Die Auseinandersetzung um Honoraranreize, die im TSVG zwecks schneller Terminvergabe vereinbart wurden, ist geschlichtet. Unbeantwortet bleibt aber die Frage, welche Stellung kooperativen Strukturen wie MVZ abseits von Sonntagsreden wirklich zugebilligt wird, kritisiert Susanne Müller vom BMVZ.
Die gute Nachricht ist: Bezüglich der Honoraranreize, die im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) zwecks schneller Terminvergabe vereinbart wurden, konnte doch noch Einvernehmen zwischen dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) als Rechtsaufsicht und dem Bewertungsausschuss (BA) hergestellt werden. Sie gelten also wie geplant. Die schlechte Nachricht ist: Die im Dezember beinah geräuschlos vorgenommene Rücknahme der zuvor erfolgten Beanstandungen durch das Ministerium verhindert eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Frage, welche Stellung kooperativen Strukturen abseits von Sonntagsreden wirklich zugebilligt wird.
Worum geht es? Bei der wichtigsten der Beanstandungen wurde darum gerungen, ob die Entbudgetierung der Leistungen für Neupatienten und TSS-Fälle (Terminservicesstellen-Fälle) jeweils im Behandlungsfall oder im Arztgruppenfall gilt. Im TSVG steht ganz klar: im Behandlungsfall. Behandlungsfall bedeutet, dass in der Honorarperspektive alle Tätigkeiten sämtlicher Ärzte einer Praxis grundsätzlich gemeinsam betrachtet und vergütet werden. Der zusätzliche Honoraranreiz würde also nicht nur für die von der Terminvermittlung oder dem Neusein des Patienten berührte Fachgruppe gelten, sondern für die komplette Praxis.
Man kann sich das Kopfkino im Bewertungsausschuss vorstellen: Wie Patienten in riesigen MVZ von Fachgruppe zu Fachgruppe und Arzt zu Arzt geschleust werden, um in diesem Quartal möglichst viele unbudgetierte Leistungsansprüche zu erwirken. Tatsächlich haben Kassen und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) im Sommer stattdessen ganz still und heimlich den Arztgruppenfall im Normenrahmen verankert und dabei festgelegt, dass besagte Vergütungsanreize eben nicht für alle Ärzte der Praxis gelten, sondern nur für maximal zwei Fachgruppen. Genau an dieser Stelle hat die Rechtsaufsicht dann auch zu Recht moniert, dass der Wille des Gesetzgebers ignoriert wurde.
Und worum geht es den MVZ und Berufsausübungsgemeinschaften (BAG)? Die gefundene Lösung des BA hält zumindest der BMVZ für ausgesprochen sachgerecht, auch wenn damit den MVZ und BAG in bestimmten Konstellationen spürbar Honorare entgehen. Wichtiger ist jedoch, dass die Einführung des Arztgruppenfalls in jeder Hinsicht zu begrüßen ist – handelt es sich doch um einen Kompromiss, der die ansonsten gegenläufigen Konzepte von Arztfall und Behandlungsfall so miteinander verzahnt, dass einerseits nicht-medizinisch induzierte Fallzahlvermehrungen verhindert werden, andererseits aber auch nicht jede fachübergreifende Kooperation automatisch beim Honorar abgestraft wird.
Und was ist jetzt das Problem? Der Arztgruppenfall wurde in seiner Anwendung auf den beschriebenen Fall der TSVG-Vergütungsanreize beschränkt. Das heißt er ersetzt die Behandlungsfallorientierung seit September nur genau dort, wo ihre Anwendung fachübergreifende Kooperation beim Honorar ausnahmsweise besser gestellt hätte. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Behandlungsfallzählung in allen anderen Kontexten (die Erörterung würde hier zu weit führen) dafür sorgt, dass ärztliche Kooperation – teilweise erheblich - betriebswirtschaftlich abgestraft wird – was auch durch den zum Ausgleich geschaffenen Kooperationszuschlag nicht kompensiert wird.
Es muss daher die Frage erlaubt sein: Wie zynisch muss ein Gesundheitssystem (oder seine Verantwortlichen) sein, um ärztlichen Kooperationen, die in Sonntagsreden permanent als die Zukunft des Systems beschworen werden, bei den Honoraransprüchen derart doppelzüngig zu begegnen?
Seit mehr als zehn Jahren arbeiten MVZ und fachübergreifende BAG unter den erschwerenden Bedingungen der Behandlungsfallorientierung. Die Etablierung des Arztgruppenfalls ist somit eigentlich ein Glücksfall. Die aktuelle Auseinandersetzung muss entsprechend zum Anlass genommen werden, seine Anwendung im Minimum auch auf weitere Zusammenhänge – wie die fachärztliche Grundpauschale (PFG) oder den Laborwirtschaftlichkeitsbonus – auszudehnen.
Alles andere wäre – von der Gesundheitspolitik ebenso wie von der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen – ein fatales Signal: dass nämlich die Honorarregeln von Fall zu Fall genauso ausgelegt werden, dass fachübergreifende Kooperationen einfach immer den kürzeren Strohhalm ziehen. Was für Zukunftsaussichten!?