Die Rabattverträge sorgen für erdrutschartige Marktbewegungen bei Generika. Seit die AOK angefangen hat, mit den Herstellern der Nachahmer-Präparate diese Rabatte auszuhandeln, purzeln die Preise. Die Kassen nutzen einen Hebel, den ihnen die jüngste Gesundheitsreform liefert: Denn die Apotheker müssen exakt jene Generika-Marke an den Patienten aushändigen, mit deren Hersteller seine Kasse einen Rabattvertrag abgeschlossen hat.
Die Preise für Generika sinken fast wöchentlich, und das erdrutschartig. Die Marktanteile unter den Herstellern verschieben sich. Jetzt werden die Karten auf dem deutschen Markt für die Nachahmer-Präparate neu gemischt. Ausgelöst hat diese Entwicklung die neueste Gesundheitsreform. Denn seit dem 1. April dieses Jahres müssen die Apotheker jedes Mal ihren Computer konsultieren. Die Software zeigt dem Apotheker an, welche Rabattverträge für welche Wirkstoffe mit den einzelnen gesetzlichen Krankenversicherungen abgeschlossen wurden.
An diese muss sich der Arzneimittel-Verkäufer halten – und genau jene Marke verkaufen, die die Kasse des jeweiligen Patienten mit dem Generika-Hersteller verabredet hat. Für gesetzlich versicherte Patienten, die das rabattierte Medikament akzeptieren und nicht auf ein anderes Generikum bestehen, entfällt die Zuzahlung komplett. Immer mehrKassen schließen mit Arzneiherstellern Rabattverträge. Rechtsgrundlage ist Paragraf 130 a Absatz 8 SGB V.
Die Krankenkassen dürfen das schon seit einigen Jahren, um ihre Ausgaben für Medikamente zu senken. Von dieser Möglichkeit hat die AOK erstmals auf Bundesebene Gebrauch gemacht. Per Ausschreibung suchte die Kasse nach Lieferanten für häufig verordnete Medikamen-te. Damit erhielten die Rabattver-träge eine neue Dimension, denn fast 40 Prozent der gesetzlich Versicherten sind bei der AOK.
Generikaverschreibung gegen Bares
Politisch stark umstritten ist, was sich die Manager einiger AOK-Verbände, darunter die AOK Baden-Württemberg und die AOK Hessen, ausgedacht haben: Sie bieten den Ärzten Geld, wenn die Doktores ihre Patienten auf die rabattierten Generika umstellen. In einem Schreiben an die Ärzte heißt es, dass Kassenärztliche Vereinigung (KV) und AOK versuchten, die Ärzte „im Rahmen des Gemeinschaftsprojektes Arzneimittelmanagement" in der wirtschaftlichen Verordnungspraxis zu unterstützen. „Gleichzeitig wollen wir Sie vor einem möglichen gesetzlichen Malus und vor Regressforderungen bewahren", heißt es weiter in dem KV-Brief.
Deshalb biete die AOK Hessen als einzige Kasse den Ärzten für den Umstellungsaufwand auf bestimmte rabattierte Präparate eine Pauschale in Höhe von 20 Euro einmalig je Präparat und Umstellung an, „die aus Hebung von Wirtschaftlichkeitsreserven bestritten wird". Geld gibt es für die Niedergelassenen aus drei Generika-Gruppen: Betablocker, Statine sowie Protonenpumpeninhibitoren. In der beigefügten Patientenliste müsse nach erfolgreicher Umstellung hinter den aufgelisteten Patientennamen nur ein Häkchen gesetzt und das Ganze an die KV geschickt werden. „Erhält ein Patient mehrere vergütungsfähige Wirkstoffe, können einmalig mehrfach jeweils 20 Euro abgerechnet werden", wirbt die KV.
Die Ärzte loben die AOK-Rabattverträge. „Für uns ist alles positiv, was unser Budget entlastet, ohne die Qualität zu beeinträchtigen", sagt Gerd Zimmermann, stellvertretender Vorsitzender der kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Der Rahmenvertrag der AOK sei leichter umzusetzen als frühere Rabattverträge, weil er für mehr Versicherte gelte.
Die Apotheker müssen alles mitmachen, verpflichtet die Gesundheitsreform doch die Apotheker, die Rabattverträge zu beachten. Bislang konnten die Pharmazeuten auch das Medikament eines anderen Herstellers aushändigen, wenn sie das ursprünglich verordnete nicht vorrätig hatten. „Aus Sicht von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hätte ich diese Regelung auch so getroffen", sagt ein Apotheker aus dem Rhein-Main-Gebiet, der den „schwarzen Peter an den Patienten weitergereicht" sieht. Denn chronisch Kranke müssten jetzt in vielen Fällen den Generika-Hersteller wechseln, was insbesondere älteren Patienten schwer vermittelbar sei.
Für Apotheker und deren Grossisten verteuere sich nun die Lagerhaltung, weil sie eine Vielzahl verschiedener Generika-Marken eines identischen Wirkstoffs griffbereit halten müssen. Die Apotheker kritisieren zudem die verdeckte Preispolitik von Krankenkassen und Generika-Herstellern: Obwohl den Apothekern durch das neue Gesetz keine Einnahmeausfälle drohen dürften, sehen sie nicht den tatsächlichen Preis, den ein rabattiertes Medikament kostet. Zwar listet die Apotheker-EDV den Verkaufspreis auf – die Krankenkasse erhält aber auf direktem Weg vom pharmazeutischen Hersteller eine Rückvergütung für jede verkaufte Pillenschachtel.
In der Generika-Branche wird die Entwicklung daher mit Spannung betrachtet. Michael Ewers, der das Deutschland-Geschäft des israelischen Generika-Herstellers Teva leitet, spricht von einem Paradigmenwechsel im deutschen Gesundheitswesen. Die jüngsten Zahlen deuten darauf hin, dass es den Außenseitern gelungen ist, einen Fuß in den von Hexal, Ratiopharm und Stada dominierten deutschen Markt zu bekommen. So haben die elf Hersteller, die für insgesamt 43 Substanzen Rabattverträge abgeschlossen haben, ihren Marktanteil im April nach Umsatz verzehnfacht.
Im AOK-Rabattmarkt der 43 Substanzen stieg ihr Absatz von 2,6 auf 28,1 Prozent und der Umsatzanteil von 2,4 auf 24,2 Prozent. Als Referenzmonat galt den Fachleuten des Informationsdienstleisters für die Gesundheitswirtschaft Insight Health der Januar dieses Jahres. Das war der letzte Monat, bevor die Rabattvereinbarungen bekannt gemacht wurden. In der Spitze erzielten einzelne Hersteller bei den rabattierten Substanzen im April sogar das 39. bis 47fache des Januarabsatzes.
Die Großen werden das Feld nicht kampflos räumen
Während also die Rabattvertragsfirmen der AOK im April deutlich profitierten, ging der Verordnungsanteil der drei umsatzstärksten Generikaherstellergruppen – Novartis mit Hexal, die Merckle-Gruppe, zu der unter anderem Ratiopharm gehört, und Stada – deutlich zurück. Ihr Verordnungsanteil im gesamten Generikasegment sank bei AOK-Versicherten von 63,2 Prozent im Januar um neun Prozentpunkte auf 54,3 Prozent im April.
Die drei Marktführer werden den Kleinen das Geschäft nicht kampflos überlassen. „Für die Kleinen waren die Rabattverträge eine Riesen-chance, bekannter zu werden und in den Markt zu kommen", sagt Petra Exner, Geschäftsführerin der Insight Health. Die drei Großen beginnen nämlich, ihr gesamtes Sortiment – und nicht nur einzelne Wirkstoff-Gruppen – bei den Kassen unter Rabattvertrag nehmen zu lassen. Die Knappschaft (1,4 Mil-lionen Versicherte) meldet eine Vereinbarung mit der 1 A Pharma aus Oberhaching. Der Vertrag umfasst die gesamte Produktpalette mit 104 Wirkstoffen.
Weitere Vertragspartner der Knappschaft sind Sandoz und Hexal. Beide Hersteller bringen ebenfalls ihr gesamtes Sortiment in die Vereinbarung ein. Auch die BKK Mobil Oil (1,1 Millionen Versicherte) hat mit 1 A Pharma, Sandoz und Hexal Rabattverträge geschlossen. Auf diese Weise müssen Versicherte dieser Kasse für 2 500 Präparate keine Zuzahlung mehr leisten. Die Deutsche Angestellten Krankenkasse (sechs Millionen Versicherte) ist mit Hexal und Sandoz zu Kooperationsvereinbarungen gekommen. Beide Hersteller bringen die gesamte Palette mit 560 (Sandoz) und etwa 1000 (Hexal) zuzahlungsbefreiten Präparaten in den Vertrag ein.
Dass derlei hohe Rabatte auf einmal für ganze Sortimente möglich sind, liegt an den in Deutschland immer noch sehr üppigen Gewinnspannen. In anderen EU-Ländern kosteten identische Generika-Marken im vergangenen Jahr in Einzelfällen bis zu 50 Prozent weniger als deutsche, berichtet ein Pharmazeut an der niederländischen Grenze. Jetzt dürfte aber nicht mehr viel Luft für Gewinne sein, meint Insight-Health-Chefin Exner: „Auch die Großen sind bei der Preisgestaltung an der Schmerzgrenze."
Wenig verwunderlich, dass der Verband Pro-Generika diese Entwicklung scharf kritisiert. Geschäftsführer Hermann Hofmann wirft den Kassen vor, „mit einer Politik des schnellen Geldes" ausgerechnet den Teil der Pharmaindustrie „wie eine Zitrone auszuquetschen", der in der Vergangenheit für Kostensenkungen gesorgt habe. Der Verband vertritt rund 20 Generikaunternehmen einschließlich der Marktführer Ratiopharm, Stada und Hexal.
Jährlich sparten die Kassen dank der Tatsache, dass die Generikahersteller nach dem Patentablauf teurer Originalpräparate schnell preiswerte Nachahmerprodukte auf den Markt bringen, rund drei Milliarden Euro, behauptet Hofmann. Er fürchtet vor allem, dass den großen deutschen Generikaherstellern am Ende Geld fehlen könnte, in sehr teure Produktionsverfahren für die neue Generikageneration biotechnologischer Medikamente zu investieren. Denn bis 2010 laufen die Patente für Biotech-Wirkstoffe mit einem Gesamtumsatz von rund zwei Milliarden Euro aus.