Organisationen und Institutionen tun wir uns schwer. Ich plädiere hier in dem Bewusstsein, mir nicht nur Freunde zu machen, dafür, das, was im Koalitionsvertrag „Hybrid-DRGs“ heißt, als „Am- bulant mit den Mitteln eines Krankenhauses“ umzusetzen. Dies bedeutet, bisher stationär erbrachte, aber ambulant mögliche Eingriffe im Wesentlichen für die Krankenhausstandorte zu reservieren, die sich ganz oder teilweise aus der stationären Leistungserbringung zurückziehen. Kooperationen mit Niedergelassenen sind möglich, sogar erwünscht – aber eine Art „Recht des ersten Zugriffs“ sollte bei den Klinikstandorten liegen. Ansonsten wird ein Weiterbetrieb dieser Gesundheitsstandorte auch wirtschaftlich nur schwer möglich sein.
9. Die Frage nach dem Budget
Wie jedes denkbare Vergütungssystem so hat auch das DRG-System bei allen Qualitäten einige Fehlanreize. Lange Jahre war es der Umstand, dass die Pflege nicht erlösrelevant war, der sie zum reinen Kostenfaktor abwertete. Eine wahrgenommene Verschlechterung der Pflegesituation für Patienten und Pflegekräfte rief die Politik auf den Plan, das Pflegebudget war die Folge. Gut gemeint, schlecht gemacht – der Rückstand bezüglich der Budgetabschlüsse ist ganz wesentlich auf massive Konstruktionsfehler zurückzuführen. Wir haben im Oktober 2021 mit einem Gutachten des Institute for Health Care Business (Professor Boris Augurzky) als Alternative eine Finanzierung tatsächlich geleisteter Pflegeminuten vorgeschlagen – dies auch im Gegensatz zu der Finanzierung fiktiver Bedarfe in dem als „PPR 2.0“ bekannten Modell. „Echte“ Pflege wird erlösrelevant.
Eine zweite Modifizierung ist ebenfalls sinnvoll: Ein Vorhaltebudget, das einen Teil der Fixkosten eines (bedarfsnotwendigen) Krankenhauses unabhängig von der Leistungsmenge finanziert. Ein solches System wäre kompatibel zu einer leistungsbezogenen Planung wie in NRW. Es reduziert Mengenanreize, ohne Effizienzanreize abzuschaffen. Die Höhe des Vorhaltebudgets wäre populationsbezogen in Anlehnung an den Risikostrukturausgleich zu bestimmen, eine Differenzierung nach Leistungs- bereichen oder Versorgungsstufen wäre möglich.
10. Die Rolle der Politik
Das alles ist komplex und nicht „aus dem Handgelenk geschüttelt“ umsetzbar. Es erfordert ein Denken jenseits von Wahlterminen und benötigt nicht nur eine gewisse politische, sondern auch gesellschaftliche Geschlossenheit. Diskussionen, auch im Parlament, sind wichtig für die Entwicklung. Das Ringen nach der besten Lösung soll und darf nicht unterbunden werden. Gelingt es, auf Polemik zu verzichten, persönliche Angriffe zu unterbinden, latente Ängste der Bevölkerung nicht zu instrumentalisieren? Dies ist unser aller Verantwortung. Nur wenn wir sie wahrnehmen, ist die Entwicklung eines konsistenten und zeitgemäßen ambulant-stationären Versorgungssystems möglich. Ansonsten bleiben wir bei Stückwerk und unter unseren Möglichkeiten.
Dieser Beitrag erschien in der f&w-Sonderausgabe zum Krankenhaus-Controllertag 2022 am 7./8. Juli.
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