Orientierungswert KW29/2017

Die Akte des Patienten

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Man wird sich vielleicht noch nach jener Zeit zurücksehnen, als das Projekt „elektronische Patientenakte“ nicht viel mehr war als eine papierlose Krankenakte. Was jetzt auf der politischen Agenda steht, könnte einen tiefen Umbruch im Verhältnis von Leistungserbringern und Patienten bedeuten.

Formal unterscheidet das E-Health-Gesetz, in dem die Vorgaben für die gemeinsame Selbstverwaltung geregelt sind, zwischen einer elektronischen Patientenakte (ePA) und einem elektronischen Patientenfach (ePF). Die ePA verlangt ein Zweikartenprinzip, bei dem sich der Patient durch eine elektronische Gesundheitskarte (eGK) und der Arzt mittels des Heilberufeausweises (HBA) authentifizieren. Nur wenn beide zusammenkommen, kann die Akte befüllt und gelesen werden. Beim Patientenfach hingegen kann der Patient einstellen, was er will.

Beide Akten werden jedoch in einem gemeinsamen Projekt bei der gematik bearbeitet. Je länger die gesellschaftspolitische Diskussion läuft, desto mehr kristallisiert sich auf die Frage, wer denn letztlich die Verfügung über die Daten hat, eine einheitliche Antwort heraus: der Patient. Irgendwann wird er entscheiden, was in dieser einrichtungsübergreifenden(!) Akte steht und wer es lesen darf. Damit entwickelt sich das Patientenfach, also jenes Teilprojekt, bei dem der Patient selbst Daten seiner Wahl einstellen kann, zum eigentlichen Vorbild für die Patientenakte. Herrschaftsbereich des Arztes bliebe dann vorrangig seine traditionelle, eigene Aktenführung.

Es geht weniger um Technik, es geht um Rechte: Schreibrechte, Leserechte, Löschrechte, Einsichtsrechte, Veräußerungsrechte, Widerrufsrechte, Vererbungsrechte … - und zwar ziemlich differenziert. Die Patientenakte wird langfristig aus ganz unterschiedlichen Modulen bestehen: OP-Berichte, Entlassbriefe, Arzneimittelverschreibungen, aber auch vom Patienten via Fitness-App importierte Vitaldaten. Für jedes dieser Module gilt es zu entscheiden, ob der Arzt sie einstellen kann oder muss, ob der Patient sie gezielt für andere Ärzte freischalten muss … Tausend Dinge sind zu regeln und sie werden nicht nach dem allzu simplen Datenschutzprinzip funktionieren: Ohne Einwilligung darfst du nichts, mit Einwilligung darfst du alles.

Wir wissen auch, dass nicht alle Patienten in der Lage sein werden, die Rolle eines Patientenakten-Administrators zu erfüllen. Wer übernimmt die Administratorfunktion dann? Ein Betreuer, die Kasse, das Krankenhaus, der Hausarzt, der Softwareanbieter?

Die Vorstellung, dass der Patient Verwalter seiner Akte sein soll, dass also die Patientenakte eine Akte des Patienten ist, kollidiert aufs heftigste mit dem traditionellen ärztlichen Selbstverständnis, das die Patientenakte als Hilfsmittel des Arztes sieht, gelegentlich angereichert durch interkollegialen Briefverkehr, der in der Regel am Patienten vorbeigeht. Wie heißt noch – nachzulesen im Pschyrembel – die historische Form des Hippokratischen Eides? „Ich schwöre, […] Ratschlag und Vorlesung und alle übrige Belehrung meinen und meines Lehrers Söhnen mitzuteilen, wie auch den Schülern, die nach ärztlichem Brauch durch den Vertrag gebunden und durch den Eid verpflichtet sind, sonst aber niemandem.“ „Und dem Patienten schon gar nicht“, möchte man hinzufügen. Nach Patienten-Empowerment klingt das wenigstens nicht.

Es gehört zu den Eigenheiten des Digitalisierungsprozesses, dass die Entwicklungen überraschend verlaufen – und bisweilen disruptiv. Die elektronische Patientenakte hat bezüglich des traditionellen Arzt-Patienten-Verhältnisses durchaus disruptives Potenzial – wenn sie denn zur Akte des Patienten wird.

Autor

Dr. Wulf-Dietrich Leber

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