In den vergangenen Wochen gab es wieder vermehrt Berichte zu Engpässen bei Arzneimitteln und steriler Kochsalzlösung. Zu beachten sei dabei, dass nicht jeder Engpass eine Versorgungslücke bedeute, erklärte Ulrike Holzgrabe von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. „Wenn bestimmte Blutdruckmittel mal schwer zu bekommen sind, ist das kein Versorgungsproblem.“ Es sei leicht möglich, auf andere Arzneimittel auszuweichen. Eine Versorgungslücke gebe es erst dann, wenn diese Möglichkeit fehle. „Hochproblematisch sind zum Beispiel Engpässe bei Antibiotika“, erklärte die Seniorprofessorin für pharmazeutische und medizinische Chemie. Ein Umstieg auf ein anderes Antibiotikum sei immer nur die zweitbeste Therapie. Ebenfalls nur schwer zu ersetzen seien Salbutamol zur Behandlung von Asthma oder Atomoxetin gegen ADHS. „Beide Arzneien waren zuletzt von Engpässen betroffen.“
Knapp 500 Medikamente betroffen
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) führt eine Datenbank, in die Hersteller Lieferengpässe für versorgungskritische Arzneimittel eintragen. Ein Lieferengpass ist laut BfArM eine über zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung einer üblichen Auslieferung oder eine deutlich erhöhte Nachfrage, die das Angebot übersteigt. Am 10. Oktober waren dort knapp 500 Medikamente gelistet. Damit habe sich die Zahl der Meldungen seit dem vergangenen Jahr kaum verändert, sagte David Francas von der Hochschule Worms: Im Juni 2023 seien es rund 480 Engpässe gewesen. Positiv zu vermerken sei, dass der stetige Anstieg der Lieferengpässe seit 2017 aktuell gebremst scheine. Auch Francas betonte, dass nicht jeder Engpass für Patienten gleichermaßen bedeutsam sei.
Gesetz brachte bisher kaum Verbesserung
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im vergangenen Jahr das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) auf den Weg gebracht, um Engpässe systematisch zu bekämpfen und die Versorgungssicherheit zu verbessern. Dass sich danach rasch etwas ändert, sei von vornherein nicht zu erwarten gewesen, sagte Holzgrabe. „Grundsätzlich sind die Probleme von Lieferengpässen bekannt und ausreichend erforscht: In Deutschland haben wir mit Rabatt- und Festbeträgen die Preise so weit gedrückt, dass für viele Hersteller der deutsche Markt schlichtweg nicht attraktiv ist.“ Bei vielen für die Breitenversorgung wichtigen Medikamenten sei die Preisschraube zu weit gedreht worden, ist auch Francas überzeugt. „Der Zusammenhang zwischen niedrigem Preisniveau und schlechterer Arzneimittelverfügbarkeit ist mittlerweile auch empirisch belegt.“
Zudem entstünden immer mehr Monopole, bei denen ein Arzneistoff nur noch von wenigen Herstellern produziert werde, ergänzte Holzgrabe. „Wenn dann ein Hersteller aus welchen Gründen auch immer ausfällt, und das können schlichtweg auch Naturkatastrophen nahe dem Werk sein, haben wir schon ein Problem.“