Gewalt im Krankenhaus

Ärzte und Pflegepersonal sind zunehmend Gewalt ausgesetzt

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Ärzte und Pflegepersonal sind zunehmend Gewalt ausgesetzt
© Getty Images/nicoletaionescu

Übergriffe auf Ärzte und Pfleger haben nach Angaben des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg im vergangenen Jahr zugenommen. 126 Körperverletzungen und tätliche Angriffe in Krankenhäusern wurden registriert, wie eine Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik zeigt. 2022 waren es demnach noch 115 gemeldete Fälle gewesen, im Jahr davor 89. Der deutlich größere Anteil der Angriffe richtete sich demnach gegen Pflegekräfte, der kleinere gegen Ärztinnen und Ärzte. Die Statistik erfasst nicht, wer die Angreifer sind.

Peter Bobbert vom Ärzteverband Marburger Bund sagte vor wenigen Wochen angesichts bundesweit gestiegener Zahlen, gerade in Rettungsstellen der Krankenhäuser gebe es viele Gewalterfahrungen. Oft spiele Alkohol eine Rolle bei gewalttätigen Patienten. Auch das Gewaltpotenzial von Familienangehörigen oder Bekannten der Patienten habe in erheblichem Umfang zugenommen. Auslöser für Gewaltsituationen könnten beispielsweise als zu lang empfundene Wartezeiten sein.

Die Zahlen sprechen für sich

Der Mediziner sagte: "Leider sind es keine Einzelfälle und leider ist es auch keine gefühlte Wahrnehmung, denn die Zahlen zeigen einen deutlichen Anstieg von Gewalterfahrungen des pflegerischen und ärztlichen Personals in Krankenhäusern." Er vermute, dass es ein großes Dunkelfeld gebe und viele Fälle verbaler Gewalt und Bedrohungen gar nicht erst erfasst würden.

Angriffe auf Pflegekräfte: "Dann hat sie mir ins Gesicht geschlagen"

Eine Mitarbeiterin der Notaufnahme im Klinikum Stuttgart erzählt von ihren Erlebnissen und wie sie damit umgeht. Kliniken fordern eine Entlastung der Notaufnahmen durch bessere ambulante Angebote.

Die betrunkene Frau ist mit der Polizei in die Notaufnahme des Klinikums Stuttgart gekommen. Sie sollte in Gewahrsam genommen werden, wie Theresa Holz, stellvertretende Pflegerische Leitung in der Notaufnahme, erzählt. "Sie war bewusstlos oder hat erst mal nicht reagiert auf Ansprache", sagt die 30-Jährige im blauen Kittel und weißer Hose, die langen Haare im Pferdeschwanz. "Dann habe ich sie halt berührt und ihren Namen etwas lauter gesagt, und dann hat sie mir ins Gesicht geschlagen." Geschockt sei sie gewesen, sagt Holz. Verletzungen habe sie keine gehabt - Anzeige habe sie nicht erstattet, weil die Frau wohl unter Drogeneinfluss gestanden habe. Aber im Klinik-internen Meldesystem habe sie den Vorfall gemeldet.

"Steigende Gewaltbereitschaft und Aggression"

Dort sind laut Krankenhaus im vergangenen Jahr 245 Meldungen von Mitarbeitern eingegangen, die verbal oder körperlich von Patienten oder Angehörigen angegriffen wurden. "Das ist eine deutliche Steigerung gegenüber früheren Jahren", sagt Jan Steffen Jürgensen, Vorstandsvorsitzender des Klinikums, der größten Klinik in Baden-Württemberg. "So lag die Zahl bis 2017 noch im zweistelligen Bereich."

Als Gründe für die deutliche Steigerung in seinem Haus sieht Jürgensen einerseits eine größere Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. "Zu beobachten ist zudem eine seit Jahren steigende Gewaltbereitschaft und Aggression bei Patienten und Angehörigen, teilweise unter Alkohol- und Drogeneinfluss", sagt der Klinikchef. "Die Akzeptanz von längeren Wartezeiten, insbesondere in der Notaufnahme, nimmt ab. Hier müssen Mitarbeitende priorisieren und schwer- sowie lebensgefährlich erkrankte Patienten zuerst behandeln, was bei leichter erkrankten Patienten oft auf Unverständnis stößt."

In einer BGW-Umfrage gaben 24 Prozent der Befragten an, keine Angebote zum Umgang mit Gewalt in ihrem Unternehmen zu kennen. Insgesamt fühlte sich nur jede oder jeder zehnte durch die eigene Einrichtung auf solche Übergriffe gut vorbereitet.

Auch Holz sagt, dass Übergriffe eher von Menschen ausgingen, die medizinisch gesehen nicht in Not seien. "Jemand, der wirklich akute Hilfe benötigt, sich in kritischem Zustand befindet, wird hier sofort versorgt. Da entstehen auch gar keine Konflikte."

Der Vorfall mit der Frau, die ihr ins Gesicht geschlagen hat, hat Holz vorsichtiger werden lassen. "So ein Erlebnis macht einen skeptischer, würde ich sagen. Man geht nicht mehr so offen erst mal auf jemanden zu."

Deeskalationstrainings: Situationen entschärfen

Doch die junge Frau betont auch, dass verbale Übergriffe deutlich häufiger vorkämen als körperliche. Mitarbeiter würden täglich angegangen, etwa als rassistisch beschimpft oder unter Druck gesetzt. Es fielen Sätze wie: "Wollen Sie, dass meine Mutter stirbt?", erzählt Holz. "Das sind in meinen Augen tatsächlich auch die Dinge, die bei uns viel mehr hängen bleiben."

Das Klinikum bietet Deeskalationstrainings, bei denen die Mitarbeiter Schritt für Schritt lernen, Situationen zu entschärfen: Was man zu Betroffenen sagt, wann man sich Hilfe holt, dass man die Tür zu einem Behandlungsraum offen lässt - um auch gehört zu werden, wenn es notwendig ist, wie Holz erzählt. Nachts habe das Klinikum auch einen Sicherheitsdienst. Die Polizei wird trotzdem regelmäßig gerufen. Nach Übergriffen bietet ein Kriseninterventionsteam psychologische Unterstützung, im Team selbst sind Mediatoren Ansprechpartner.

Die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft (BWKG) verweist auf ähnliche Probleme bei anderen Mitgliedern - und ähnliche Maßnahmen. "Zum Schutz des Personals haben viele Kliniken Notrufknöpfe mit direkter Verbindung zur Polizei installiert und einen Sicherheitsdienst beauftragt. Teilweise wurden auch bauliche Maßnahmen ergriffen, wie zum Beispiel der Einbau von Zugangsschleusen in der Notaufnahme", heißt es in einer Mitteilung. "Auch professionelle Deeskalations-, Eigensicherungs- und Selbstverteidigungstrainings sind wichtige Bausteine zum Schutz des Personals. Diese werden in vielen Kliniken angeboten und vom Personal auch nachgefragt."

Ambulante Angebote stärken

Mark Dominik Alscher, Geschäftsführer des Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhauses, sieht die verstärkte Zuwanderung der vergangenen Jahre als einen Grund für die Zunahme an Konflikten. Es kämen Menschen mit ganz unterschiedlichen kulturellen Hintergründen in das Krankenhaus, sagt er. "Die Menschen sind anders sozialisiert. Es ist ihnen kulturell gar nicht geläufig, dass es einen Hausarzt gibt. Viele sind es gewohnt aus ihrem Kulturkreis, bei akuten medizinischen Themen direkt ins Krankenhaus zu gehen." Zudem sei es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter manchmal schwierig, sich verständlich zu machen. Auch das Robert-Bosch-Krankenhaus setzt auf Deeskalationstrainings für die Mitarbeiter und einen Wachdienst.

Um die Situation nachhaltig zu verbessern, fordert Alscher unter anderem "eine bessere Verzahnung von ambulant und stationär": Aufgrund des Fachkräftemangels sei es wichtig, in Krankenhäusern auch ambulante Angebote und etwa auf dem Land verstärkt Ärztezentren zu schaffen. So ließen sich die Notaufnahmen der Krankenhäuser entlasten und das Personal flexibler einsetzen.

Jürgensen vom Klinikum Stuttgart findet es wichtig, die Erreichbarkeit von Hausärzten zu verbessern, Praxen etwa mit telemedizinischen Angeboten zu stärken und mehr Studienplätze für Mediziner zu schaffen. "Sinnvoll finden wir auch die Zusammenlegung - die diskutiert wird - der Nummern 112, 116117, mit einer qualifizierten Ersteinschätzung für alle akuten Hilfsgesuche, die etwas kanalisieren und bahnen kann." Damit letztlich nur Menschen ins Krankenhaus kämen, die dort hinmüssten - "und die Situation hier etwas entspannter wird".

Quelle: dpa

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