Eine Betrachtung aus Sicht von Krankenkassen

DRG-Entgeltverhandlungen 2008: Wann ist das Leistungsspektrum realistisch?

  • Finanzen
  • DRG
  • 01.01.2008

In den vergangenen drei Jahren sind die Krankenhausausgaben gegenüber 2004 um acht Prozent gestiegen. Damit haben die Krankenkassen in diesem Zeitraum 3,21 Milliarden Euro im stationären Bereich mehr ausgegeben, als ihnen über die beitragspflichtigen Einnahmen zur Verfügung standen. Bei den Entgeltverhandlungen werden in diesem Zusammenhang mehr als bisher auch die Ergebnisse aus dem Prüfgeschäft eine Rolle spielen. Insgesamt betrachtet, streben die Kostenträger eine realistische Vereinbarung, die unter anderem den Vorgaben nach § 39 SGB V sowie nach § 4 Absatz 4 KHEntgG entspricht, an. Zur Erreichung dieses Ziels werden die vom Gesetzgeber vorgegebenen Möglichkeiten in den Entgeltverhandlungen genutzt.

Für die erhebliche Diskrepanz zwischen den beitragspflichtigen Einnahmen der Krankenkassen und der tatsächlichen Ausgabenentwicklung im Krankenhausbereich gibt es viele Ursachen; vorrangig sind zwei Entwicklungen zu nennen: Zum einen die oft vom vereinbarten Budget abweichende tatsächliche Mengenentwicklung (Case-Mix des Hauses) und die damit verbundene Tendenz, dass Leistungssteigerungen im Krankenhaus zunehmend außerhalb der Beitragssatzstabilität vergütet werden. Eine Berücksichtigung der Fallzahlveränderungen beim Landesbasisfallwert ist nach § 10 Absatz 3 des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) nur beim medizinisch-leistungsgerechten Budget vorgesehen, nicht im Rahmen der Obergrenzenberechnung. Zum anderen ist es die Mengen- und Preisentwicklung im Nicht-DRG-Bereich. In der Vergangenheit konnten die Krankenkassen solche Entwicklungen durch ihre Beitragshoheit abfangen. Der im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz geplante Gesundheitsfonds, der diese Beitragshoheit der Kassen durch ein Finanzzuweisungssystem ersetzt, enthält diese Möglichkeit nur noch begrenzt über den Zusatzbeitrag. Schlechtere Versorgung der Versicherten droht im beeinflussbaren Leistungsangebot Hier droht eine schlechtere Versorgung der Versicherten. Insbesondere bei den durch die direkte Abrechnungsbeziehung beeinflussbaren (Krankenhaus-)Leistungen. „Viele Kassen werden der Versuchung nicht widerstehen, durch Kürzungen ... die Kopfpauschale zu vermeiden ... beziehungsweise beeinflussbare Leistungsangebote zu reduzieren." Überleitung der Leistungszahlen in den DRG-Katalog 2008 Derzeit ergeben sich noch etwa 90 Prozent der Gesamterlöse eines Krankenhauses aus dem DRG-Budget. Die weiteren Ausführungen konzentrieren sich daher auf diesen Bereich. Kernpunkt ist die Berechnung, wie sich die vereinbarten Leistungen des Jahres 2007 im DRG-System des Jahres 2008 abbilden. Hierzu ist es notwendig, die vereinbarten Leistungen des Jahres 2007 in die Sichtweise nach dem DRG-Katalog 2008 überzuleiten. Der nicht-amtliche Vorschlag für eine Verhandlungsunterlage von Tuschen/ Braun, das sogenannte E4-Formular, in dem der Katalogeffekt der Krankenhäuser anhand ihrer Ist-Leistungen ermittelt wird, führt nur zu einer scheinbaren, in den meisten Fällen nicht realistischen Lösung. In der Regel weicht die tatsächlich erbrachte von der vereinbarten Leistungsstruktur ab. Dies führt dazu, dass der errechnete Katalogeffekt „nicht ohne weiteres" als Ausgangsbasis für die neue Vereinbarung genutzt werden kann. So hat beispielsweise ein niedrigerer Case-Mix-Index (CMI) in den Ist-Leistungen als in den vereinbarten Leistungen in der Regel einen negativen Katalogeffekt zur Folge. Er führt bei einer budgettechnischen Umsetzung zu einem von der Vereinbarung nicht gedeckten Ausgangs-Case-Mix. Daher ist ein Verfahren anzuwenden, das für eine Überleitung von Leistungszahlen aus der Vereinbarung 2007 auf den Katalog 2008 nur vereinbarte Leistungen berücksichtigt. Leistungsstrukturveränderungen sind dagegen ein separater Verhandlungsgegenstand. Friedrich und Paschen haben hier mit der Gegenüberstellung von Ist-Daten und vereinbarungsgewichteten Ist-Daten einen Vorschlag entwickelt, dessen Relevanz besonders bei den Häusern hoch ist, bei denen das erbrachte Leistungsspektrum sehr stark von den vereinbarten DRG abweicht. Neue Budgetanteile über Mehrleistungen Das Mengengerüst der Krankenhäuser sollte realistisch vereinbart werden. Grundlage sind die Ist-Leistungen des Vorjahres beziehungsweise die ersten vorliegenden Daten aus dem aktuellen Vereinbarungszeitraum. Ihre kritische Bewertung gewinnt mit dem Abschluss der Konvergenzphase eine neue Dimension. Um das bisherige Budgetsystem in Richtung eines Preissystems zu verändern, entfallen die bis dahin bestehenden pauschalisierten Budgetbegrenzungen für das einzelne Krankenhaus schrittweise. Zusätzliche Leistungen werden 2008 mit einem Entgeltanteil von 80 Prozent finanziert. Ab 2009 sollen diese Leistungen in Höhe der vollen Fallpauschale vergütet werden. Dies bedeutet, dass das Interesse der Krankenhäuser von Jahr zu Jahr wächst, neue Budgetanteile über Mehrleistungen zu generieren. Am Beispiel der Fallzahlstatistik des Sozialministeriums von Mecklenburg- Vorpommern wird diese Entwicklung deutlich.

Bewertung von krankenhausbehandlungsbedürftigen Leistungen

In einem ersten Schritt kann die Mehrleistungsforderung des Hauses auf Plausibilität geprüft werden. Hierfür liegen mittlerweile in den meisten Bundesländern die kassenübergreifenden Abrechnungsdaten nach § 301 SGB V vor. Weiterhin können Leistungen, die in den Einzelfallprüfungen nach § 275 SGB V nicht als krankenhausbehandlungsbedürftig bewertet wurden, als Gegenstand von Mehrleistungs- Vereinbarungen ausgeschlossen werden.

Des Weiteren ist bei einer unterjährigen Vereinbarung der vom Haus verwendete Hochrechnungsfaktor zu betrachten. Eine einfache Hochrechnung der monatlichen Leistungen mit dem Faktor zwölf wird dem Anliegen einer realistischen Leistungsplanung nicht gerecht. Dagegen ist von Relevanz, wie sich in den vergangenen Vereinbarungszeiträumen die Fallzahlen in den einzelnen Monaten entwickelt haben. Sie zeigen eine Tendenz auf, wie sich das Leistungsspektrum in den folgenden Monaten entwickeln wird. Neu und erstmals für 2008 ist zu beachten, ob sich aus den vorhandenen oder geplanten Zulassungen für die Behandlungen nach § 116 b SGB V ein Substitutionspotenzial bei bestimmten Leistungen ergibt, welches prospektiv zu beachten ist.

Methodik des veränderten Kodierverhaltens

Beruhen die Mehrleistungen auf einem CMI-Anstieg, beispielsweise bei relativ gleichbleibender Fallzahl, ist nach § 4 Absatz 4 Satz 3 KHEntgG zu prüfen, ob diese zusätzlichen Leistungen auf eine veränderte Kodierung von Diagnosen und Prozeduren zurückzuführen sind. Der Gesetzgeber möchte hiermit verhindern, dass eine verbesserte Kodierung zu Budgeterhöhungen der Krankenhäuser und damit zu Mehrausgaben für die Kostenträger führt. In den krankenhausindividuellen Verhandlungen hat das Krankenhaus die Beweislast, die Leistungsstrukturveränderungen darzulegen. Dem versuchen die Krankenhäuser durch den Einsatz eigener Berechnungs- und Analysemodelle Rechnung zu tragen.

Zurzeit werden drei Ansätze häufig diskutiert, die sich mit der Methodik des veränderten Kodierverhaltens auseinandersetzen. Im sogenannten „Nüßle-Modell" wird von der Prämisse ausgegangen, dass ausschließlich Nebendiagnosen Potenzial für verändertes Kodierverhalten besitzen. Ebenso relevante Hauptdiagnosen oder Prozeduren werden ausgeblendet. Ein analoges Vorgehen verfolgt der Ansatz des Krankenhauszweckverbands Köln, Bonn und Region. Hier kann eine veränderte Kodierung dann vorliegen, wenn sich innerhalb einer Split-DRG der Schweregrad gegenüber der Vereinbarung erhöht. Die Komponentenzerlegung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) berücksichtigt im Gegensatz zu den anderen Modellen alle Komponenten, die den Case-Mix beeinflussen können. Mit diesem Modell konnte nachgewiesen werden, dass es auch ein verändertes Kodierverhalten im Bereich der Hauptdiagnosen und Prozeduren in erheblichem Umfang gibt. Nach einer Analyse von Wasem et al. gilt diese Methode als „grundsätzlich geeignet, das gesamte Leistungsgeschehen eines einzelnen Krankenhauses in seine reellen und nominellen Komponenten zu zerlegen".

DRG mit hohem ambulanten operativen Potenzial

Sinkt der CMI und steigen dagegen die Krankenhausfälle, ist unter anderem auch die Fragestellung relevant, inwieweit die Klinik mehr Leistungen erbringt, die auch in anderen Versorgungsstrukturen erbracht werden können und hier grundsätzlich wirtschaftlicher sind. Das jüngste Urteil des Bundessozialgerichtes vom 25. September 2007 bekräftigt, dass eine Krankenkasse die Kosten eines Krankenhausaufenthalts nicht zu tragen hat, wenn nach den Krankheitsbefunden eine ambulante Therapie ausreicht (AZ: GS 1/06).

Analog entschied 2007 auch das Oberlandesgericht Zweibrücken: Die medizinische Notwendigkeit einer stationären Behandlung ergibt sich aus einem Vergleich mit der ambulanten Behandlungsform. Was ambulant genauso wie auf der Station behandelt werden kann, erfordere keine stationäre Behandlung (AZ: 1 U 77/07). Ambulante Therapien können operativ oder konservativ erfolgen. Im ambulanten operativen Bereich sind die Krankenhäuser generell zum ambulanten Operieren zugelassen. Damit einher besteht der gesetzliche Auftrag an die Partner der Selbstverwaltung, teure stationäre operative Leistungen durch kostengünstigere ambulante Eingriffe zu substituieren und damit einen Beitrag zur Kostensenkung im Gesundheitswesen zu leisten. DRG mit einem hohen ambulanten operativen Potenzial (§ 115 b SGB V) nach dem Fallpauschalenkatalog 2008 sind diesbezüglich unter anderem F49F, G24Z, G25Z, I24Z, I18B sowie J24D. In Deutschland werden offenbar auch im konservativen Bereich ambulante Behandlungsmöglichkeiten unzureichend genutzt. Die Zahl der stationären Behandlungen wegen Bluthochdrucks ist in Deutschland fast sechsmal höher als in den USA und rund fünfmal höher als in Australien. Auch bei der Behandlung von Diabetikern (ohne Folgeerkrankungen wie Operationen bei Gefäßleiden) zeigt sich in Deutschland eine gegenüber den USA um mehr als den Faktor zwei und gegenüber Australien um den Faktor 1,8 höhere stationäre Fallzahl.5 Zur Analyse dieser Versorgungsart „Ambulante konservative Behandlung" werden die Hauptdiagnose sowie spezifische Kriterien wie das Alter, der Schweregrad und die Verweildauer genutzt. Top-DRG sind hierbei nach dem Fallpauschalenkatalog 2008 unter anderem G67E, G72B, Z64B, D62Z und K60F.

Analyse durch verdachtsunabhängige Stichproben

Die Krankenkassen haben als zusätzliches Argument für die Verhandlung die Möglichkeit, zum Beispiel die Kodierung beziehungsweise das ambulante Potenzial durch eine verdachtsunabhängige Stichprobenprüfung nach § 17 c KHG zu analysieren. Dieses Instrument ist bisher nur sehr wenig zur Anwendung gekommen. Erste Erfahrungen mit Stichprobenprüfungen in Baden-Württemberg zeigen, dass etwa 20 Prozent der Fälle beanstandet werden. Bei 5,8 Prozent der geprüften Fälle wurde eine primäre Fehlbelegung festgestellt. Der höchste Anteil entfiel mit durchschnittlich 13,1 Prozent auf die ordnungsgemäße Abrechnung.

Literatur bei den Verfassern.

Anschriften der Verfasser:

Jörg Manthey, IKK-Landesverband Nord, Moislinger Allee 19 a, 23558 Lübeck

Dr. Volker Möws, TK-Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern, Wismarsche Straße 74 C, 19055 Schwerin .

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