Das Vorhaben der Bundesregierung, die Modellerprobung für die Akademisierung der Berufsgesetze um zehn weitere Jahre zu verlängern, ist nach Meinung unseres Autors ein Fehler. Er dringt auf schnellere Verbesserungen.
Am 24. August 2016 hat das Bundeskabinett den Bericht des „Modellvorhabens zur Einführung einer Modellklausel in die Berufsgesetze der Hebammen, Logopäden, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten" beschlossen. Damit ist es dem Vorschlag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) gefolgt, die Modellerprobung der Akademisierung der Berufsgesetze um zehn weitere Jahre zu verlängern. Das BMG beruft sich dabei unter anderem auf eine mangelnde Datenlage und noch offene Fragestellungen.
Rückgehende Bewerberzahlen der Ausbildungsgänge, steigende Anforderungen an die nicht ärztlichen Gesundheitsberufe sowie die geringe internationale Vergleichbarkeit und Anerkennung der Abschlüsse machen Veränderungen in diesen Ausbildungsgängen notwendig. Die vier Berufsgruppen leiden weiterhin unter Nachwuchsmangel. Hohe Schulkosten, geringe Verdienstaussichten und die fehlende Akademisierung werden auch in naher Zukunft nicht zu einer Verbesserung der Situation beitragen. Die Problematik lässt sich in allen vier Berufsgruppen betrachten, nicht nur die Diskussionen um die hohen Haftpflichtversicherungssummen der Hebammen haben in den vergangenen Monaten zu zahlreichen Diskussionen geführt. Auch am Beispiel der Therapeuten lässt sich die angespannte Situation deutlich erkennen: Oftmals führt das Schulgeld zu einer durchschnittlichen finanziellen Belastung von 12.000 Euro. Hinzu kommt, dass ein ausgebildeter Physiotherapeut im Schnitt circa 2.000 Euro brutto monatliches Einkommen erhält. Anschließend verhindern kosten- und zeitaufwendige Zusatzqualifikationen oft einen zeitnahen Eintritt in den Arbeitsmarkt.
Die Hochschulenhaben geliefert
Gleichzeitig erleben wir europaweit eine Weiterentwicklung der Anforderungen an ein modernes und effizientes Gesundheitssystem. Die steigende Lebenserwartung in einer alternden Gesellschaft und die daraus resultierenden immer komplexeren Anforderungen erfordern ein Umdenken der Politik. Es müssen Strukturen parallel zur Pflege weiter ausgebaut werden, um die zukünftige Nachfrage flächendeckend und auf hohem Qualitätsniveau zu sichern. Gleichzeitig muss es Anliegen des Gesetzgebers bleiben, dass die gut ausgebildeten Therapeuten auch eine entsprechende Würdigung auf den Arbeitsmärkten finden. Die berufliche Mobilität, auch in der EU, spielt heute mehr denn je eine zentrale Rolle in der Berufswahl. Außerdem muss es gelingen, die Absolventinnen und Absolventen in Deutschland zu halten. Ansprechende Lohnentwicklungen und bestmögliche Integration der in Deutschland erforderlichen Zusatzqualifikationen in die Curricula müssen geschaffen werden, um einen schnellst- und bestmöglichen Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
All diese Bedenken sind dem BMG bekannt. Es legte den Fokus in der Entscheidungsfindung aber auf einen anderen Bereich: Die Verlängerung des Modellvorhabens wird insbesondere dadurch begründet, dass die entstandene Datenlage unzureichend sei, um abschließend eine Überführung in die Akademisierung empfehlen zu können. Im Jahr 2009 wirksam werdend, richteten zeitgleich verschiedene Hochschulen die Akademisierung der Berufe ein, wissend, dass es keine Garantie für eine langfristige Implementierung dieser Ausbildungsformen gegeben hat. Evaluationsberichte von 25 Modellstudiengängen aus acht Bundesländern wurden an das BMG übermittelt.
Halten wir uns vor Augen, dass die Implementierung der Modellstudiengänge eine gewisse Zeit in Anspruch genommen hat, so stellen wir fest, dass die ersten akademisierten Therapeuten die Hochschulen nach dreijähriger Studienzeit bereits vor mehreren Jahren verlassen haben. Das Ministerium strebt in seiner Begründung der Verlängerung des Modellvorhabens eine umfassende Bewertung der langfristigen Auswirkungen der Akademisierung an. Besonders in Hinblick auf die nationale wie internationale Anerkennung der Studiengänge können noch keine abschließenden Aussagen zu der Situation der Studierten getroffen werden. Die fehlende Datenlage ist aber auch hinsichtlich der Erfordernisse der einzelnen Module in den Studiengängen wie auch bezüglich der Einschätzung der Entwicklung der Einkünfte nach Studienabschluss problematisch. So zumindest die Ansicht des BMG.
Ich frage mich jedoch: Was ist das Ziel, wie ist die Herangehensweise des Modellvorhabens gewesen? Damals wie heute sind sich alle einig, dass wir händeringend akademisierte Therapeuten benötigen. Damals wie heute sind allen die steigenden Anforderungen der Pflege und der alternden Gesellschaft bewusst. Damals wie heute suchen wir junge, engagierte Leute, die in die Berufe einsteigen.
Dass wir denen, die wir so dringend benötigen, keine wirklichen Zukunftsaussichten geben, ist aus meiner Sicht unverständlich. Welcher junge Mensch beginnt ein sechssemestriges Studium, um am Ende eine Verdienstaussicht von 2.000 Euro€ Bruttogehalt zu haben? Wer favorisiert einen akademisierten Ausbildungsweg, wenn nicht klar ist, ob dieser verlängert wird? Viele junge Menschen stellen sich diese Fragen, überlegen sich, ob sie nicht lieber Wirtschaftswissenschaften studieren sollen oder eine Ausbildung beginnen, in der sie von Beginn an Geld verdienen statt draufzuzahlen.
Gleiches gilt für die Hochschulen: Die wirtschaftliche Verantwortung, welche die Gesundheitsfachhochschulen gestemmt haben, ist enorm. Sie haben Studiengänge eingeführt, Professoren und Dozenten angestellt, zusätzliche Kapazitäten geschaffen. Aber auch den verantwortungstragenden Unternehmern wird keine wirkliche Perspektive geboten. Sie alle sollen zehn weitere Jahre in einen Schwebezustand, sollen keinen verbindlichen Rahmen erhalten, der ihnen Sicherheit gibt.
Eine Verlängerung um eine Dekade ist nicht akzeptabel. Jetzt eine Verlängerung bis 2027 anzusteuern, scheint ein Totmannschalter für die Akademisierung der vier Berufsgruppen zu sein. Die kommenden zwei Wahlperioden wären der Deutsche Bundestag und das BMG zur Untätigkeit verdammt und könnten die Prozesse lediglich verwaltend begleiten. Kritische Ergebnisse aus Zwischenevaluationen könnten maximal helfen, Fehlentwicklungen entgegenzutreten. Weitergehende Entscheidungsbefugnis zeichnet sich allerdings nicht ab.
Aussichten schaffen
Ich fordere daher eine Expertenkommission unter Einbeziehung des Deutschen Bundestags. Diese soll erreichen, dass wir statt von einer blinden Verlängerung von einer Erweiterung des Modellvorhabens sprechen. Ein „weiter so" darf es meiner Auffassung nach nicht geben, stattdessen muss klargestellt werden, was wir mit dem Modellvorhaben erreichen wollen. Wir müssen Aussichten schaffen, echte Chancen für die Unternehmen, die Hochschulen, die angehenden Therapeuten – und besonders: für unsere Patienten.
Wichtig ist mir zudem eine verlässliche, zeitnahe und gewinnbringende Einbindung der Berufe der Hebammen, Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten in die Gesundheitsversorgung. Dafür muss es insbesondere verbindliche Konzepte zur zeitnahen Weiterentwicklung der Berufsausbildungen geben. Nur so kann garantiert werden, dass diese Berufsgruppen auf die Herausforderungen des komplexer werdenden Gesundheitssystems vorbereitet werden und die Ärzteschaft entlasten können. Ich spreche hier von einem kompetenzorientierten Gesundheitssystem. Es muss in Zeiten einer alternden Gesellschaft und zunehmenden Pflegebedarfs ein zentrales Ziel unserer Politik sein, die bestehenden Ressourcen an Know-how und Personal auszubauen und spezifisch einzusetzen.