Etablierte Geschäftsmodelle und Strukturen werden durch den Megatrend Digitalisierung radikal infrage gestellt. Die Auswirkungen, Folgen und mögliche Antworten diskutierte ein hochrangig besetztes Plenum unter Moderation von Philipp Grätzel von Grätz, Freier Chefredakteur E-Health.com, heute morgen auf dem 16. Nationalen DRG-Forum in Berlin. Ein Ergebnis: Krankenhäuser, Ärzte und Kostenträger werden sich neuen Wettbewerbern von außerhalb des Gesundheitssystems stellen müssen – und definieren, welche Rolle sie in neuen Wertschöpfungsketten einnehmen wollen.
Markus Horneber, Vorstandsvorsitzender der Agaplesion-Kliniken und Gewinner des Vordenker-Awards 2017, zeigte sich überzeugt, dass die Qualität der Versorgung mittels Digitalisierung „dramatisch zunehmen wird“. Unzureichende Information und Kommunikation seien in Kliniken „wahnsinnige Probleme, die wir verändern müssen“. Er erwartet aber auch, dass es im Gesundheitssystem gewaltige Veränderungen in der Anbieterstruktur geben wird. „Es gibt viele Player auf dem Markt, Plattformen, die Innovationen bereit stellen.“ Krankenhäuser seien aber keine Plattformbetreuer und müssten sich neue Strategien im Umgang mit diesen erarbeiten. „Unsere Wettbewerber wird in Zukunft nicht das Krankenhaus nebenan sein.“ Horneber betonte die Chancen, die damit verbunden seien. Letztendlich werde Qualität der Schlüssel dazu sein, dass Patienten weiter in die Kliniken des Agaplesion-Konzerns geleitet würden.
Thomas Wolfram, Mitglied der Konzerngeschäftsführung bei Asklepios, zeigte am Beispiel von medizinischen Leitlinien, wie schwierig die Umsetzung von Big-Data-Lösungen im Gesundheitssystem noch immer sei. Asklepios habe bei patientenindividuellen Big-Data-Analysen für gewisse Krankheitsbilder festgestellt, dass drei von fünf Empfehlungen an die Ärzte nicht leitliniengerecht gewesen seien. Ärzte neigten aber dazu, sich an Leitlinien zu orientieren, um im Zweifel auch Rechtssicherheit zu haben. „Mit Big Data kommen wir da nicht weiter. Da sind wir zu regulatorisch“, sagte Wolfram.
„Reha wird durch Digitalisierung massiv verändert“, betonte André Schmidt, Vorsitzender der Geschäftsführung der Median-Kliniken. Großes Potenzial hätten insbesondere digitale Nachsorgeangebote mit dem Ziel, Personen mit Teilhabezielen ins Leben zurückzubringen. Hier herrsche aber leider oftmals noch Blockade, es finde kein Datenaustausch statt. In den Kliniken selbst kämpfe man eher damit, ein flächendeckendes WLAN unter Brandschutzauflagen in einer 40 Jahre alten Bausubstanz zu implementieren.
„Die Herausforderungen von Demografie und Morbiditätsentwicklung können wir lösen, wenn wir innovationsfreundlich sind“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Spitzenverbandes der Fachärzte in Deutschland, Lars Lindemann. Zu lange habe sich das Gesundheitssystem dem Fortschritt verweigert. Der Kollektivvertrag und die Selbstverwaltung bezeichnete Lindemann als Bremser, stattdessen forderte er mehr Freiheiten, etwa in Selektivverträgen. Selbst Kleinstinnovationen wie Video-Sprechstunden funktionierten in der Fläche nicht, weil der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einen EBM beschließe, der finanziell nicht attraktiv sei. Lindemann forderte neben dem Mut zu mehr Experimentierfreude auch noch mehr Markt und Wettbewerb um Schnittstellen und Arztinformationssysteme.
Das Dramatische an der Digitalisierung sei, dass sie nicht mehr auf Selektivverträge oder Fachgruppen begrenzt passiere, sondern dass sie systemverändernd wirke, sagte Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK. Mit Blick auf die seit Jahren siechende elektronische Gesundheitskarte warnte er vor weiteren Blockaden der verschiedenen Interessensverbände. „Stattdessen wird nun Whatsapp in der medizinischen Versorgung genutzt, obwohl dies alle Sicherheitskriterien nicht erfüllt, die man sich sonst im System wechselseitig vorhält, um sich gegenseitig zu blockieren.“
Daniel Schmithausen von 3M berichtete aus dem Ausland, wo sich Accountable Care Organisations, bestehend aus Ärztegruppen und Krankenhäusern und weiteren Playern aus dem Gesundheitswesen, aufeinander abstimmen. Hochrisikopatienten würden in den USA überwacht und regelmäßig zuhause aufgesucht. Laborwerte liegen dort bereits vor, bevor der Patient ins Krankenhaus kommt. Digitalisierung unterstützt derlei Prozesse. In Deutschland gebe es jedoch Nachholbedarf, Prozesse auf regionaler Ebene zu organisieren und abzustimmen. Schmithausen mahnte zudem: „Plattformen müssen von den Leistungserbringern kommen.“
„Wir werden einen digitalen Sektor bekommen. Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden“, sagte Markus Müschenich, Vorstandsmitlglied im Verband Internetmedizin und Gründer des Flying Health Incubators. Beispiele seien Videosprechstunden, Bilderkennung durch Künstliche Intelligenz (KI) oder Roboterärzte. Dieser digitale Sektor werde sich finanziell aus den anderen Sektoren speisen. Diese künftige Welt werde aus Plattformen bestehen, die Patienten steuern. Google beispielsweise biete bei Suchergebnissen bereits Kontaktangebote zu Ärzten, wenn nach einer bestimmten Krankheit gesucht wurde. „Wir müssen uns einmischen und überlegen, wo wir in der Wertschöpfungskette stehen und wo wir uns dort einbringen können.“