Im Koalitionsvertrag der mutmaßlichen neuen Regierung ist das im Vorfeld so hoch gehandelte Thema „Bürgerversicherung“ kaum noch zu finden. Letztlich ist die SPD in diesem Punkt spektakulär gescheitert. Das ist gut so. Denn das, was da in die Verhandlungen eingebracht worden ist, war eine Pseudobürgerversicherung auf Kosten der GKV-Versicherten. Zum einen war vorgesehen, die GKV- und PKV-Vergütung für Ärzte anzugleichen: Man sagt quasi der Verkäuferin, sie bekäme künftig schneller einen Facharzttermin, wenn sie so viel zahlen würde, wie die gut situierte Studienrätin. Super Sozialpolitik. Zum anderen war vorgesehen, individuelle Wahlrechte in Richtung GKV einzuführen: Wann immer ein PKV-Versicherter ein Problem hat (z. B. mit hohen Prämien), dann kann er in die GKV abgeschoben werden. Das alles wäre ein PKV-Stabilisierungsprogramm, das mit Bürgerversicherung nicht viel zu tun hat. Geblieben ist von diesen Vorschlägen eine Kommission zur Angleichung der Arzthonorierung und der bemerkenswerte Satz: „Ob diese Vorschläge umgesetzt werden, wird danach entschieden.“
Aber das Problem GKV/PKV bleibt. Es ist weniger ein Versorgungs-, sondern vielmehr ein Umverteilungsproblem. Die Zweiklassenmedizin existiert vor allem auf der Beitragsseite. Wer gut verdient, aber in der GKV pflichtversichert ist, der zahlt im Rahmen der solidarischen Finanzierung satte Beiträge zugunsten jener, die schlechter verdienen. Bei 50.000 Euro Jahreseinkommen sind das im Alter von 40 Jahren etwas über 6.000 Euro pro Jahr. Wer aber bei 60.000 Euro Jahresgehalt jenseits der Versicherungspflichtgrenze liegt und sich privat versichern kann, der zahlt Null Euro Solidarbeitrag. Im Laufe eines Lebens addiert sich der Unterschied zum Gegenwert einer Eigentumswohnung.
Man hat Vorschläge gemacht, einen Teil der Umverteilungskomponente aus der Krankenversicherung herauszunehmen (Stichwort „Kopfpauschale“) und ins Steuersystem zu übernehmen. Denen, die dies vorgeschlagen haben, ist das nicht gut bekommen. Will man diese Ungleichbehandlung nicht bis in alle Ewigkeit fortschreiben – Deutschland ist das letzte Land in Europa, das noch ein Nebeneinander von PKV-Vollversicherung und GKV hat –, dann braucht man eine Stichtagsregelung, einen Tag, zu dem die Gesamtbevölkerung Teil des GKV-Systems wird. Natürlich ist das kein Ende der Zweiklassenmedizin, weil Zusatzversicherungen weiterhin möglich bleiben. So wie z. B. im Krankenhausbereich: DRGs und Qualitätssicherung laufen einheitlich für PKV und GKV, aber es gibt Zusatzleistungen, wie die Chefarztbehandlung – im weitestgehenden gesellschaftlichen Konsens.
Die rechtlichen Übergangsprobleme einer Stichtagsregelung zur Einführung einen „Allgemeinen Krankenversicherung (AKV)“ sind nicht trivial, aber lösbar, solange man nicht versucht, der Gemeinschaft der PKV-Versicherten die angesparte Alterungsrückstellung zu entwenden. Wichtig ist, dass ab dem Stichtag mehr Umverteilungsrationalität eingeführt wird.
Die CDU hat in den Koalitionsverhandlungen vorgebracht, die Bürgerversicherung löse kein einziges gesundheitspolitisches Problem. Da hat sie nicht ganz Unrecht. Weder die Überkapazitäten im Krankenhausbereich werden abgebaut noch werden die Mondpreise bei Arzneimitteln korrigiert, nicht einmal das Landarztproblem wird gelöst. Aber es gäbe ein System mit mehr sozialer Gerechtigkeit. Das müsste die SPD eigentlich dazu bringen, mit einem neu durchdachten Konzept ohne falsche Versprechungen zum Ende einer Zweiklassenmedizin einen Neustart in puncto Bürgerversicherung zu wagen.
Eine detaillierte Argumentation zur sofortigen Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung (AKV) findet sich unter dem Titel „AKV pronto!“ auf www.Wulf-Dietrich-Leber.de.