Mit der jüngsten Gesundheitsreform ist die Pharmaindustrie vergleichsweise glimpflich davongekommen. Das gilt vor allem für die forschende Arzneimittelbranche. Sie darf sogar Hoffnung schöpfen. Die Kosten-Nutzen-Bewertung für neue patentgeschützte Medikamente löst das bisherige Bewertungsverfahren ab, das allein auf den zusätzlichen Nutzen abstellte.
Von Michael Psotta
So hatte das für die Analyse zuständige Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zum Beispiel die Erstattungsfähigkeit des Kurzzeit-insulins Apidra verweigert, weil es angeblich gegenüber herkömmlichem Humaninsulin keinen entscheidenden Vorteil für den Patienten gebracht habe. Hersteller Sanofi-Aventis musste daraufhin befürchten, dass das ebenfalls in Frankfurt-Höchst entwickelte und produzierte Langzeitinsulin Lantus, einer der internationalen Kassenschlager des Konzerns, dasselbe Schicksal erleiden werde.
Durch die Gesundheitsreform sieht Sanofi-Aventis nun aber neue Chancen: Jetzt sei auch zu berücksichtigen, dass Lantus je Dosis zwar teurer als Humaninsulin sei, dafür aber nur einmal am Tag verabreicht werde. Zu den Vorgaben gehört auch, künftig internationale Standards zur Arzneimittelbewertung stärker heranzuziehen und das Kriterium zu beachten, ob ein Medikament nicht nur das Leben zu verlängern hilft, sondern auch zur Verbesserung der Lebensqualität beiträgt. Das wäre künftig ein Argument für das Kurzzeitinsulin Apidra, das Patienten wegen der verbesserten Aufnahme im Körper kurz vor der Nahrungsmittelaufnahme einnehmen können.
IQWiG und Industrie in Frontstellung
Fraglich bleibt indes, ob die neuen Vorgaben die bisherige Frontstellung zwischen der Pharmaindustrie und dem IQWiG aufweichen werden. So hat das Institut schon vorab erklärt, dass es bisherige Entscheidungen nicht revidieren, sondern die neuen Maßstäbe nur für neue Analysen heranziehen werde. Auch die Vorgabe, künftig internationale Standards heranzuziehen, scheint das IQWiG nicht sonderlich zu berühren, denn dies habe man schon bisher getan. Somit bleibt offen, ob die Gesundheitsreform letztlich die hohe Zahl der Gerichtsverfahren mit den Pharmakonzernen zu verringern hilft, die oftmals Folge der Einzelfallentscheidungen des IQWiG war.
Bedeutsam ist für die forschende Pharmaindustrie, dass für die Verschreibung von Arznei-Innovationen nicht, wie vorgesehen, in jedem Fall eine zweite ärztliche Meinung eingeholt werden muss, sondern nur bei besonders hohen Jahrestherapiekosten. Diese müssen zwar noch definiert werden, doch die geltende Formulierung ist für die In-dustrie schon jetzt ein klarer Vorteil gegenüber der ursprünglichen Fassung.
Für die Hersteller von Nachahmerprodukten (Generika) dürfte die entscheidende Wendung sein, dass Gesetzliche Krankenkassen künftig erheblich leichter Rabattverträge mit ihnen abschließen können. Für diese Verträge werden die Kassen vermehrt Ausschreibungen für einzelne Wirkstoffe starten. Dabei werden die großen Anbieter auf Dauer im Vorteil sein, da sie Preiszugeständnisse eher verkraften, sich also aggressiver in den Ausschreibungen verhalten können. Erhalten sie keinen Zuschlag, sind sie nicht unmittelbar in der Existenz gefährdet, wie diesAnbieter mit nur wenigen Produkten befürchten müssen.
Verschärfte Lage für Ausschreibungsverlierer
Verschärft wird die Lage für die Ausschreibungsverlierer dadurch, dass die Apotheken verpflichtet werden, nur diejenigen Medikamente auszugeben, für die Rabatte vereinbart worden sind, falls der Arzt nicht ausdrücklich ein anderes Medikament verschreibt. Inwiefern der Druck auf die Generikapreise nochmals zunimmt, wird erst die Praxis zeigen. Aber schon haben die Allgemeinen Ortskrankenkassen unter Federführung der AOK Ba-den-Württemberg Rabattverträge für 37 Wirkstoffe oder Wirkstoff-kombinationen mit elf Herstellern geschlossen und dabei Nachlässe gegenüber den bisherigen Preisen von bis zu 37 Prozent ausgehandelt.