Die neue Applewatch Series 4 kann ein EKG des Smartwatch-Trägers erstellen. BibliomedManager sprach mit Kardiologe Peter Radke, Vorsitzender des Ausschusses e-und m-health der Deutschen Kardiologie Gesellschaft (DGK), über die neue Funktion der Smartwatch und die Relevanz der neuen Technik für Patienten und Krankenhäuser.
Herr Radke, was für eine Art von EKG erstellt die Applewatch 4?
Die Uhr kann ein 1-Kanal-EKG erstellen. Auf der Rückseite der Uhr befinden sich zwei LED-Lampen und zwei Sensoren, die die pulssynchrone Blutflussbewegung in den Kapillaren messen. Die Apple Watch erfasst mithilfe grüner LEDs und lichtempfindlicher Fotodioden die Menge Blut, die zu einem bestimmten Augenblick durch das Handgelenk fließt. Neu ist bei der Series 4, dass sich auf der Krone der Uhr eine metallische Fläche eines weiteren Sensors befindet, den der Träger 30 Sekunden lang mit dem Finger berühren muss, bis ein Kurzzeit-EKG erstellt wird. Zur Auswertung bedarf es in jedem Fall eines Arztes.
Ist die Applewatch 4 theoretisch als medizinisches Wearable zu sehen, das ein reguläres EKG ersetzt?
Nein. Eine Neuigkeit besteht bei der Apple Watch 4 in der Erkennung von Vorhofflimmern, der häufigsten Herzrhythmusstörung. Bei einem regulären EKG wird im Gegensatz zur Apple Watch eine 12-Kanalmessung durchgeführt, dadurch sind eine hohe Signalstabilität und räumliche Zuordnung möglich. So wie der Smartwatch-Träger derzeit das EKG ableiten muss, ist die Messung anfällig für Fehler und kann auch nicht kontinuierlich erfolgen. Die entscheidende Frage ist vor allem, welche medizinischen Konsequenzen aus der EKG Ableitung der Uhr zu ziehen sind. Es ist als Screening zu verstehen, das den Uhrenträger bei Unregelmäßigkeiten darauf hinweist, dass etwas mit seiner Herzfrequenz nicht stimmt und er einen Arzt aufsuchen sollte. Es bedarf jedoch insgesamt noch weiterer Studien zur medizinischen Nutzenbewertung dieser technischen Möglichkeit. Apple geht dazu gerade eine Kooperation mit der Stanford Universität in den USA ein.
Kann der Patient das EKG der Applewatch 4 selbst lesen?
Für die medizinische Interpretation dessen, was aufgezeichnet wird, ist immer ein Arzt notwendig. Der Patient kann zwar seine aufgezeichnete Herzfrequenz sehen und die Abstände seiner Herzschläge, aber wie will er diese bewerten? Ob etwas nicht stimmt oder ob sogar ein behandlungsbedürftiges Krankheitsbild des Smartwatch-Trägers vorliegt, müssen Ärzte diagnostizieren.
Haben sie schon medizinische Erfahrungswerte mit Patienten, die Smartwatches tragen?
Ja. Einer unserer Patienten, der eine Applewatch trägt, stellte im Urlaub eine Verschlechterung seiner Herzschwäche fest. In solchen Fällen bedarf es immer einer Abklärung der zur Verschlechterung führenden Gründe. Dies kann beispielsweise an ein Infekt liegen, eine an der unregelmäßigen Einnahme der Medikamente im Urlaub, oder aber eben auch an Herzrhythmusstörungen mit zu schnellem oder zu langsamen Herzschlag. Der Patient konnte mir damals seine kontinuierliche Herzfrequenzmessungen der Applewatch auf einer App zeigen. Bei der Betrachtung seiner Messdaten konnte ich dann ausschließen, dass sich sein Herzschlag grundlegend verändert hat und ein Langzeit-EKG war aus ärztlicher Sicht somit nicht mehr notwendig.
Wie können die erfassten Gesundheitsdaten des Trägers an einen Arzt übermittelt werden?
Ein wirklich tolles Datenschutzthema. Die Daten können nicht einfach in die Software eines Krankenhausinformationssystem übertragen werden. Der Patient muss zustimmen können, dass seine Daten übertragen werden und was mit diesen geschieht. Diesen Vorgang macht die neue europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nicht gerade einfacher. Die Applewatch Series 4 kann technisch über Apps einen PDF-File erstellen, der theoretisch an das Krankenhaus gesendet werden kann. In den USA mag der direkte und „unkomplizierte“ Austausch möglich sein, in Deutschland bedarf es dazu allerdings besonders gesicherter Kommunikationswege.
Welche positiven Aspekte ergeben sich aus dieser technischen Neuerung der Applewatch Series 4 für Krankenhäuser?
Theoretisch bringt der Patient schon eine Reihe von Daten über seine Herzfrequenz als erstes Screening mit, wenn er sich in ärztliche Behandlung begibt. Die Smartwatch liefert dauerhaft Daten, die beispielsweise auf krankhafte Veränderungen der Herzfrequenz bis hin zum Vorhofflimmern hinweisen können. Zumindest bei den EKG Messungen der Applewatch Series 4 handelt es sich allerdings um Momentaufnahmen. Wenn ein Patient seinem Arzt von wiederkehrenden Beschwerden berichtet, kann man den Patienten beispielsweise instruieren, genau in diesen Situationen mit der Applewatch 4 ein EKG abzuleiten und nachfolgend gegebenenfalls weitere Untersuchungen einzuleiten.
Welcher Nutzen könnte sich für Mitarbeiter im Krankenhaus ergeben?
Die Applewatch Series 4 kann einen Anfangsverdacht bei Patienten aufzeigen, in welche Richtung seine Erkrankung geht. Dies können allerdings auch Mitarbeiter sein. Im ambulanten Bereich kann der Hausarzt die Messung der Uhr mit seinen Patienten ansehen und gegebenenfalls an einen Kardiologen überweisen. Apple muss den klinischen Nutzen dieser Funktion der Smartwatch mit einem 1 Signal-EKG jedoch erst noch wissenschaftlich weiter untersuchen.
Die FDA hat in den USA die EKG-Funktion bereits schon zugelassen. Sehen Sie eine Zulassung in Deutschland als möglich an?
Aktuell ist das für Deutschland noch nicht einschätzbar. In den USA handelt es sich erst um eine Klasse 2 Freigabe der FDA ("Clearance“), welche die Funktion bisher nur als "nicht schadenanrichtend" einstuft. Es sind aktuell noch zahlreiche Studien notwendig, um die Funktion einer Erkennung von Vorhofflimmern in Deutschland zuzulassen. Ich schätze es dennoch als gut möglich ein, dass es eine rasche Entscheidung zur Freigabe der Technologie in Deutschland geben wird. Zukunftsmusik ist es allerdings, dass Wearables die medizinische Diagnostik übernehmen. Realität ist, dass sie beispielsweise durch die Messung der Herzfrequenz auch jetzt schon bei der Arbeit im Krankenhaus unterstützen können.
Bei vorherigen Modellen der Applewatch gab es Berichte über Probleme mit der Smartwatch auf Intensivstationen. Die Uhr startete sich immer wieder unaufgefordert neu. Welche Rolle kann so etwas im Krankenhaus spielen?
Im Krankenhaus ist die wichtigere Frage eher, ob das Device Schaden an der Infrastruktur des Krankenhaus anrichten kannoder nicht. Wenn das private Gerät eines Patienten nicht funktioniert, ist das zwar ärgerlich für den Besitzer, spielt bei klinischen Abläufen aber keine Rolle. Einfach gesagt: Entsteht für das Krankenhaus kein Schaden, hat es keine Relevanz.
Ist die Applewatch 4 mit der EKG-Funktion im Einsatz in Krankenhäusern vorstellbar?
Ich sehe das als äußerst schwierig umsetzbar an. Es gibt Aspekte des Datenschutzes und der Hygiene, die zu klären sind. Wie sollen Armband und Touchscreen der Uhr jedes Mal wieder aufs Neue gereinigt werden? Momentan denke ich, dass die Uhr beispielsweise im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsvorsorge der Mitarbeiter eingesetzt werden könnte, die damit ihre Bewegungsaktivität tracken können.