Ist von wichtigen Merkmalen von Krankenhäusern die Rede, fällt schnell der Begriff der Expertenorganisation. Die wichtigste Ressource dieser Organisationsform ist die Leistungsfähigkeit ihrer Expertinnen und Experten, die aufgrund ihres großen Fachwissens relativ autonom handeln können. Das Expertentum beschränkt sich jedoch in den meisten Fällen auf die Fachexpertise – das Thema Führung kommt in den meisten Aus- und Weiterbildungen deutlich zu kurz oder wird nicht einmal gestreift.
Umso wichtiger ist es, dass Krankenhausträger sowie Geschäftsführung den Rahmen dafür stecken, dass Führung gelingen kann. Nur durch definierte Entscheidungs- und Handlungsspielräume und kommunizierte wie gelebte Werte ist es möglich, dass Führung nicht allein vom subjektiven Führungsverständnis jedes Einzelnen abhängt. Deshalb machen sowohl eine verschriftlichte Unternehmensphilosophie als auch verbindliche Führungsgrundsätze absolut Sinn. Folgende Themen lohnt es sich dabei genauer anzuschauen:
Führung braucht Ziele: Geht es um Partizipation, Stärkung der Eigenverantwortung und Entwicklung der Mitarbeiter, Mitarbeiter- oder Patientenzufriedenheit? Es ist zudem wichig, dass die Einhaltung dieser Ziele kontrolliert wird.
Führung braucht Struktur: Hier helfen sinnvolle Organigramme, Stellenbeschreibungen und das Ausprobieren neuer Führungsmodelle.
Führung braucht Qualifikation: Fachkenntnis sowie Erfahrung in der Pflege und der Medizin (das sogenannte technische Talent) geben kaum Hinweise auf Führungserfolg - hierfür wird auch menschliches und konzeptionelles Talent benötigt.
Führung braucht Zeit: Stationsleitungen z.B. haben die Führung und das Management ihrer Station als Hauptaufgabe, nicht die direkte Patientenversorgung.
Führung braucht Akzeptanz: Es braucht die Anerkennung nicht nur als „Leitung“ (stark administrativer Fokus), sondern als echte Führungskraft (persönlicher, verhaltenssteuernder Fokus).
Führung braucht Vorbilder: Auch Führungskräfte benötigen Führung.
Ziel dieser Vereinbarungen auf normativer und strategischer Ebene sollte es sein, ein gemeinsames Führungsverständnis zu etablieren und die Rolle der Führungskräfte im Krankenhaus neu zu definieren. Dabei lohnt es sich, in andere Branchen zu schauen: Immer häufiger werden Führungsrollen aufgeteilt in eine fachbezogene, inhaltliche Führung und eine personelle, disziplinarische Führung. Die Chefärztin, die gerne am OP-Tisch steht und ihr Fachwissen weitergibt, kann ergänzt werden durch einen Chefarzt, der auf die Entwicklung der Mitarbeitenden achtet und als eine Art Mentor fungiert. So ließe sich nicht nur das Problem lösen, dass die fachlich Besten nicht unbedingt die größten sozialen Kompetenzen mitbringen, sondern auch, dass sich Führungspositionen im Krankenhaus noch viel zu selten sinnvoll mit Familie und Privatleben vereinbaren lassen.
Gerade in diesen Zeiten überbordender Bürokratie und Regulierung können empathische und kooperative Führungskräfte ein unschätzbarer Vorteil sein, auch weil sie einen großen Einfluss auf die Unternehmenskultur ausüben. Harvard-Professor John Kotter bemerkte schon in den 1990er-Jahren, dass die meisten Unternehmen “overmanaged and underled” seien. Für welche Art von Organisation mag das gerade mehr gelten als für Gesundheitseinrichtungen? Die Ansätze im Bereich des „Shared Leaderships“ können hier ganz neue Spielräume öffnen.