Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) hat das Monopol auf die ambulante Versorgung der gesetzlich Versicherten verloren. Doch das System wehrt sich gegen unliebsame Konkurrenz.
Der Gesetzgeber hat mit der jüngsten Gesundheitsreform privaten Anbietern in größerem Umfang als bisher Versorgungsverträge mit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erlaubt. Neben der bereits seit 2003 zulässigen und auch eifrig praktizierten Integrationsversorgung nach Paragraph 140 d SGB (Sozialgesetzbuch) V sind seit dem 1. April 2007 die neu gefassten Paragraphen 73 b und c des SGB V getreten. Paragraph 73 b erweitert und spezifiziert die bisher schon mögliche „Hausarztzentrierte Versorgung“, Paragraph 73 c führt die „besondere ambulante ärztliche Versorgung“ neu ein. Beide Optionen sind für Ärzte wie Versicherte freiwillig.
Die Erste stellt den koordinierenden und steuernden Hausarzt ins Zentrum der Versorgung jener Patienten, die sich in ein entsprechendes Programm eingeschrieben haben. Der Hausarzt ist im Krankheitsfall immer die erste Anlaufstelle. Im zweiten Modell, mit dem es noch keine Erfahrung gibt, werden wohl Fachärzte spezielle Leistungen zu Konditionen zur Verfügung stellen, die zum Beispiel im Preis oder in den Kriterien der Qualitätssicherung von der Regelversorgung abweichen.
In beiden Fällen können Anbieter (das können einzelne Kassenärzte, Gemeinschaften von ihnen, aber auch nichtärztliche Vertragspartner sein) einerseits die Kassenärzte zum Zweck der Versorgung unter Vertrag nehmen, um andererseits mit den Kassen Versorgungsverträge für deren Versicherte zu schließen. Aber auch die Kassenärztlichen Vereinigungen können als solche „Anbieter“ auftreten. Die bisherigen Kollektivverträge zur Regelversorgung der Versicherten zwischen KV und Kassen bleiben davon zunächst unberührt.
Doch sowohl in der hausarztzentrierten als auch der besonderen ambulanten Versorgung ist die von den Kassen an die KV gezahlte Gesamtvergütung um jenen Betrag „zu bereinigen“, also zu kürzen, der auf die neuen Vertragsformen entfällt, und zwar in dem Unfang, in dem die Verträge nicht über den GKVLeistungskatalog hinausgehende zusätzliche Leistungen anbieten (wie etwa erweiterte Früherkennung), sondern Leistungen der Regelversorgung ersetzen.
Freie Verträge mindern KV-Vergütung
Damit ist das Konfliktfeld beschrieben: Dem KV-System drohen massive finanzielle Verluste, wenn es im aufkeimenden Vertragswettbewerb nicht obsiegt. KV-Funktionsträger befürchten zudem, dass durch die neuen Verträge im Rahmen einer „Rosinenpickerei“ gerade finanziell interessante Leistungen aus der Regelversorgung herausgelöst werden könnten, während der unattraktive Rest über die KV abzuwickelnde Pflichtleistung bliebe. Die Vereinigungen hätten mit schwindenden Mitteln diese Basisversorgung im Rahmen ihres gesetzlichen Sicherstellungsauftrages zu gewährleisten.
Sie hätten weiter aufwändige und teure Verwaltungsleistungen wie die Kontrolle der Abrechnung sowie Prüf- und Regressverfahren zu betreiben – allerdings mit stetig sinkenden Haushaltsmitteln. Denn die KV finanziert sich über eine von ihren ärztlichen Pflichtmitgliedern zu entrichtende Verwaltungskostenumlage (ein je nach KV unterschiedlicher Prozentsatz vom über die KV erzielten Umsatz der Praxis). Mit jedem Cent, um den die Gesamtvergütung bereinigt wird, sinkt die Basis für die prozentuale Umlage. Der KV fehlen dann Mittel – oder sie müsste die Umlagesätze erhöhen und damit die im System erbrachten Leistungen unattraktiver machen. Noch ist dies keine spürbare Realität, denn das Vertragsgeschäft steckt ja noch in den Kinderschuhen. Doch die Entwicklung geht in diese Richtung, und der kluge KV-Funktionär beugt vor und beißt Konkurrenten frühzeitig weg.
Während bei der besonderen ambulanten Versorgung noch keine Projekte am Start sind und sich noch keine Anbieter profilieren konnten, sieht das bei der hausarztzentrierten Versorgung ganz anders aus. Hier hat der Deutsche Hausärzteverband bereits im Rahmen der Integrierten Versorgung über eine Tochtergesellschaft – die hausärztliche Vertragsgemeinschaft – zahlreiche und im Bereich des Paragraphen 73 b einige Verträge abgeschlossen und zudem auch bewiesen, dass er sie managen kann. So schließt sich der Kreis zu dem Misstrauensantrag, dem der Hausarzt im Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Allgemeinarzt Ulrich Weigeldt, zum Opfer gefallen ist.
Formal wurde in der entscheidenden KBV-Vertreterversammlung das Vertrauen für beide Vorstandsmitglieder abgefragt.
Dem bisherigen Vorstandsvorsitzenden, dem Facharzt und Betriebswirt Dr. Andreas Köhler, wurde das Vertrauen ausgesprochen, Weigeldt aber das Misstrauen – und zwar jeweils mit großen Mehrheiten. Tags darauf trat Weigeldt zurück, um einer formellen Abberufung zuvorzukommen. Nur wenige Tage später wurde er durch den Allgemeinarzt Dr. Carl- Heinz Müller ersetzt. Die KBV Vertreterversammlung der KBV wählte den 51 Jahre alten, bisherigen Vorsitzenden des Vorstands der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz mit 56 von 57 Stimmen zum neuen Vorstand mit Aufgabenschwerpunkt und primärer Zuständigkeit für den hausärztlichen Versorgungsbereich. Satzungsgemäß muss dies ein Hausarzt sein. Es konnte also diese Position nicht mit einem Facharzt besetzt werden.
Warum wurde der Wechsel von zahlreichen hausärztlichen Delegierten der KBV-Vertreterversammlung betrieben? Da hilft ein kurzer Blick in die Historie: Bis 2004/2005 waren KV- und KBV-Vorsitzende sowie Vorstandsmitglieder ehrenamtlich tätig und mussten zwingend Kassenärzte oder ermächtigte Krankenhausärzte sein. Dies änderte das Gesundheitssystemmodernisierungs- Gesetz (GMG) mit den kassenärztlichen Vorstandswahlen der Wahlperiode 2004/2005. KV-Vorsitzende sind seither hauptamtliche Angestellte der jeweiligen KV oder der KBV.
Sie erhalten einen Dienstvertrag und ein Gehalt, werden allerdings zuvor von den Vertreterversammlungen der Körperschaften gewählt und können auch von diesen abberufen werden. Das Ganze nennt sich „öffentlich-rechtliches Amtsverhältnis“. Neu ist auch, dass die Vorsitzenden keine Ärzte sein müssen, sondern eine KV kann auch einen Verwaltungsfachmann, Betriebswirt oder Juristen als Vorsitzenden wählen.
Handfeste wirtschaftliche Interessen
Köhler wurde 2005 zwar als primär verantwortlich für den fachärztlichen Versorgungsbereich in den
Vorstand gewählt und sodann zum Vorstandsvorsitzenden bestimmt. Er war zum Zeitpunkt seiner Wahl als vorheriger Hauptgeschäftsführer der KBV aber kein klassischer Berufspolitiker. Weigeldt hingegen war bis zu seiner Wahl ins KBV Amt niedergelassener Arzt in Bremen und Vorsitzender des Hausärzteverbandes. Ihm wurde von KBV-Delegierten wiederholt unterstellt, Forderungen des Verbandes aus seiner berufspolitischen Heimat auch im KBV-Amt zu protegieren und den Verband mit KBV-Interna zu versorgen.
Letzteres konnte formell nie nachgewiesen werden, Ersteres war verschiedentlich erkennbar. So zum Beispiel bei jüngsten Forderungen des Hausärzteverbandes nach einer Honorarverdoppelung im Zuge der aktuell anstehenden Umstrukturierung der kassenärztlichen Vergütung. Aber auch bei den oben diskutierten Hausarztverträgen nach Paragraph 73 b des SGB V und bei der Integrierten Versorgung, wo Hausärzteverband und Kassenärztliche Vereinigungen
als Konkurrenten um lukrative Kassenverträge auftreten.
Die Loyalitäten sind klar
Fachärzte sahen zudem durch die Honorarforderungen des Hausärzteverbandes ihre Vergütungsanteile bedroht, und die hausärztlichen Vorstände der regionalen Vereinigungen, die durch diesen Status automatisch Delegierte der KBV Vertreterversammlung sind, setzen als hauptamtliche Angestellte dieser Körperschaften natürlich primär auf eigene Verträge mit den Kassen. Sonst sägten sie schließlich den Ast ab, auf dem sie sitzen. Und immerhin erhalten KV-Vorsitzende je nach KV zwischen 160 000 und 260 000 Euro jährlich für ihre Arbeit. Da sind die Loyalitäten klar.
In dieser Konstellation wurde Weigeldt zur unerwünschten Person, obwohl ihm formale Fehltritte nicht nachgewiesen wurden. So soll er auch eine nicht unerhebliche Abfindung erhalten haben. Sein Nachfolger Dr. Müller ist „KVMann“ und nicht im Hausärzteverband verwurzelt. Damit ist innerhalb des KV-Systems ein Konflikt beseitigt. Allerdings hat Dr. Müller das Problem, dass der Hausärzteverband mit immerhin über 30 000 Mitgliedern (von rund 59 000 Hausärzten) ihm die Vertretungsberechtigung für diese Berufsgruppe abspricht.
Insgesamt hat das KV-System klargemacht, dass es seine Vormachtstellung zu verteidigen gedenkt und sich schon gar nicht von innen her aufrollen lassen will. Hierzu sollen übrigens auch Satzungsänderungen beitragen, die dem „Geheimnisverrat“ durch Funktionsträger unterhalb der Vorstandsebene vorbeugen sollen. Auch das zielt primär gegen den Hausärzteverband, der durchaus verbandstreue ehrenamtliche Delegierte mit Anhörungs- und Informationsrechten in Delegiertenversammlungen und Ausschüssen der Körperschaften platzieren und bisher halten konnte.
Im Zusammenhang mit dem neuen Vertragswettbewerb sagt KBV-Vorstandsvorsitzender Köhler dazu: Bei Mercedes sitzt ja auch keiner von BMW in den Vorstandssitzungen. Der Hausärzteverband kontert: Mercedes kann BMW aber auch nicht mit Pflichtbeiträgen Konkurrenz machen, die BMW bezahlen muss. Gemeint sind die erwähnten KV Umlagen.
Die „Frontlinie“ im Konflikt um die neuen Vertragsmöglichkeiten verläuft allerdings nicht nur Hausärzteverband kontra KV.
So hinderte zum Beispiel kürzlich eine Delegiertenmehrheit, getragen von berufspolitisch ansonsten eher verfeindeten Verbänden in der Vertreterversammlung der KV Baden- Württemberg, den dortigen KVVorstand an der Unterschrift unter einen fix und fertig verhandelten, ausformulierten und sogar schon bei den Versicherten beworbenen 73er- Vertrag. Die Konditionen erschienen der Mehrheit der Delegierten einfach zu schlecht, den freien Verbänden traute man Besseres zu.