Die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) hat ein Ziel. Sie will den informierten Patienten, der sich aktiv um die Therapie seiner Erkrankung kümmert und gemeinsam mit dem Arzt die erforderlichen Entscheidungen für seine Behandlung trifft. Mit einem in den USA und Großbritannien erfolgreichen Ansatz hat die KKH Mitte des Jahres ihr Gesundheits-Coaching begonnen.
Das „Patient-Empowerment"-Programm läuft unter dem Namen „KKH-Versorgungsmanagement". In zwei neuartigen Versorgungszentren in den Pilotregionen Halle und München arbeiten achtzehn speziell geschulte medizinische Fachkräfte mit Erfolg: Nach nur drei Monaten hat die KKH bereits nahezu 1.000 Versicherte für das Programm gewonnen. Das ist jene Zahl, die als Minimum für das Jahresende 2007 angepeilt war, um aus dem Modellversuch eine dauerhafte Einrichtung zu machen. Ziel des Programms ist es, die Versorgung von Versicherten mit hohem therapeutischen Beratungsbedarf sektorübergreifend zu optimieren. Dazu werden die Patienten über einen Zeitraum von neun bis zwölf Monaten durch einen Gesundheits-Coach individuell und persönlich am Telefon betreut.
Entwickelt wurde das Konzept gemeinsam mit der Unternehmensberatung Accenture auf Basis des Health-Coaching-Ansatzes der amerikanischen Firma Health Dialog (HD), der in den USA und Großbritannien bereits seit zehn Jahren erfolgreich angewendet wird. Nachdem die aktuelle Gesundheitsreform neue Formen des Versorgungsmanagements ermöglicht, ist die KKH die erste Krankenkasse, die diesen innovativen Beratungsansatz in Deutschland eingeführt hat.
Mehr als Case-Management
„Die KKH hat sich Anfang 2006 mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit neben der klassischen Vorgehensweise, die Kosten eines Krankenhausfalles zu verringern, der Fallvermeidung ein stärkeres Gewicht zukommen sollte. Über unseren Partner Accenture stießen wir dabei auf den Health-Coaching-Ansatz von Health Dialog", beschreibt Klaus Böttcher, Hauptabteilungsleiter Leistungs- und Vertragsmanagement bei der KKH und Treiber hinter dem neuen Ansatz, den Ursprung des innovativen Projektes. Böttcher betont, dass das Gesundheits-Coaching sich grundlegend von bisherigen Case-Management-Programmen unterscheide.
Bei Letzteren werde einseitig durch die Krankenkassen in den Versorgungsprozess eingegriffen, wohingegen beim KKH-Ansatz die Entscheidung für den besten Versorgungsweg stets beim Versicherten liege. Das Spektrum des persönlichen Coachings umfasst Informationen über die akute Erkrankung, Behandlungsalternativen sowie Empfehlungen zu präventiven Verhaltensweisen. Insbesondere geht es aber um die Koordination der unterschiedlichen Behandlungen, also beispielsweise beim Arzt, im Krankenhaus oder in der Reha. Der Versicherte soll in die Lage versetzt werden, eigenständig Entscheidungen zu treffen.
Dabei bleibt die Entscheidung für die Therapie dem Dialog zwischen Patient und Arzt vorbehalten, und auch die freie Arztwahl wird nicht eingeschränkt. Da die Möglichkeit gegeben sei, ein langfristiges Vertrauensverhältnis zu dem persönlichen Berater aufzubauen, könne der Patient neben medizinischen Informationen auch die häufig sehr wichtige seelische Unterstützung vom Coach erhalten, ergänzt Böttcher. Gemeinsam mit den ambulanten und stationären Kooperationspartnern der KKH könnten so unnötige Eskalationen der Gesundheitssituation – und damit auch deren kostenintensiven Folgen – vermieden werden.
Coaches beherrschen „Shared Decision Making"
Die in den Versorgungszentren tätigen Gesundheits-Coaches sind speziell ausgebildete Krankenschwestern und Krankenpfleger. Sie begleiten und beraten ihre Patienten über mehrere Monate in deren ganz persönlichen Lebenssituationen. Entscheidend für die Auswahl dieser KKH-Mitarbeiter ist eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit.
Vor Aufnahme ihrer Beratungstätigkeit durchlaufen sie ein von Accenture konzipiertes Trainingsprogramm in „Shared Decision Making".
Ziel der Trainingsmaßnahme: Die angehenden Gesundheits-Coaches sollen in die Lage versetzt werden, den Arzt-Patient-Dialog zu befördern, ohne diesen ersetzen zu wollen. Die konstruktive Zusammenarbeit mit den Ärzten sei der KKH sehr wichtig, sagt Böttcher, denn das Gesundheits-Coaching biete auch für den behandelnden Arzt viele Vorteile, da dieser in der Regel nicht die Zeit für den hohen Beratungsbedarf der Patienten aufbringen könne. Ebenso wenig könne der Arzt die richtige Medikamenteneinnahme zu Hause verfolgen oder nachhaltig zu mehr Bewegung und gesünderem Essverhalten motivieren.
Zu Beginn des Projektes, berichtet Böttcher, sei lange darüber diskutiert worden, inwieweit der Health-Coaching-Ansatz aus den USA nach Deutschland übertragbar sei. Insbesondere die Bereitschaft der Versicherten, sich auf das Coaching einzulassen, wurde kritisch gesehen. Die bisherigen Erfahrungen jedoch stimmten optimistisch: „Wir sind sehr positiv überrascht, dass so viele unserer Patienten das neue Konzept annehmen, und dass die meisten der bisher angesprochenen Leistungserbringer bereit sind, mit unseren Gesundheits-Coaches zu kooperieren." Der zuständige Projektleiter der KKH DirkHansen berichtet: „Heute, nur drei Monate nach Projektstart, haben bereits rund 1.000 Versicherte schriftlich ihre Teilnahme erklärt – also jeder zweite angesprochene Patient. Zudem bekommen wir zahlreiche Anfragen aus dem persönlichen Umfeld der Teilnehmer."
Für Böttcher steht der Fortsetzung des Programms somit nichts im Wege, „zumal auch die Reaktion der behandelnden Ärzte durchaus zustimmend ist". Zurückhaltend reagieren nach Böttchers Schilderung derzeit noch die Interessenverbände der Ärzte. Für sie sei es ungewöhnlich, dass sich eine Kasse so intensiv um die Patienten kümmere. Einzelne Krankenhäuser, die die KKH zum Thema „optimierte Nachbetreuung von Psychiatriepatienten" angesprochen habe, zeigten hingegen großes Interesse an einer Zusammenarbeit. Hauptargument sei hierbei die Verhinderung des sogenannten „Drehtür-Effektes". Das Fazit des KKH-Hauptabteilungsleiters: „Es funktioniert bei sensibler und intelligenter Vorgehensweise auch in Deutschland!"
Zielgruppen für das Gesundheits-Coaching
Das KKH-Versorgungsmanagement konzentriert sich auf drei Bereiche:
– Somatisch Erkrankte (Gesundheitscoaching)
– Psychiatriemanagement (Vermittlung und Organisation psychosozialer Betreuung, stationsersetzende Leistungen, Organisationsberatung)
– Pflegemanagement (Pflegeberatung, Einleiten der Begutachtung von Pflegeeinrichtungen, unterstützende Leistungen)
Um die für das Coaching-Programm infrage kommenden Patienten auszuwählen, nutzt die KKH spezielle analytische Vorhersagemodelle, die von der Unternehmensberatung Accenture auf Basis der konkreten Datensitua-tion in Deutschland und unter strenger Einhaltung der deutschen Datenschutzanforderungen entwickelt wurden. Diese Vorhersagemodelle ermöglichen die proaktive Patientenansprache zu einem Zeitpunkt des Krankheitsverlaufes, an dem kostenintensive Entwicklungen noch zu vermeiden sind.
Um die Teilnahmebereitschaft der Versicherten zu erhöhen, setzt die KKH ein aufwendiges, dreistufiges Anspracheverfahren ein:
1. Schritt: Persönliches Anschreiben mit Ankündigung eines Anrufes durch den Versorgungsmanager.
2. Schritt: Anruf des Gesundheits-Coaches und Frage, ob Interesse besteht, an dem Gesundheitsprogramm teilzunehmen – was 50 Prozent der Versicherten bestätigen.
3. Schritt: Übersendung weiterer Unterlagen einschließlich einer umfangreichen Datenschutzerklärung. Erst wenn diese zurückgeschickt wird, beginnt das eigentliche Coaching.