Der Streit über Ausschreibungen für Krebsmittel durch die Krankenkassen gewinnt an politischer Brisanz. Am Mittwochvormittag bekundete eine breite Allianz aus Apothekerverbänden und Medizinern ihre Abneigung gegen diese Praxis. Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), verlangte im Rahmen einer Pressekonferenz, Ausschreibungen auf die Herstellerebene zu beschränken. Stephan Schmitz,
Vorstandsvorsitzender des Berufsverbandes der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland (BNHO), kritisierte, dass die Ausschreibungspraxis der AOKen Rheinland/Hamburg, Hessen und Nordost die Patientenversorgung gefährde, weil beispielsweise die Zeit für den Transport eines Medikaments in die Praxis länger dauere als die Haltbarkeit des Medikaments betrage. Ausschreibungen verhinderten nötige sogenannte „Adhoc-Bestellungen", kritisierte der Mediziner.
Schmitz beschwerte sich darüber hinaus über Fragebögen, die die AOKen an die Patienten verschickten, um die Behandlung in der Praxis zu eruieren. „Hier wird ein Vertrauensbruch gesät", sagte Schmitz. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) schloss sich der Kritik an den Ausschreibungen am Mittwoch an. In einer Pressemitteilung erklärte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum: „Kassenartenspezifische Krebsmittellieferanten und damit kassengesteuerte Krebsmedizin kann und darf es niemals geben." Die Probleme würden sich in den Krankenhausapotheken genauso widerspiegeln. „Die jetzige Versorgungssituation ist hochwertig und wird den Belangen krebskranker Menschen gerecht." Ausschreibungen seien für den sensiblen Bereich der Zytostatika kein geeignetes Mittel. „Wer und was in die Kliniken geliefert wird, muss in der Eigenverantwortung der Krankenhäuser bleiben. Das Instrument der Ausschreibungen bei Zytostatika muss aus dem Gesetz gestrichen werden", forderte Baum.
Die Zytostatika würden in Krankenhausapotheken und öffentlichen Apotheken patientenindividuell und aufgrund tagesaktueller Laborergebnisse innerhalb weniger Stunden zubereitet und könnten dann direkt eingesetzt werden. „So schnell kann kein industrieller Herstellerbetrieb agieren", argumentiert die DKG.
Differenzierter äußerten sich auf einer weiteren Pressekonferenz der Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas, und der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Wolf-Dieter Ludwig. Baas sagte auf eine entsprechende Frage von BibliomedManager, er sei in der Frage von Ausschreibungen für Krebsmedikamente „sehr zwiegespalten". Der TK-Chef wies auf bestehende Probleme und Ineffizienzen zwischen Ärzten und Apothekern hin. „Es war nicht falsch, in diesem Gebiet mit Ausschreibungen zu drohen", sagte er. AkdÄ-Vorstand Ludwig teilte Baas Meinung. Die Versorgungsstrukturen in Deutschland seien in vielen Gebieten „katastrophal". Es müsse bei Ausschreibungen aber garantiert sein, dass die Apotheken lieferfähig seien.
Baas und Ludwig kritisierten die Verschwendung durch die Hersteller, die häufig zu große Packungen und Ampullen lieferten, was zu einem hohen Verwurf führe. In den USA hätten Studien gezeigt, dass hier Effizienzreserven in Milliardenhöhe lägen, sagte Ludwig.

„AOK sät Vertrauensbruch"
