Coronavirus, Kostendruck, Qualitätsanforderungen, Ansprüche der Patienten und Fachkräftemangel – all das erfordert eine selbstkritische Positionsbestimmung jedes Krankenhauses, schreiben unsere Autoren. Um eine Strategie für die Zukunftsausrichtung zu entwickeln, ist es notwendig, dass sich alle Berufsgruppen zusammensetzen.
Das Coronavirus Sars-CoV-2 hat Deutschland fest im Griff, immer mehr Länder melden rapid steigende Zahlen an Infektionsfällen und bringen damit unser Gesundheitssystem an seine Grenzen. Mittlerweile geht es nicht mehr nur darum, eine Verbreitung zu verhindern, sondern sie zu verlangsamen: Um Behandlungskapazitäten nicht zu überfordern gilt es, jede Infektionskette zu vermeiden. Das fordert die Krankenhäuser nun als Versorger aber auch intern bezogen auf die Hygiene in besonderem Maße. Durch zunehmenden Kostendruck, steigende Qualitätsanforderungen und immer stärker ausgeprägten Fachkräftemangel befinden sie sich ohnehin schon in einer angespannten Lage.
Krankenhäuser müssen sich insofern einer selbstkritischen Positionsbestimmung und Entwicklung einer Strategie für die Zukunftsausrichtung stellen. Jedes Krankenhaus muss überprüfen, ob das medizinische Leistungsangebot – im Kontext der Versorgungsnotwendigkeit in der Region und des Leistungsangebotes der Wettbewerber – noch zeitgemäß und zukunftsfähig ist. Eine zukunftsfähige Ausgestaltung des Versorgungsangebotes fordert die Ausrichtung nach Qualitätskriterien. Dazu sind Entwicklungen bzgl. der Strukturqualität, der Prozessqualität und evtl. auch der Ergebnisqualität sowie die Festlegung neuer leistungsrelevanter Mindestmengen zu antizipieren und zu berücksichtigen.
Eine für die Quantität und Qualität der Leistungserbringung wesentliche Schlüsselherausforderung stellt die Ausgestaltung der Arbeitswelt im Krankenhaus dar. Tradierte Rollenverständnisse und Organisationsformen treffen auf veränderte Ansprüche einer neuen Generation von Arbeitnehmern. Der zunehmende Fachkräftemangel im Gesundheitswesen könnte zum Teil auch Ausdruck einer nicht auf die Bedürfnisse der jungen Generation reagierenden Arbeitsumgebung sein.
Zukunft planen
Für jedes Krankenhaus ist es notwendig, eine tragfähige Zukunftsstrategie zu entwickeln. Dies gelingt besser in einem Klima der innovativen Weiterentwicklung mit intensiver Motivation, Einbeziehung und Aktivierung der Mitarbeiter. Eine Möglichkeit der Unterstützung eines stetigen Verbesserungsprozesses bieten moderierte multiprofessionelle, Teams, die kontinuierlich Schwächen analysieren und Vorschläge zur Beseitigung erarbeiten. In diesem Kontext spricht man heute auch von agilen Teams. Da lohnt sich auch ein Blick über die Grenzen, zum Beispiel nach Stockholm ins Südkrankenhaus, dem „Sodersjukhuset“. Mit 600 Betten ist es das zweitgrößte Krankenhaus von drei Krankenhäusern. Das „Südhaus“ hat eine eigene Innovationsabteilung etabliert, die zusammen mit den Mitarbeitern und dem Konzept des „Design Thinkings“ innovative Serviceangebote entwickelt und erprobt. Design Thinking stellt das Eingehen auf die Erfahrungen und Bedürfnisse der Mitarbeiter und Patienten ins Zentrum der Betrachtung. Es basiert auf dem Grundsatz, dass Probleme besser in berufsgruppenübergreifenden und interdisziplinären Teams gelöst werden können. Hier sollen Menschen in einem kreativen Umfeld gemeinsam Konzepte und Maßnahmen orientierend an der Vorgehensweise von Designern in einem experimentellen Setting entwickeln, ausprobieren, modifizieren und gegebenenfalls auch wieder verwerfen.
Die zur Neuausrichtung notwendigen Aufgaben kann nicht die Geschäftsführung alleine, nicht der Chefarzt alleine, nicht die Pflege und auch nicht das Controlling alleine bewältigen. Die Verantwortungsbereiche der verschiedenen Berufsgruppen sind auch nicht so klar voneinander getrennt, wie es häufiger angenommen wird. Selbstverständlich sind auch der Arzt und die Pflege für wirtschaftliche Fragen verantwortlich. Hierbei sollte die Rolle der Pflege gestärkt werden. Medizin definieren wir als die Summe der Leistungen aller am Patienten tätigen Berufsgruppen, Arzt und Pflege sollten sich gemeinsam in der Verantwortung sehen. Jede medizinische Entscheidung ist auch eine wirtschaftliche Entscheidung, da mit der Beauftragung beziehungsweise Durchführung von medizinischen Leistungen natürlich die Kostensituation und auch die Erlössituation gestaltet werden. Und die Geschäftsführung nimmt mit ihren Entscheidungen unter Umständen Einfluss auf die medizinische Leistungs- erbringung inklusive der Qualität. Der häufig postulierte zwanghafte Zusammenhang von Kosten und Qualität im Sinne einer Qualitätsverschlechterung bei Kostenreduktion besteht nicht. Eine Konzentration auf die tatsächlich dem Patienten nützenden Leistungsinhalte im Sinne eines Verschwendungsmanagements mit der Reduktion von „Leerleistungen“ kann Qualität verbessern und gleichzeitig Kosten senken. Das Controlling kann die Ärzte mit geeigneten Informationen in die Lage versetzen, ihre jeweiligen Verantwortungsbereiche zu steuern. Aber wohin sollen sie steuern? Die Definition des Ziels setzt ein gemeinsames Vorgehen voraus, also die gemeinsame Entwicklung einer Strategie und strategischer Ziele sowie darauf aufbauender strategischer Maßnahmen. Dabei ist es notwendig, dass sich alle Berufsgruppen gemeinsam über die Ziele und die Maßnahmen verständigen. Die Probleme des Krankenhauses sind nicht von einer der drei Berufsgruppen alleine zu lösen. Wahrscheinlich gewinnt eine weitere Berufsgruppe eine deutlich stärkere Bedeutung im Krankenhausumfeld: Angehörige der IT.
Alle Berufsgruppen, ein Ziel
Dabei spielen die Kommunikation der Führungskräfte untereinander sowie die Kommunikation in die Mitarbeiterschaft hinein eine ganz tragende Rolle. Alle sollten auch bereit sein, gemeinsam zu experimentieren und Neues zu erproben. Genau hier liegt ein Kernproblem: Das Gewohnte bietet scheinbar Sicherheit, die Veränderung – auch die notwendige – wird daher nur zögerlich angegangen.
Leider zeigen die tradierten Rollenbilder ein großes Beharrungsvermögen. Dadurch ist der Konflikt klassisch vorprogrammiert: Überspitzt dargestellt schaut die Geschäftsführung vorrangig auf das Geld und setzt die Chefärzte und die Pflege unter ökonomischen Druck, um für das Krankenhaus Profite zu erwirtschaften. Die Pflege ist nur ein Kostenfaktor und wird von den Ärzten toleriert, weil es eben ohne Pflege nicht geht. Die Ärzte sind die Könige, weil ohne sie das Krankenhaus sinnentleert wäre. Frustration entsteht dabei auf allen Seiten. Stellt dieses bewusst deutlich überzeichnete Bild in seinem Kern wirklich die Realität dar? Und wenn ja, muss sie wirklich so sein?
Expertise in Leadership
Die seit 2011 von der B. Braun-Stiftung regelmäßig durchgeführte Qualifikationsmaßnahme „Expertise in Leadership“ greift genau diese Frage auf und widmet sich der Entwicklung von Führungskräften, die ihre berufliche Zukunft im Krankenhaus sehen. Hierbei werden bewusst tradierte Wege der Seminargestaltung verlassen. Die Seminarreihe legt ihre Schwerpunkte auf ein interprofessionelles Lernen von den Erfahrungen der Referenten und den Teilnehmern. Neben den inhaltlichen Themen gilt es, insbesondere auch wichtige Fertigkeiten zur Mitarbeiterführung weiterzuentwickeln. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt ist der intensive Austausch der Teilnehmer untereinander und mit den Referenten innerhalb eines „geschützten Rahmens“, sodass zum Beispiel auch Themen des eigenen Krankenhauses diskutiert werden können. Mittlerweile haben mehr als 250 Führungskräfte das Programm „Expertise in Leadership“ erfolgreich abgeschlossen.
Heute bestehen die circa 30 Teilnehmer von Expertise in Leadership zu je einem Drittel aus Ärzten, Pflegekräften und Verwaltungsmitarbeitern. Gemeinsam entwickeln die Teilnehmer an komplexen Modellszenarien Lösungen für die Zukunftsausrichtung von fiktiven Krankenhäusern. Die unterschiedlichen Workshops widmen sich jeweils Themenschwerpunkten wie zum Beispiel Kommunikation (interdisziplinär und interprofessionell), Qualitätsmanagement, Change Management, Design Thinking und digitale Transformation, Prozessmanagement, Personalmanagement und Führung sowie das Krankenhaus als Unternehmen.
Dieser Ansatz sollte auch in den Krankenhäusern zur Entwicklung von Strategien und Maßnahmen zur Bewältigung der enormen Herausforderungen praktiziert werden. Das Krankenhaus besteht aus vielen Berufsgruppen, die dazu beizutragen, dass eine gute Versorgung der Patienten optimal organisiert funktioniert, und dabei versuchen, auch ihren ethisch anspruchsvollen Versorgungsauftrag wahrzunehmen. Genau deshalb ist es wichtig, dass alle im Krankenhaus Tätigen gemeinsam überlegen, wie sie ihr Krankenhaus verbessern können. Wie sie das Leistungsangebot gestalten und ausrichten, wie sie die Patientenorientierung weiterentwickeln und umsetzen und wie sie sich letztendlich als unverzichtbare Versorgungseinrichtung in der Region oder auch überregional positionieren möchten, dies sollten die Berufsgruppen in enger Vernetzung diskutieren und leben. Hierfür muss die Geschäftsführung den Rahmen schaffen. Ein vielversprechender Ansatz liegt darin, schon in der Ausbildung interprofessionelles Lernen systematisch zu integrieren: So ermöglichen einige Kliniken auch eine gemeinsame Ausbildung von PJ-Studierenden und Auszubildenden in Pflegeberufen. Wir sind davon überzeugt, dass es gemeinsam besser geht und dass mit neuen Formen der Qualifikation von innovativen – agilen – Teams experimentiert werden sollte.