Patientinnen und Patienten sollen künftig bei Notfällen durch neue Leitstellen und Notfallzentren an die richtige Stelle gelotst werden. Das empfiehlt die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ in einem Bericht. Wer künftig im Notfall den Rettungsdienst per 112 oder den kassenärztlichen Notdienst über die 116117 anruft, soll eine sogenannte integrierte Leitstelle (ILS) erreichen. Medizinisch qualifizierte Fachkräfte sollen dort – unterstützt durch eine Software – per Telefon oder telemedizinisch eine Ersteinschätzung vornehmen. Sie sollen ermitteln, wie dringlich der Notfall ist und ob unmittelbar Handlungsbedarf besteht. Ziel ist dabei „nach Möglichkeit eine abschließende Behandlung“ des Notfalls. Andernfalls können die Leitstellen-Mitarbeiter „aufsuchende“ Dienste, wie etwa den KV-Bereitschaftsdienst, einen Krankentransport, oder einen Akut-Sozialdienst organisieren. Die Leitstelle kann die Patienten zudem an eine (KV-)Praxis zu Öffnungszeiten, an eine KV-Notdienstpraxis oder an ein integriertes Notfallzentrum (INZ) verweisen. „Notaufnahmen in Krankenhäusern sollen so möglichst nur von Hilfesuchenden genutzt werden, die diese komplexen Strukturen wirklich benötigen“, hieß es in einer Mitteilung des Bundesgesundheitsministeriums.
INZ auch in MVZ möglich
Die INZ sollen aus einer Notaufnahme des Krankenhauses, einer KV-Notfallpraxis sowie einem „Tresen“ als Entscheidungsstelle bestehen. Sie sollen an allen Krankenhäusern der erweiterten und umfassenden Notfallversorgung (Stufe 2 und 3) aufgebaut werden. Das wären insgesamt 420 Krankenhäuser. Der Vorschlag sieht zudem vor, dass sich ein INZ auch – „wo regional erforderlich“ – an Krankenhäusern der Basisnotfallversorgung befinden kann. Das heißt: Es kann auch eine Klinik sein, die momentan die G-BA-Stufe 1 bei der Notfallversorgung erfüllt – beziehungsweise gemäß des Vorschlags der Regierungskommission zur Krankenhausreform (LINK) das Level In. Auch ein 24/7-MVZ mit telemedizinischer Anbindung kommt als INZ infrage.
KINZ für Kinder
Darüber hinaus schlägt die Kommission vor, integrierte Notfallzentren für Kinder und Jugendliche aufzubauen (KINZ). Sie sollen an Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin sowie Krankenhäusern mit einer pädiatrischen Abteilung, die die Voraussetzungen des Moduls Notfallversorgung Kinder erfüllen, entstehen. Das würde an etwa 290 Kliniken der Fall sein. Die KV-Notdienstpraxen in den INZ sollen in den Krankenhäusern der Notfallstufe 2 wochentags von 14 bis 22 Uhr geöffnet sein. Am Wochenende und an Feiertagen sind Öffnungszeiten von 9 bis 21 Uhr geplant. In den Krankenhäusern der Notfallstufe 3 sollen die KV-Notdienstpraxen jeden Tag rund um die Uhr zu erreichen sein.
Leitung: KV und Klinik sollen sich einigen
KV und Krankenhaus müssen sich darauf einigen, wer das Notfallzentrum leitet. Können sie sich nicht einigen, leitet das Krankenhaus das INZ. Die INZ-Leitung entscheidet dann auch darüber, wer die Ersteinschätzung vornimmt und wer darüber entscheidet, wie die weitere Versorgung ablaufen soll: also, ob Patienten dann in die KV-Notdienstpraxis oder in die Notaufnahme weitergeleitet werden. Die Ersteinschätzung soll „qualifiziertes Personal“ mithilfe eines „standardisierten“ Algorithmus vornehmen. Für die Einrichtung der KV-Notdienstpraxen in den INZ soll es eine „angemessene zusätzliche“ Investitionskostenunterstützung geben. Da wo es bereits „gute Strukturen“ der Zusammenarbeit zwischen KV und Klinik gebe, solle darauf aufgebaut und sie erhalten werden, erklärte Tom Bschor, Koordinator der Regierungskommission Krankenhausversorgung, heute bei einer Pressekonferenz.
Lauterbach: Personalbedarf schwer zu beziffern
Gesundheitsminister Karl Lauterbach erklärte, dass sich der Personalbedarf für die neuen Strukturen nicht beziffern ließe. Die bisherigen Strukturen seien jedoch „extrem ineffizient“. Er gehe daher davon aus, dass der Personalbedarf durch „Effizienzgewinne“ sinken werde. Den Aufschlag der Regierungskommission sieht er als „sehr gut vorbereiteten Vorschlag“ an. Zu der Reform gebe es „keine Alternative“. Das bisherige System sei so „verbraucht und unbefriedigend“ für alle Beteiligten, dass die Reform jetzt kommen müsse.
Reform des Rettungsdienstes: Kommt noch!
Im weiteren Verlauf sollen die Vorschläge nun im Rahmen der Bund-Länder-Kommission besprochen werden. Ziel sei es, so Lauterbach, dass die Reform der Notfallversorgung noch in dieser Legislatur „wirken“ solle. Zum Rettungsdienst wird es einen getrennten, weiteren Reformvorschlag der Reformkommission geben, kündigte Tom Bschor an.
Erste Reaktionen
Wulf Leber, Abteilungsleiter Krankenhäuser beim GKV-Spitzenverband, lobte auf Bibliomed-Nachfrage zwar die grundsätzliche Stoßrichtung der Reform, ließ aber kein gutes Haar an der Regierungskommission: „Begrüßenswert – und in vollem Einklang mit den Positionen der GKV – ist die kooperative Lösung durch integrierte Notfallzentren (INZ) mit Notfallaufnahme, KV-Notdienstpraxen und gemeinsamen Tresen zur Ersteinschätzung. Was allerdings fehlt, ist eine bevölkerungsbezogene Festlegung der Standorte, um Doppelversorgung in Ballungszentren und Unterversorgung auf dem Lande zu vermeiden. Typisch für die Regierungskommission (eine Krankenhauslobbygruppe) sind auch bei diesen Empfehlungen die offenen Finanzierungsfragen."