Aktuelle Studien der Deutschen Industriebank, Prognos und Roland Berger prognostizieren der Gesundheitsbranche ein dynamisches Wachstum
Der Ausbau von Unternehmen über das eigene Kerngeschäft hinaus ist bisher auf dem Gesundheitsmarkt eher selten. Eingeschlagen hat diesen Weg die Vanguard AG. Über Beweggründe, Chancen und Risiken dieser Diversifizierung sprach „Die GesundheitsWirtschaft“ mit Robert Schrödel, dem Vorstandsvorsitzenden der Vanguard AG.
"Der Gesundheitssektor zählt heute – wie in Zukunft – zu den wachstumsstärksten Wirtschaftsbereichen in Deutschland. Bis zum Jahr 2030 wird die Bruttowertschöpfung der Gesundheitsbranche real um rund 50 Prozent zunehmen. Dieses Wachstum wird insgesamt 700.000 neue Arbeitsplätze schaffen."
Zu diesem Ergebnis kommen IKB Deutsche Industriebank AG und Prognos AG im Rahmen einer gemeinsamen Studie. Und Roland Berger Strategy Consultant sieht breiten Raum für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, die heute schon nachgefragt, aber nicht bedient würden.
Wichtigste Wachstumstreiber seien vor allem drei Faktoren: die Alterung der Bevölkerung, die überaus starke Innovationsdynamik in Medizintechnik und Pharmaindustrie sowie die zunehmende Bereitschaft der Verbraucher, ihre Ausgaben für Gesundheitsleistungen auszuweiten.
An der starken Wachstumsdynamik würden alle Teilbranchen des Gesundheitswesens partizipieren. Dies gelte im Besonderen für die international ausgerichtete Medizintechnik, deren Umsatz sich innerhalb nur eines Jahrzehnts voraussichtlich verdoppeln werde. Auch die Pharmaindustrie nehme ihre Chancen im Inland und verstärkt noch im Ausland wahr. Zur Geschäftsausweitung der Pharmaindustrie trügen vor allem Biopharmazeutika, deren aktuelle Zuwachsrate jährlich zehn Prozent betrage, sowie unverändert auch Generika bei.
In der Krankenpflege sei das Wachstum durch den steigenden Bedarf an Heimplätzen programmiert. So rechne man in den kommenden 15 Jahren mit 170.000 neuen Betten. Bei den Krankenhäusern und in der ambulanten Versorgung falle das Wachstum etwas geringer aus, weil hier der Effizienzdruck, der von der staatlichen Gesundheitspolitik ausgehe, besonders groß sei.
Vor diesem Hintergrund seien in der Gesundheitsbranche erhebliche Konsolidierungsprozesse in Gang gekommen, die insbesondere die Schaffung neuer Angebotsformen beinhalteten. Dabei würden bislang recht starre Grenzen zwischen den Sektoren aufgebrochen, eine Verzahnung von Akteuren über bisherige Trennlinien hinweg gewinne immer mehr an Bedeutung, zum Beispiel zwischen Reha und Pflege, zwischen Krankenhausbetreibern und Medizintechnikunternehmen oder zwischen Krankenkassen und Arzneimittelherstellern
. Ein besonders vielversprechendes Kooperationsmodell seien die Medizinischen Versorgungszentren, in denen Arztpraxen und Krankenhäuser unter Ausnutzung von Synergieeffekten zusammenarbeiten können. Die Studie IKB Prognos geht von 1.000 dieser Zentren schon bis Ende 2007 aus.
Steigende Nachfrage, unzureichendes Angebot
Dass die Deutschen – quer durch alle Bevölkerungsschichten – bereit sind, für ihre Gesundheit immer tiefer in die Tasche zu greifen, bestätigt die Studie von Roland Berger „Der zweite Gesundheitsmarkt – Die Kunden verstehen, Geschäftschancen nutzen“. Jeder Erwachsene gebe mittlerweile jährlich 900 Euro aus für Vorsorgeuntersuchungen, alternative Medizin, Wellness, Sport und gesunde Ernährung. Dieser sogenannte Zweite Gesundheitsmarkt betrage jetzt schon im Jahr 60 Milliarden Euro, die Nachfrage liege sogar bei 76 Milliarden Euro.
„Fast alle Bevölkerungsgruppen, unabhängig vom Einkommen, möchten zunehmend etwas für ihre Gesundheit tun und nutzen gesundheitsfördernde Produkte und Dienstleistungen“, erklärt Dr. Joachim Kartte, Partner von Roland Berger.
Bislang nutzten jedoch sowohl Politik als auch Unternehmen die Chancen des „Zweiten Gesundheitsmarktes“ nur recht zögerlich. Doch durch die gezielte Förderung dieses Gesundheitsmarktes könnte die Politik zwei Ziele gleichzeitig erreichen: die Gesundheit der Bevölkerung verbessern und neue Arbeitsplätze schaffen.
Gerade für ein Land mit relativ stark alternder Bevölkerung sei es wichtig, dass die Menschen möglichst lange gesund und damit auch dem Arbeitsmarkt erhalten blieben. Der Wirtschaft wiederum eröffne der „Zweite Gesundheitsmarkt“ Chancen für neue Geschäftsmodelle.
Um die Menschen mit neuen Gesundheitsleistungen zu erreichen, gelte es zunächst, das Konsumentenverhalten zu kennen. Denn laut Roland Berger äußert sich das Gesundheitsbewusstsein beim Einzelnen recht unterschiedlich. Die Studie habe fünf Typen von Konsumenten identifiziert, die jeweils ähnliche Werte und Bedürfnisse in Gesundheitsfragen hätten.
Bei den fünf Grundtypen handele es sich um:
1. die rundum Aktiven
2. die sorglosen Sportler
3. die traditionellen Minimalisten
4. die passiven Zauderer
5. die selbstkritischen Interessierten.
Diese fünf Typen bildeten zu etwa gleichen Teilen die gesamte Bevölkerung ab, und ihr Gesundheitsverhalten finde sich in allen Alters-, Einkommens- und Bildungsschichten. Hauptunterscheidungsmerkmal sei ihre persönliche Einstellung zu Gesundheitsfragen. Während sich die einen bewusst gesund ernähren, setzen die anderen auf Sport oder Entspannung. Wieder andere informierten sich aktiv über Gesundheit und Krankheit, während es bei manchen beim guten Vorsatz bliebe.
Unternehmen, die die Chancen im Zweiten Gesundheitsmarkt nutzen wollen, sollten diese Grundtypen kennen, damit sie wissen, wen sie wie ansprechen können, empfiehlt Roland Berger. Der Zweite Gesundheitsmarkt stünde selbstverständlich auch Ärzten und Kassen offen.
Denkbar wären hier ambulante Arztpraxen im Supermarkt mit Standarddiensten und geringen Wartezeiten. Gerade die klassischen Anbieter wie Ärzte, Apotheker und Krankenversicherungen hätten dabei den Vorteil, dass ihnen die Menschen Kompetenz zuschrieben und vertrauten.
Quellen: „Die Gesundheitsbranche: Dynamisches Wachstum im Spannungsfeld von Innovation und Intervention“ IKB Deutsche Industriebank, Düsseldorf; Prognos AG, Basel; „Der zweite Gesundheitsmarkt“ Roland Berger, München
Gesundheit als Selbstzweck oder Mittel zum Zweck
Der Konsum von Leistungen im Bereich der Gesundheitspflege wird Prognosen zufolge überdurchschnittlich wachsen, und zwar zwischen 2004 und 2030 um rund 2,9 Prozent p.a. Dabei ist die Entwicklung des Gesundheitsverständnisses ausschlaggebend für die Art der Leistungen (eher kurative oder eher präventive), die jeweils nachgefragt bzw. konsumiert werden. Grundsätzlich kann zwischen einem ganzheitlich ausgerichteten und einem funktionalen Gesundheitsverständnis unterschieden werden.
Ein ganzheitlich ausgerichtetes Gesundheitsverständnis versteht Gesundheit als Ausfluss des individuellen Lebensstils. Gesundheit wird von den Bürgern nicht als Mittel zum Zweck, sondern vielmehr als Selbstzweck gesehen. Wellness wird zunehmend als Fähigkeit zur aktiven Entspannung verstanden. Rauchen, Übergewicht und stressvolle Lebensführung ohne Erholungspausen werden vom sozialen Umfeld als tendenziell kritische Lebensweise gesehen. Eine am ganzheitlichen Gesundheitsverständnis orientierte Medizin arbeitet stärker mit präventiven als mit kurativen Leistungen.