Was Menschen in der letzten Lebensphase am meisten brauchen, ist in Kliniken am wenigsten vorhanden: Zeit und Personal. Sind Fürsorglichkeit und ein würdevoller Abschied trotzdem möglich? Ein Einblick in verschiedene Häuser zeigt den Umgang der Mitarbeiter mit Sterbenden, ihren Angehörigen – und dem Tod.
Spätestens 36 Stunden nach seinem Tod wird der Mensch, der mal ein Patient war, vom Bestatter abgeholt. Dann verlässt er das Krankenhaus. Jeden Morgen geht Heike Bocklage hinunter in die Leichenhalle. Sie schaut, ob der Verstorbene auf der Bahre richtig liegt, ob seine Hände auf dem Bauch gefaltet sind, der Körper mit einem Tuch bedeckt ist, keine Flüssigkeiten austreten. Alles soll seine Ordnung haben. „Ein Mensch wird ja nicht zur Sache, wenn er gestorben ist. Er soll auch dann seine Würde nicht verlieren“, sagt Bocklage. Sie ist Pflegerische Abteilungsleiterin der Stationen Gynäkologie, IKT, Orthopädie und Unfallchirurgie am Pius Hospital in Oldenburg. In einem Jahr sterben in dem katholischen Haus etwa 450 Menschen. So vergeht kaum ein Tag ohne den Tod. „Der ist nichts Ungewöhnliches für uns, er gehört zu unserer Arbeit“, sagt Bocklage.
Routine am Ende des Lebens
Endet ein Leben im Krankenhaus, greifen bestimmte Routinen: Ein Arzt nimmt die Leichenschau vor und stellt den Totenschein aus. Pflegekräfte entfernen alle Nadeln, Kanülen, Schläuche, waschen den Menschen, kämmen ihn, richten ihn her, ziehen ein frisches OP-Hemd über. Zu zweit, denn für eine Kraft allein wäre ein Leichnam zu schwer. Zwei Stunden später muss es eine zweite Leichenschau geben. Pflegende schieben den Toten danach im Bett in die Leichenhalle. Am Fußgelenk befestigen sie ein Etikett mit seinem Namen und heben ihn auf eine Bahre. Das Bett, in dem er starb, kann nun gesäubert und frisch bezogen werden und ist bereit für einen neuen Patienten. So ist der Lauf der Dinge, der Lauf des Lebens. Und dennoch ist es damit bei Weitem nicht getan.
Der Tod bleibt erschreckend und absolut. Einen nahestehenden Menschen zu verlieren, ist ein tiefer Einschnitt. Jeder Sterbenskranke und Sterbende hat seine ureigene Geschichte, seine Beziehungen, Eltern, Geschwister, Kinder, Freunde, seine Emotionen und Konflikte. Er ist mehr als eine Diagnose, Vitalparameter und Blutwerte. All das bringt er mit ins Krankenhaus.
Zertifizierung der DGP
Die DGP kann Palliativstationen zertifizieren und überprüft dafür die Struktur-,Prozess- und Ergebnisqualität. Die DGP-Zertifizierung bietet Palliativstationen den Nachweis, dass sie in der Lage sind, die Versorgung ihrer Patienten nach spezifizierten und normierten Vorgaben zu erbringen. Diese berücksichtigen unter anderem die Anforderungen der S3-Leitlinie „Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung“ und sind eng mit den Zertifizierungskriterien der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) für die Palliativversorgung in onkologischen Zentren abgestimmt. Palliativstationen können die DGP-Zertifizierung beantragen und werden von Fachprüfern bewertet.
Wie dort damit umgegangen wird, hängt von der Einrichtung ab. Denn eigentlich ist das, was der Sterbende am meisten braucht, ausgerechnet in Kliniken am wenigsten vorhanden: Zeit und Personal. Es kommt also darauf an, welche Bedeutung der Träger oder das Haus selbst einer Sterbekultur beimessen. Denn obwohl immerhin noch 420.000 Menschen jährlich in Krankenhäusern sterben, gehört diese längst nicht zum Standard oder guten Ton. „Oft bestimmen zufälliges Bemühen, Unkenntnis, Verdrängung und Zeitdruck den Umgang mit der letzten Lebensphase“, sagt Prof. Wolfgang George. Er ist Versorgungsforscher und Autor der Gießener Sterbestudie. Die Versorgung Sterbender ist in Kliniken kein Bestandteil des Qualitätsmanagements, lediglich die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) misst Qualität, wenn sie Palliativstationen zertifiziert. Von 1.900 Krankenhäusern haben 320 eine Palliativ- station. In circa 86 Kliniken sind multiprofessionelle spezialisierte Palliativteams im Einsatz, die meisten Einrichtungen bieten nur eine allgemeine Palliativversorgung an. Dort haben Mitarbeiter Weiterbildungen in diesem Bereich belegt. „Eine Palliativstation sollte in jedem größeren Krankenhaus und in Universitätskliniken fest zum Spektrum dazu gehören“, sagt Prof. Dr. Claudia Bausewein, die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Sie fordert: Jedes Krankenhaus braucht einen Palliativdienst, also ein multiprofessionelles Team, das schwerstkranke Menschen auf den Stationen mit betreut. Denn diese Teams können mit ihrer Expertise das Personal ungemein entlasten und die Versorgungsqualität erhöhen.
Aus- und Weiterbildung
Seit etwa zehn Jahren ist das Querschnittsfach Palliativmedizin Teil des Medizinstudiums. Es gibt jedoch nur an elf der 33 Medizinfakultäten in Deutschland einen Lehrstuhl für Palliativmedizin. Relativ neu ist die Möglichkeit, an einigen Fakultäten Palliativmedizin auch als Wahlfach im Praktischen Jahr zu wählen. Nach dem Facharztabschluss kann jeder Interessierte eine Subspezia-lisierung „Palliativmedizin“ zusätzlich erwerben. Für Gesundheits- und Krankenpflegende gibt es parallel eine eigene zertifizierte „Palliativ Care“-Ausbildung.
Bedürfnisse der Patienten im Mittelpunkt
Am Pius Hospital in Oldenburg zum Beispiel gibt es keine eigene Palliativstation, dafür aber eine im benachbarten evangelischen Krankenhaus, mit dem es eng kooperiert. Als konfessionelles Haus hat das Hospital einen würdevollen Umgang mit Patienten in jeder Lebensphase in seinen Leitlinien festgeschrieben. Mehrere Ärzte und auch Pflegende haben Fachweiterbildungen in Palliativversorgung absolviert. Heike Bocklage arbeitet seit 36 Jahren am Pius Hospital und versucht, Berufseinsteigern die richtige Haltung im Umgang mit Schwerkranken und ihren Angehörigen zu vermitteln. Im normalen Ablauf auf der Station sei es schwierig, immer Zeit für ein ausführliches Gespräch am Patientenbett oder mit Angehörigen zu finden. „Aber es ist so wichtig“, sagt sie. Herauszufinden, was dem Patienten in dem Moment guttut, ob er etwas zu trinken braucht oder Schmerzen hat. Auch Angehörige wollen Trost, Informationen oder einfach jemanden, der zuhört.
Immer wird ihnen die Möglichkeit eingeräumt, sich vom Verstorbenen zu verabschieden. Entweder noch im Patientenzimmer oder im Aufbahrungsraum. Die Seelsorgerinnen des Hauses können auf Wunsch dazugeholt werden. Den Sterbenden segnen, mit ihm beten, ein Lied singen – für gläubige Menschen ist das ein Trost. Obwohl: „Früher wurde mehr gebetet“, sagt Bocklage. Gerade jüngere Menschen machten das heute seltener am Totenbett.
Ihr selbst hilft ihr Glaube bei der Arbeit. Denn vieles geht ihr doch nahe. Onkologische Patienten zum Beispiel, die sie bereits nach der ersten Diagnose kennenlernt, die dann mit guten Aussichten entlassen werden, aber später mit einem Rezidiv zurückkehren und den Kampf gegen den Krebs verlieren. Oder verzweifelte Angehörige, die den Sterbenden nicht loslassen wollen. Bocklage hat Menschen erlebt, die erst dann gestorben sind, wenn die Angehörigen den Raum verlassen haben. Menschen, die kurz vorm Tod aufblühten und viel erzählten, aber auch laut stöhnende, sich aufbäumende Patienten und solche, die Bocklages Hand noch mal ganz fest gedrückt haben.
Grenzen der Sinnhaftigkeit erkennen
Ihr Kollege, Oberarzt Dr. Oliver Pöpken, muss das Gespräch mit f&w unterbrechen, weil er zu einem Patienten auf der Intensivstation gerufen wird. Der junge Mann leide an einer chronischen Bauchspeicheldrüsenentzündung und habe nun schwere Entzündungen im Bauchraum, erzählt er später. Ein Abszess habe sich gebildet, den man normalerweise operativ entfernen müsste. Doch eine OP würde der Mann nicht mehr überstehen. „Man weiß gar nicht so richtig, ob man diesen Kampf noch gewinnen kann“, sagt Pöpken. Er ist Facharzt für Anästhesie und spezielle anästhesiologische Intensivmedizin und Schmerztherapie sowie Spezialist für Palliativmedizin.
Sein Eindruck: Manche Ärzte und Pflegende verstecken sich bei sterbenden Patienten hinter ihrem Kittel und hinter Floskeln wie „wie geht’s denn so?“. Eine Antwort wollten sie nicht wirklich hören. „Sterben kann sehr problematisch und für alle Beteiligten fordernd sein; es läuft nicht immer wie im Lehrbuch“, sagt der Arzt. Ihm helfe es, sich zu jedem Patienten als Bild einen Kuchen mit verschiedenen Stücken vorzustellen: ein Stück für seinen Glauben, eines für die Familie, für seine Nationalität, seinen Beruf, eines für seine Symptome, eines für seine Gedanken zum Sterben, eines für seine Emotionen und eines für sein Verhalten. „So kann man die eigene Sprachlosigkeit überwinden, die oft mit solch bedrückenden Situationen einhergeht.“
Pöpken schätzt die Sichtweise des palliativmedizinisch ausgebildeten Personals auf den Patienten, weil sie ganzheitlich ist. „Wenn Palliativversorgung ins Krankenhaus einzieht, ändert sich der Spirit“, sagt er. Und dazu gehöre es auch, die Grenzen der Sinnhaftigkeit gerade in der Intensivmedizin zu erkennen. „Kann ein Patient nicht mehr überleben, ist es wichtig, Übertherapien am Lebensende einzugrenzen, zum richtigen Zeitpunkt auf die Bremse zu treten, dies, wenn noch möglich, mit dem Patienten zu besprechen und den Angehörigen kompetent zu vermitteln.“ Solche Entscheidungen, solche Therapiezieländerungen seien nur im Team und oft auch mit einer ethischen Fallberatung möglich.
Raum zum Abschiednehmen
Knapp 500 Kilometer entfernt, im sächsischen Freital, haben Jens Stoppok und Julia Kürschner sowie ihre Kollegen in den Helios Weißeritztal-Kliniken zwei harte Jahre hinter sich. Auch zu dem kleinen 340-Betten-Haus gehört keine Palliativstation, aber es gibt Mitarbeiter mit Palliativexpertise. Mit dem Projekt „Sterbende im Krankenhaus begleiten und umsorgen“ hat Helios von 2016 bis 2018 12.000 Mitarbeitende in Palliativversorgung geschult.
Kürschner hat seit 2016 die Pflegerische Leitung der Station für Pneumologie und Gastroenterologie inne, Pflegedirektor Stoppok arbeitet seit 35 Jahren an der Klinik. Beide sind erfahren im Umgang mit Sterbenden. Auf Kürschners Station werden unter anderem Menschen mit der nicht heilbaren Lungenerkrankung COPD behandelt, mit Tuberkulose und Krebs.
Normalerweise darf jeder Schwer- kranke in einem Einzelzimmer liegen, dürfen Angehörige dann möglichst so lange bleiben, wie sie wollen. Und wenn sie nach dem Tod des Patienten einen weiten Anfahrtsweg haben, werde notfalls auch noch mal das Zimmer, in dem bereits der Leichnam liegt, runtergekühlt, berichtet Kürschner. Auch hier gibt es einen Abschiedsraum, die Wände gelb und orange. Normalerweise erhalten Sterbende besondere Zuwendung, alles, was sie zur Symptomlinderung benötigen, bei Bedarf eine Aromatherapie, eine Salzlampe im Raum und Blumen. Auch letzte Wünsche werden erfüllt. „Wir sind eigentlich immer in engem Kontakt mit unseren Patienten“, sagt Kürschner. „Da wird noch mal gestreichelt, beruhigt, jeder soll in Frieden einschlafen können.“ Auf der Station gibt es eine Box mit Engelsfiguren, Tüchern und LED-Teelichtern. Gegenstände, die die Krankenhausatmosphäre im Sterbezimmer etwas überdecken sollen. Und manchmal bräuchten Angehörige einfach eine Umarmung, sagt Kürschner. Für einige ist es das erste Mal, dass sie einen toten Menschen sehen. „Abschiednehmen ist ein sensibles Thema“, sagt Stoppok. „Das hat so viel Tiefgang. Angehörige können noch Jahre später minutiös wiedergeben, was in den letzten Momenten mit dem Verstorbenen passiert ist. Damit sollte man sorgsam umgehen.“
Von der Coronawelle überrollt
Dann kam die Coronapandemie. Im Eingangsbereich der Kliniken standen fortan Security-Leute, Angehörige mussten draußen bleiben. Sachsen traf die zweite und dritte Pandemiewelle besonders hart und die kleine Weißeritztalklinik musste ihre üblichen fachlichen Strukturen fast komplett aufgeben. Zwei Stationen wurden in Coronastationen mit jeweils 28 Betten umgewandelt, so auch die von Kürschner. „Am meisten hat uns das Tempo überrannt“, sagt Kürschner. „Die Patienten kamen Schlag auf Schlag und alle brauchten Vollzeitpflege.“ Schutzkleidung an, ins Zimmer rein, Infusionen legen, Medikamente verabreichen, Werte überprüfen, dem Patienten das Liegen erleichtern, Essen reichen, alles im Zimmer verwendete Material sofort im Müll entsorgen, wieder raus, Schutzkleidung aus. Das Personal sei eigentlich nur noch über die Gänge gerannt und man habe sich schnell Sachen zugerufen, die man dringend für die Versorgung brauchte, die aber schon wieder knapp geworden waren. High-Flow-Geräte für die Sauerstoffversorgung zum Beispiel oder auch mal ganz einfach Waschschüsseln.
2.000 Coronapatienten hat das Haus in dieser Zeit aufgenommen, 180 sind gestorben. „Das war kein schönes Sterben“, berichtet Kürschner. Oft ganz plötzlich und unerwartet: „In der Bettenkonferenz haben wir noch darüber gesprochen, dass der Patient relativ stabil ist und bald entlassen werden kann“, sagt Stoppok. „Aber am nächsten Morgen war er tot.“ Manchmal habe sich der Zustand eines Patienten binnen weniger Stunden massiv verschlechtert. Man konnte nichts dagegen tun. „In zwei Stunden passiert da so viel im Körper“, erzählt Kürschner. „Die Organe bekommen nach und nach zu wenig Sauerstoff, der Patient hat massive Atemnot, Stress. Er schwitzt, krallt sich an einem fest.“ Und keine Angehörigen in der Nähe.
„Wir haben in dieser Zeit viele letzte Worte zu hören bekommen“, sagt die 34-Jährige. Oft, dass man der Familie sagen soll, dass der Patient oder die Patientin sie liebt. Jedes freie Bett wurde dringend gebraucht, also desinfiziert und sofort wieder belegt. Besonders schlimm sei das gewesen, wenn Ehepaare zusammenlagen und einer von beiden starb. „Wir mussten das Bett des Mannes wiederbelegen, während seine Frau völlig verstört war und selbst sterben wollte.“ Das sei allen Mitarbeitern unter die Haut gegangen. „Da flossen bei uns auch Tränen. Aber wir konnten das im Team auffangen, uns gegenseitig Kraft geben.“
Der Abschiedsraum für Angehörige blieb in dieser Zeit leer, auch die Sterbebox mit den Teelichtern und Engelsfiguren unberührt im Regal. Die Pflegekräfte steckten den Gestorbenen – wie vorgeschrieben – unmittelbar nach Eintritt des Todes in einen weißen Leichensack aus Plastik. Außen drauf die Markierung „Covid-19“ – dann wurde er abgeholt. Wenn sie daran denke, laufe ihr jetzt noch ein Schauer über den Rücken, sagt Kürschner. „Wir haben in der Zeit eigentlich nur noch funktioniert, aber wir sind daran gewachsen und haben gelernt, mit solchen Situationen umzugehen.“ Covid-19 wird der Pflege noch lange nachhängen, sagt Pflegedirektor Stoppok. „Das steckt uns allen in den Knochen.“
In den vorhandenen Pandemieplänen stand nicht viel drin zur Psychohygiene für Mitarbeitende. Zu diesem Ergebnis kommt das große Forschungsprojekt Pallpan, „Palliativmedizin und Hospizarbeit in einer Pandemie“, mit dem Netzwerk Universitätsmedizin. Aus den Ergebnissen haben die Forscher Handlungsempfehlungen abgeleitet, die den Kliniken nun vorliegen. Zur Unterstützung der Mitarbeiter, heißt es darin, sollte beispielsweise eine offene Sprechstunde der Psychosomatik angeboten werden, eine Krisenhotline und regelmäßig Supervision. Außerdem sollten Einrichtungen die Seelsorge einbeziehen, über das betriebliche Gesundheitsmanagement entlastende Angebote machen und für eine offene Gesprächskultur im Team sorgen.
Kommunikation auch ohne Worte
All das gehörte im Agaplesion Markus Krankenhaus in Frankfurt am Main schon vor der Pandemie dazu. Der Schwerpunktversorger mit 697 Betten betreibt eine eigene Palliativstation mit 18 Betten, die größte des Gesundheitskonzerns. Palliative Care ist Teil des Selbstverständnisses des christlichen Krankenhausträgers, sagt Dr. Bettina Beinhauer, die Leiterin Medizinmanagement. Agaplesion verfügt über 45 Palliativbetten und betreibt selbst sechs Hospize. Ziel sei es, in jeder Einrichtung ein palliativmedizinisches Angebot zu etablieren. In zwölf von 23 Häusern gibt es bereits eins, in jeder der Kliniken einen Abschiedsraum.
Die beiden Klinikseelsorgerinnen Ute Duppel-Martin und Cäcilia Kuhn kommunizieren mit Menschen in der letzten Lebensphase oft ohne Worte. „Da spielt sich ganz viel ab, auch wenn ein Patient nicht mehr in der Lage ist, zu sprechen“, erzählt die evangelisch methodistische Seelsorgerin Duppel-Martin. „Es kommt darauf an, mit welcher inneren Haltung ich den Raum betrete. Ich setze mich zu dem Menschen ans Bett, schaue, ob er gerade etwas braucht, etwas Flüssigkeit auf den Lippen, meine Hand an seiner, ein leise gesummtes Lied. Es geht darum, die Bedürfnisse dieses Menschen wahrzunehmen. Alles andere bleibt draußen.“ Daher hänge sie da auch ein Seelsorgeschild an die Zimmertür, auf dem steht: Bitte nicht stören. Es gebe immer eine Resonanz, ein kommunikatives Geschehen mit dem Patienten, auch wenn es nur ein Hauch sei, sagt auch ihre katholische Kollegin Kuhn. Mit Schutzkleidung, Visier und auf Abstand sei das aber schwierig gewesen. „Aber wir hatten noch unsere Augen und unsere Stimme“, sagt Kuhn.
Auch das hilft beim Abschiednehmen: „Auf der Palliativstation stellen wir ein Schränkchen vor die Zimmertür, darin ein Buch mit dem Namen und Geburtsdatum des Patienten. Angehörige und Mitarbeiter können dort einen Dank an oder einen Wunsch für den Verstorbenen reinschreiben“, erzählt Duppel-Martin. Außerdem werde einmal pro Woche in einer Besprechung der Gestorbenen gedacht. Jeder Mitarbeiter kann noch mal erzählen, was er mit dem Menschen verband. „Und wenn die Coronazeit vorüber ist, bieten wir wieder Klinikgottesdienste in der Krankenhauskapelle an. Zeit und Raum für Angehörige zum Trauern“, sagt Kuhn.
In Freital arbeitet Stationsleiterin Julia Kürschner seit 18 Jahren in der Weißeritztal-Klinik. Es ist nicht so, dass sie die Leidensgeschichten der Patienten mit nach Hause nimmt. Aber an jeden Menschen, der auf ihrer Station gestorben ist, könne sie sich erinnern, erzählt sie. „Nicht an alle Namen. Doch ich weiß, ach ja, das war der Patient mit dem Bett am Fenster in Zimmer 14.“
Hospiz- und Palliativgesetz
Das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativgesetz, HPG) vom Dezember 2015 soll dazu beitragen, die medizinische, pflegerische, psychologische und seel- sorgerische Versorgung von Menschen in der letzten Lebensphase zu verbessern und einen flächendeckenden Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung zu fördern. Palliativversorgung soll die Folgen einer Erkrankung lindern (Palliation), wenn keine Aussicht auf Heilung mehr besteht. Sie kann zu Hause, im Krankenhaus, im Pflegeheim oder im Hospiz erbracht werden. Mit dem Gesetz wurde die Palliativversorgung ausdrücklich Bestandteil der Regelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).