Die BAG Psychiatrie hat den bürokratischen Aufwand in psychiatrischen Kliniken genauer unter die Lupe genommen. Ihre These: Eine sinnvolle Deregulierung könnte den Fachkräftemangel deutlich entschärfen.
Die Bürokratiebelastung ist für die Krankenhäuser eines der umstrittensten Themen in der aktuellen Diskussion. Während sie für Krankenhausvertreter und Berufsverbände eines der größten Hemmnisse bei der Schaffung attraktiver Arbeitsplätze und damit bei der Personalgewinnung ist, sehen andere Stakeholder, wie zum Beispiel die Krankenkassen, dieses Thema als weniger relevant an. Im Gegenteil, von dieser Seite kommt sogar der Wunsch nach noch mehr Transparenz. Diese Forderungen lösen in den Kliniken große Besorgnis aus, da bereits heute ein erheblicher Teil der Arbeitszeit für die Dokumentation und die damit verbundenen bürokratischen Tätigkeiten aufgewendet werden muss. Die Angaben schwanken je nach Studie zwischen 30 und 50 Prozent der Arbeitszeit.
Gesundheitsminister will weniger Bürokratie
In der politischen Diskussion ist das Thema inzwischen in § 220 Abs. 4 SGB V verankert. Dort wird angekündigt, dass das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) bis zum 30. September 2023 Empfehlungen zum Bürokratieabbau im Gesundheitswesen erarbeiten soll. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger Psychiatrischer Krankenhäuser (BAG Psychiatrie) hat diesen Gedanken aufgegriffen und den bürokratischen Aufwand in psychiatrischen Kliniken genauer unter die Lupe genommen. Ziel war es, die zum Teil emotional geführte Diskussion zu versachlichen. Insofern wurden die wesentlichen Prozesse im Hinblick auf den bürokratischen Aufwand analysiert und bewertet.
Der BAG Psychiatrie ist es wichtig, die Transparenzinteressen der verschiedenen Akteure nicht infrage zu stellen. Insofern geht es in der Diskussion nicht nur darum, die Höhe des Aufwands zu beklagen, sondern einen konkreten Vorschlag zu machen, wie der Aufwand unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen dennoch nachhaltig reduziert werden kann. Sollte es gelingen, eine solche Liste zu erstellen und auch gesetzlich oder in der Selbstverwaltung zu verankern, hätte dies für die psychiatrischen Kliniken einen unmittelbaren und großen Vorteil, weil es die Attraktivität der Arbeit im klinischen Bereich seit vielen Jahren endlich wieder deutlich erhöhen würde. Die dort Tätigen betonen seit Langem, dass sie diesen Beruf nicht gewählt haben, um bürokratische Arbeit zu leisten, sondern um sich unmittelbar den Patienten zu widmen. Natürlich geht das eine nicht ganz ohne das andere, aber der Verwaltungsaufwand sollte in Grenzen gehalten werden. Unter diesem Gesichtspunkt sollten alle konkreten Möglichkeiten des Bürokratieabbaus genutzt werden. Es könnte aber auch auf einen Schlag ein enormes Potenzial an Vollzeitkräften für die eigentliche Patientenbegleitung frei werden.
Zur Konkretisierung der Fragestellung hat die BAG Psychiatrie in einer Arbeitsgruppe die Bürokratiebelastung näher untersucht. Dabei wurden vier Untergruppen gebildet:
- Finanzierung und Budget
- Leistungsabrechnung
- Qualitätssicherung
- Behandlung und Unterbringung
So war es möglich, eine Übersicht des gesamten Bürokratieaufwands in einer Klinik zu erstellen und zu analysieren, wie er sich für jeden einzelnen Schritt reduzieren lässt. Tabelle 1 zeigt anhand von sechs beispielhaften Prozessen eine Zusammenfassung für diese einzelnen Aufwände.
Klinische Berufe sind besonders belastet
Der Gesamtaufwand wurde für eine Klinik mittlerer Größe mit einer jährlichen Fallzahl von 4.000 Fällen, einer Verweildauer von durchschnittlich 24 Tagen und acht Standorten ermittelt. Die Annahme einer repräsentativen Klinik ist erforderlich, da die konkreten Dokumentationspflichten ebenfalls von diesen Parametern abhängen. Der sich aus dieser Berechnung ergebende Dokumentations- und Nachweisaufwand für diese repräsentative Klinik beträgt 267.231 Stunden. Bei einer Jahresarbeitszeit von 1.600 Stunden ergibt sich damit ein Gesamtaufwand in dieser Klinik in Höhe von 167 Vollkräften. Das auf dem dargestellten Wege ermittelte Einsparpotenzial beträgt wiederum rund 76 Vollkräfte. Die Lasten für die Dokumentations- und Nachweispflichten sind dabei sehr einseitig vor allem auf die klinischen Berufe verteilt. Von dem gesamten Aufwand entfallen alleine 160 Vollkräfte auf diese Berufsgruppen. Dies hängt damit zusammen, dass die administrativen Aufwendungen, zum Beispiel in der Abrechnung, nachgelagert erfolgen und nicht Teil dieser Betrachtung waren.
Hinter diesen Zahlen verbirgt sich eine gewaltige Botschaft: Wenn es gelingt, den bürokratischen Aufwand in einem sinnvollen Maß zu reduzieren, ergeben sich beeindruckende Effizienzpotenziale. Diese sind in der Lage, die Attraktivität des Arbeitsumfeldes deutlich zu steigern, kurzfristig das Fachkräfteproblem zu lösen und langfristig einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der Versorgungsqualität zu leisten.
Geht man in einer weitergehenden Betrachtung für das gesamte Bundesgebiet von einer Fallzahl von derzeit knapp einer Million psychiatrischer Fälle aus und rechnet die Zahlen der repräsentativen Klinik hoch, so ergibt sich in den psychiatrischen Kliniken ein Aufwand von über 41.000 Vollkräften für die Dokumentations- und Nachweispflichten. Gelingt es, diesen wie dargestellt zu reduzieren, ergibt sich ein Potenzial von 18.852 Vollkräften. Dieses Personal stünde unmittelbar für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung zur Verfügung.
Die dargestellten Daten zeigen, welch großes Potenzial in einer ernsthaften Deregulierung liegen kann. Wir können durch Entscheidungen von Politik und Selbstverwaltung eine Vielzahl von Fachkräften wieder der Patientenversorgung zur Verfügung stellen, ohne gleichzeitig intransparent zu werden. Es liegt also in den Händen von Politik, Krankenkassen und Krankenhäusern, den Fachkräftemangel zeitnah zu entschärfen. Ein entsprechender Vorschlag sollte daher zügig verhandelt, konsentiert und umgesetzt werden. Nur wenn es gelingt, die Dokumentations- und Nachweispflichten unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der verschiedenen Beteiligten deutlich zu reduzieren, können Kliniken auch in Zukunft attraktive Arbeitsplätze bieten.
Parallel zu diesem Bürokratieabbau gibt es aber auch Bereiche, in denen im Interesse der Patienten mehr Transparenz geschaffen werden kann. So sollte es auf jeden Fall eine bundesweit einheitliche Definition der Kennzahlen zu den Psychisch-Kranken-Hilfegesetzen der Länder geben. Nur wenn die Daten bundesweit vergleichbar sind, können sich große Träger auf vergleichende Untersuchungen einlassen. Die BAG Psychiatrie macht damit nicht nur einen Vorschlag zum Bürokratieabbau, sondern auch zu einem weiteren Schritt in Richtung Transparenz und Qualität der psychiatrischen Versorgung.