ePA für alle

Tempo anziehen

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  • 19.12.2024

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Ausgabe 1/2025

Seite 94

Der Testlauf der elektronischen Patientenakte (ePA) in den Modellregionen Franken und Hamburg wird am 15. Januar starten. Bereits einen Monat später soll der Roll-out mit der Nutzungsverpflichtung für Leistungserbringer – bei erfolgreichem Testverlauf – folgen. Doch ist die ePA tatsächlich reif? Ein Kommentar.

Das Digital-Gesetz (DigiG) stärkt die ePA als zentrale Datenplattform im deutschen Gesundheitssystem. Ziel ist es, den Datenaustausch und die -nutzung zu fördern, um letztlich die Versorgung zu verbessern – etwa durch digital unterstützte Medikationsprozesse. Die Einführung erfolgt nach dem Opt-out-Prinzip, wodurch Versicherte aktiv widersprechen müssen, wenn sie die ePA nicht nutzen möchten.

Der Anschluss an die ePA erfolgt für alle Einrichtungen, die an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossenen sind, darunter Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken, im Februar – so der Plan. Allerdings fehlen gerade vielen Krankenhäusern und Arztpraxen weiterhin die technischen und prozessualen Voraussetzungen, um die ePA überhaupt effektiv zu integrieren.

Was Deutschland von Estland oder Israel lernen kann

Hinlänglich bekannt ist, dass Deutschland im internationalen Vergleich beim Aufbau einer digitalen Infrastruktur wie der ePA hinterherhinkt. Länder wie Israel, Estland und die skandinavischen Staaten sind in vielen Bereichen weiter. Israel speichert Daten in elektronischen Akten bereits seit Jahrzehnten – sicher auch bedingt durch die Tatsache, dass führende Organisationen wie Clalit sowohl Kostenträger als auch Leistungserbringer sind. Auf dieser Basis werden beispielsweise bereits präventive Screenings für Hepatitis C durchgeführt.

Estland zeigt, dass nicht gleich komplexe Vorhersagemodelle notwendig sind: Dort weist das System medizinisches Personal täglich auf Tausende potenziell gefährliche Wechselwirkungen hin – und das bei nur 1,3 Millionen Einwohnern.

Auch wenn der Vergleich für Deutschland ernüchternd ausfällt, stehen viele Länder mit öffentlichen Gesundheitssystemen vor ähnlichen Herausforderungen. Das liegt auch am hohen Planungs- und Koordinierungsaufwand zwischen den zahlreichen Akteuren.

Lock-in-Effekte und Marktpotenziale

Die Gematik und die TI spielen Schlüsselrollen bei der ePA-Implementierung. Krankenkassen setzen auf eine duale Struktur: Neben einem Basismodul, dessen Rahmen die Gematik setzt, entwickeln einige zusätzliche ePA-Plus-Funktionen. Doch bislang fehlt es oft an konkreten, nutzbringenden Anwendungsfällen mit einer breiten Datengrundlage.

Hinzu kommt, dass sich auf dem Markt für die ePA ein Duopol herausgebildet hat: Das US-Unternehmen IBM entwickelt die ePA für große Kassen wie Techniker, Barmer und AOK, während RISE aus Österreich für die der Bitmarck-Gemeinschaft tätig ist. Diese Konzentration birgt das Risiko von Lock-in-Effekten, die Anbieterwechsel seitens der Kassen unattraktiv machen.

Um mehr Dynamik in die Entwicklung und Nutzung der ePA zu bringen, wäre die Erwägung möglich, die ePA als Plattform unter entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen für Drittanbieter leichter zugänglich zu machen: Zum Beispiel könnten digitale Gesundheitsanwendungen wie Tagebücher für chronisch Kranke, personalisierte Coaching-Programme oder telemedizinische Services in die ePA integriert werden und das Potenzial einer datengeleiteten Versorgung mehr ausschöpfen.

Primärsysteme: Rolle der Softwarehersteller

Wiederum sind die Hersteller von Primärsystemen wie Praxisverwaltungssystemen (PVS) und Krankenhausinformationssystemen (KIS) kritisch für die flächendeckende Nutzung der ePA in der Leistungserbringung, denn sie müssen ihre Anwendungen um ePA-Module erweitern, die Leistungserbringern den Zugriff ermöglichen.

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ist nun von seinem ursprünglichen Plan abgerückt, die Hersteller bereits zum 15. Januar zum Ausrollen der Module zu verpflichten, sondern erst nach erfolgreichen Tests in den Modellregionen. Mit der Kürzung der TI-Pauschale ab Mitte dieses Jahres und ab 2027 gibt es nun aber erste sanktionsbewehrte Mechanismen, die die Verbindlichkeit seitens der Hersteller erhöhen sollen.

Die Versprechen der Medikationsliste

Langfristig hat die ePA das Potenzial, die Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern, da zentrale Daten an einem Ort gespeichert und so besser analysiert werden können. Ein erster großer Anwendungsfall ist die Einführung eines elektronischen Medikationsplans. Dieser soll helfen, Wechselwirkungen zwischen Medikamenten frühzeitig zu erkennen. Ab Januar 2025 soll es laut Gesetz die elektronische Medikationsliste (eML), ab Juli dann den elektronische Medikationsplan (eMP) geben. Beide werden in die ePA integriert, sodass Ärzt:innen und Patient:innen einen einheitlichen Überblick über verschriebene Medikamente erhalten. Auch wenn die konkrete Umsetzung noch vor einigen Herausforderungen steht, könnte die standardisierte Erfassung und Bereitstellung von Medikationsdaten an einem zentralen Ort eine präzisere sowie sicherere Behandlung ermöglichen.

Leistungserbringer ins Boot holen

Die ePA wurde ursprünglich vor allem aus der Perspektive der Patient:innen konzipiert, die Herr ihrer Gesundheitsdaten sein und sie selbst verwalten können sollen. Doch in der Praxis stellt sich die Frage, ob die Mehrzahl der Patient:innen tatsächlich die Verantwortung für ihre Daten selbst in diesem Maß übernehmen möchte. Viele könnten es weiterhin bevorzugen, Entscheidungen zur Datenverwaltung und zu ihrer Gesundheit an Ärzt:innen zu delegieren. Auch deshalb ist es wichtig, die Akzeptanz der ePA sowohl bei Patient:innen als auch beim medizinischen Personal weiter zu steigern. Funktionalitäten sollten auch mit dem Ziel entwickelt werden, Ärzt:innen direkte Vorteile in ihrem Arbeitsalltag zu bieten; zum Beispiel für eine effizientere Dokumentation und noch bessere Befundung. Wichtig wird dabei sein, die ePA so in die bestehende Anwendungslandschaft und die klinischen Prozessketten zu integrieren, dass unterm Strich das Personal auch entlastet werden kann.

Schlüssel zur datengeleiteten Versorgung

Der Aufwand, den die Gesellschaft mittel- und langfristig betreibt, die ePA zu etablieren, lohnt sich jedoch erst, wenn sie eine datengeleitete Versorgung ermöglicht. Das heißt: das Solidaritätsprinzip auf die Gesundheitsdaten anwenden und sie – unter Berücksichtigung der Vorgaben des Datenschutzes – dafür nutzen, Versorgungs- und Krankheitsverläufe anhand von Patientenpfaden in Vergleichsgruppen zu analysieren und vorherzusagen, um schließlich personalisierte Empfehlungen und Interventionen sowohl durch Krankenkassen als auch Leistungserbringer an die Patient:innen zu ermöglichen. Dies erfordert aber sowohl seitens der Krankenkassen als auch der Krankenhäuser neue Ansätze in der Datenanalytik.

Damit wird schließlich deutlich, dass die ePA nicht nur antritt, die Sektorengrenze zwischen dem ambulanten und stationären Bereich zu überwinden, sondern auch die Grundlage schafft für eine neue Form der Kooperation zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern. Eine populationsbezogene, Outcome-orientierte Versorgung der Versicherten rückt in greifbare Nähe.

Um die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems endlich auf eine höhere Stufe zu heben, ist es höchste Zeit, den Prozess zu beschleunigen. Angesichts der aktuellen politischen Lage und Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist das das Gebot der Stunde.

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