Patientensicherheit

Zahl der Never Events steigt

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Zahl der Never Events steigt
Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des MD Bundes. ©  MDS

Insgesamt 13.050 vorgeworfene Behandlungsfehler mit 1.006 unterschiedlichen Diagnosen hat der Medizinische Dienst (MD) in seiner Jahresstatistik für 2021 erfasst. In jedem vierten Fall ist ein Fehler bestätigt und ein Schaden festgestellt, in jedem fünften war der Fehler auch Ursache des erlittenen Schadens.

Die Vorwürfe reichen von fehlerhaften Knie- und Hüftgelenksimplantationen über die Therapie von Knochenbrüchen, Durchblutungsstörungen am Herzen bis hin zu Gallensteinen und Zahnerkrankungen. Ein Jahr zuvor waren es noch 14.047 Vorwürfe. Die Zahlen bewegten sich im Vergleich zu den Vorjahren weiterhin auf einem „stabilen Niveau“, sagt Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des MD Bundes.

3.665 Behandlungsfehler bestätigt

Die Ergebnisse zeigen, dass weiterhin viele Patient:innen von Behandlungsfehlern betroffen sind und in der Begutachtung immer wieder die gleichen Fehler festgestellt werden. Die Begutachtung der vorgeworfenen Fälle basiert auf drei Stufen: Fehler, Schaden und Kausalität. Demnach bestätigte der Medizinische Dienst 3.665 Behandlungsfehler (2020: 4.100), 71,9 Prozent der vorgeworfenen Fälle waren keine Fehler. 24,7 Prozent der festgestellten Fehler waren Behandlungsfehler mit Schaden (3.222) und 3,4 Prozent ohne Schaden. Für 2.709 der Behandlungsfehler mit Schaden (20,8 Prozent) konnte eine Kausalität nachgewiesen werden, bei 2,9 Prozent blieb die Kausalität unklar und für 1 Prozent konnte gar keine Kausalität festgestellt werden. Doch die Dunkelziffer der Behandlungsfehler liege deutlich über dem, als die Zahlen der Begutachtungsstatistik. Das sei vielfach wissenschaftlich belegt, betont Gronemeyer. 

Ambulant vs. stationär 

Jeder dritte vorgeworfene Behandlungsfehler bezog sich auf den ambulanten Sektor (4.339), und zwei Drittel auf den stationären (8.690). „Hintergrund dieser Verteilung ist, dass sich die meisten Vorwürfe auf operative Eingriffe beziehen, und diese erfolgen zumeist in der stationären Versorgung“, erläutert Astrid Zobel, Leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes Bayern.

Bei den ambulanten Vorwürfen stellte der MD 24,6 Prozent Behandlungsfehler mit Schaden fest, 5,8 Prozent Fehler ohne Schaden und bei 69,6 Prozent keinen Behandlungsschaden. Im stationären Sektor zeigt die Statistik, dass 24,7 Prozent der Behandlungsfehler mit Schaden nachgewiesen werden konnten, 2,2 Prozent Fehler mit Schaden sowie kein Behandlungsfehler mit 73,1 Prozent. 

Vorwürfe verteilt auf medizinsche Felder: 

Orthopädie und Unfallchirurgie: 30 Prozent (3.909 Fälle, 27,3 Prozent festgestellte Fehler)
29 weitere Fachgebiete: 26,4 Prozent (3.439 Fälle, 24,6 Prozent festgestellte Fehler)
Innere Medizin und Allgemeinmedizin: 12,3 Prozent (1.608 Fälle, 23,8 Prozent festgestellte Fehler)
Frauenheilkunde und Geburtshilfe: 8,7 Prozent (1.133 Fälle, 25,5 Prozent festgestellte Fehler)
Allgemein- und Viszeralchirurgie: 8,7 Prozent (1.130 Fälle, 22,3 Prozent festgestellte Fehler)
Zahnmedizin: 8,3 Prozent (1.081 Fälle, 34,0 Prozent festgestellte Fehler) 
Pflege: 5,7 Prozent (750 Fälle, 61,2 festgestellte Fehler)

Bei knapp zwei Drittel (65,2 Prozent) der begutachteten Fälle waren die Gesundheitsschäden der Patient:innen vorübergehend, also eine Intervention oder ein Krankenhausaufenthalt waren notwendig. Die Patient:innen sind vollständig genesen. Bei knapp einem Drittel der Betroffenen wurde ein Dauerschaden verursacht.

Unterschieden wird zwischen leichten, mittleren und schweren Schäden. Ein leichter Dauerschaden kann zum Beispiel eine geringe Bewegungseinschränkung oder eine Narbe sein. Ein mittlerer Dauerschaden kann eine chronische Schmerzsymptomatik, eine erhebliche Bewegungseinschränkung oder die Störung einer Organfunktion bedeuten. Ein schwerer Dauerschaden kann vorliegen, wenn Geschädigte bettlägerig und aufwendig pflegebedürftig geworden sind ─ wenn sie aufgrund eines Fehlers erblinden oder querschnittsgelähmt sind. In knapp 4 Prozent der Fälle (98) hat ein Fehler zum Versterben geführt oder wesentlich dazu beigetragen.

Hoffen auf Meldepflicht für Never Events 

Mit Blick auf die besonders schwerwiegenden und gleichzeitig vermeidbaren Schadensereignisse (Never Events) fordert der Medizinische Dienst eine verpflichtende Meldung, die präventiv genutzt werden sollte. Never Events tauchen jährlich jedes Jahr in der Begutachtungsstatistik auf (2021: 130 Fälle; 2020: 120 Fälle). Diese Ereignisse seien für das Erkennen von Risiken sowie für das Umsetzen und Bewerten von Sicherheitsmaßnahmen von großer Bedeutung. Denn sie zeigen, wo Risiken im Versorgungsprozess bestehen und welche Sicherheitsvorkehrungen unzureichend sind. In anderen Ländern werde die Meldung solcher Ereignisse erfolgreich genutzt, sagt Gronemeyer. Voraussetzung hierfür sei, dass die Ereignisse vertraulich, anonym und losgelöst von haftungsrechtlichen Konsequenzen erfolgen. Sie sollten nur der Verbesserung der Patientensicherheit dienen, so die Forderung des Medizinischen Dienstes. Auch wenn in den vergangenen Jahren diesbezüglich wenig passiert sei und die Forderung keine neue ist, so zeige sich inzwischen ein Engagement seitens der Politik hin zu einer verpflichtenden Meldepflicht von Never Events, das der Medizinische Dienst begrüße. Stefan Schwartze, der Patientenbeauftragter der Bundesregierung, habe sich die Patientensicherheit auf die Agenda gesetzt und werde sich für eine verpflichtende Meldepflicht bei schwerwiegenden Schadensereignissen künftig einsetzen, so Gronemeyer. 

11. Jahresstatistik des Medizinischen Dienstes

Die Zahlen der Statistik sind nicht repräsentativ und zeigen lediglich die Begutachtungszahlen und -ergebnisse des Medizinischen Dienstes. Eine Häufung von Vorwürfen in einem Fachgebiet sage laut Zobel nichts über die Fehlerquote oder die Sicherheit in dem jeweiligen Gebiet aus. „Häufungen zeigen, dass Patientinnen und Patienten reagieren, wenn eine Behandlung nicht ihren Erwartungen entspricht“, so Zobel. Fehler bei chirurgischen Eingriffen seien für die Patient:innen dabei leichter zu erkennen als zum Beispiel Medikationsfehler.

Der Medizinische Dienst begutachtet Vorwürfe von Behandlungsfehlern im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen. Die Gutachter:innen gehen dabei der Frage nach, ob die Behandlung nach dem anerkannten medizinischen Standard und mit aller Sorgfalt abgelaufen ist. Liegt ein Behandlungsfehler vor, wird geprüft, ob der Schaden, den Versicherte erlitten haben, durch den Fehler verursacht worden ist. Nur dann sind Schadensersatzforderungen möglich. Auf der Basis des Sachverständigengutachtens können die Betroffenen entscheiden, welche weiteren Schritte sie unternehmen wollen. Den Versicherten entstehen durch die Begutachtung keine Kosten.

Autor

 Anika Pfeiffer

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