Gesundheitsminister Karl Lauterbach will „Investoren mit Profitgier“ am Betreiben von Medizinischen Versorgungszentren hindern – und übernimmt damit das Vokabular der niedergelassenen Ärzte. Mittlerweile kursiert in seinem Haus jedoch ein Papier, das relativ nüchtern Zahlen analysiert – und das Bild vom profitgierigen Investor im MVZ-Markt nicht stützt. Ein Interview mit Susanne Müller, Geschäftsführerin des Bundesverbands Medizinische Versorgungszentren (BMVZ).
Karl Lauterbach hat angekündigt, an den Zulassungsregeln für Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu drehen. Investoren mit Profitgier will der Minister stoppen. Damit geht die schrill geführte Debatte um die Trägerstrukturen in MVZ in die nächste Runde. Was müssen die Betreiber von Klinik-MVZ befürchten?
Müller: Fürchten sollten alle Beteiligten vor allem das hohe Maß an Unsachlichkeit, mit der die Debatte geführt wird. In der Konsequenz gibt es so etwas wie einen Überbietungswettbewerb zu Vorschlägen, wie die MVZ-Gründung für nicht-ärztliche Träger beschränkt werden kann. Das betrifft dann auch alle Klinikträger - denn eine Unterscheidung der Vorgaben nach Klinikart bzw. nach der Frage, ob ein Investor im Hintergrund steht, ist normativ nicht möglich. Ganz hoch im Kurs stehen die fachliche und/oder regionale Beschränkung. Danach könnte ein Träger MVZ nur in seiner Umgebung beziehungsweise nur mit Fächern betreiben, die konkret auch stationär vorgehalten werden. Aber natürlich gäbe es einen Bestandsschutz für alle bereits bestehenden Klinik-MVZ.
Ein Praxis-Fremdbesitzerverbot hieße, wer ein MVZ besitzt muss auch darin arbeiten. Welchen Einfluss hätte so eine Regel auf den Markt?
Streng genommen bedeutete diese Ministeraussage, dass überhaupt nur noch Vertragsärzte MVZ betreiben dürften. Das ist absolut weltfremd, zumal viele Ärzte offensichtlich keine unternehmerische Verantwortung tragen wollen Wer soll die MVZ dann alle betreiben - angesichts des ungebremsten Trends der ambulanten Ärzte, lieber angestellt tätig zu sein?
Ein Papier der Abteilung 2 des Gesundheitsministeriums kommt nun etwas überraschend zu dem Schluss, dass in den vergangenen 15 Jahren keine gravierende Fehlversorgung in investorenbetriebenen MVZ stattgefunden hat. Wie bewerten sie diesen ministerialen Vorgang?
Das ist für uns kein bisschen überraschend. Die ganze Debatte lebt davon, dass wortreich Gefahren heraufbeschworen werden, für die es keine Belege gibt. Das BMG-Papier trägt alles, was man zu Investoren-MVZ bisher weiß, neutral zusammen. Die Frage ist, wie die Politik mit dem Befund umgeht. Leider ist derzeit die Stimmung so, dass Gefühle und Emotionen anstellen von Fakten dominieren. Danach fühlt sich MVZ in nichtärztlichen Besitz für viele einfach falsch an. Deshalb wird das Papier von den MVZ-Kritikern auch so interpretiert, dass nur noch nicht richtig oder tief genug nach Problemen gesucht wurde.
Auch die Bundesärztekammer (BÄK) hat kürzlich ein MVZ-Papier verfasst. Sie fordert regionale Quoten statt Trägerverbote. Was halten Sie davon?
Im Vergleich zur schon erwähnten absoluten Beschränkung der Gründereigenschaft auf die Region des Trägers sind regionale Quoten die intelligentere Lösung. Der Gedanke setzt daran an, örtliche und regionale Versorgungsmonopole eines Trägers zu verhindern. Dieses Ansinnen dient dem Schutz der freien Arztwahl und wird im Zahnbereich seit 2019 auch schon umgesetzt. Schwieriger wäre natürlich eine Umsetzung bei den fachübergreifenden MVZ, wenn zum Beispiel gemäß dieser Quoten eine Fachrichtung frei ist, die andere aber gesperrt. Dieses Instrument würde folglich die ohnehin starke Tendenz, MVZ-Neugründungen fachgleich zu gestalten, noch befeuern.
Die Bundesärztekammer fordert auch stärkere Qualitätskontrollen in MVZ – gehen Sie da mit?
Qualitätskontrollen machen Sinn. Hier hat der stationäre Sektor dem ambulanten einiges voraus. Allerdings dürfen natürlich solche Überlegungen nicht allein für die MVZ erhoben werden. Sie sind Teil der Regelversorgung und unterliegen damit ohnehin denselben strengen Vorschriften wie alle Arztpraxen. Aber strukturneutral weiterführend für den ambulanten Bereich nachzudenken, wie Versorgungs- und Prozessqualität besser sichergestellt und vergleichbar gemacht werden kann, ist an sich ein wirklich guter Gedanke.
Ihr Verband hat nun ein drei „umsetzbare Maßnahmen“ gefordert, können Sie ihre Vorschläge kurz konkretisieren?
Uns ging es bei dieser Initiative allein um den Themenkomplex Transparenz, d.h. wir haben keine Vorschläge zur MVZ-Regulierung an sich gemacht, sondern herausgearbeitet, wie sehr stark durch gefühlte Fakten geleitete Debatte reine Symbolpolitik fördert. Deshalb schlagen wir zunächst drei konkrete und zeitnah umsetzbare Maßnahmen vor, um die dringend nötige Transparenz als fundierte Basis für künftige politische Entscheidungen zu schaffen.
Dazu gehört insbesondere, alle verfügbaren Zulassungsdaten zu MVZ, aber auch aller anderen Praxen, digital in Form eines Strukturregisters zusammenzuführen und so auszuwertbar zu machen. Denn klar ist: Die oft beschworene Intransparenz zu MVZ-Trägerstrukturen besteht allein deshalb, weil in den K(Z)Ven die dazu umfänglich vorliegenden Daten nicht genutzt werden. Zudem zeigen bestehende Analysen der gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen verketteter MVZ, dass sich die mittlere zweistellige Zahl an Private-Equity-Akteuren, die im MVZ-Bereich unterwegs sind, durchaus mit den vorhandenen Registern verfolgen lassen. Die KZBV hat das beispielsweise mit einer Veröffentlichung vom Mai 2022 sehr gut illustriert. Solche Recherchen sollten systematisiert und beständig fortgeführt werden.
Und die dritte Maßnahme?
Von diesen für das System relevanten Lösungen, Strukturveränderungen eng zu monitoren, losgelöst, ist uns wichtig, die Patien:innen und deren Informationsbedarfe besser zu decken. Allerdings funktioniert das nicht, indem MVZ – wie von der BÄK oder der Gesundheitsministerkonferenz gefordert - verpflichtet werden, alle Gesellschafternamen auf das Praxisschild zu schreiben. Dies sind ja oft weitere Unternehmen mit entsprechend wenig hilfreichen Firmenbezeichnungen. Wir fordern dagegen, überhaupt erstmals eine einheitliche Kennzeichnung von MVZ einzuführen, in dem diese Bezeichnung zuzüglich der jeweiligen Rechtsform auf dem Praxisschild anzugeben ist – z.B. als MVZ GmbH.
Damit hat der Patient eine geeignete Vor-Ort-Information und kann bei Interesse am Tresen nachfragen oder eben auf die Webseite des MVZ oder ins Handelsregister schauen. Schon das Rechtsgutachten des BMG zu MVZ von 2020 verwies darauf, dass die fehlenden Angaben über die bestehenden und digital abfragbaren Register in den allermeisten Fällen grundsätzlich verfügbar und auch leicht zugänglich sind. Die Erfahrung lehrt zudem, dass Patienten vor allem interessiert, ob eine Praxis gut erreichbar ist, zeitnah Termine bietet und natürlich, dass Ärzt:innen menschlich und fachlich integer sind. Die politisch aufgeladene MVZ-Debatte geht daher zu großen Teilen an den Bedürfnissen der Patient:innen vorbei.