Nach über elf Wochen Streik an den Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen, in denen die Beschäftigten für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen gekämpft haben, wird nun mit Wirksamkeit zum 1. Januar 2023 der Tarifvertrag Entlastung umgesetzt. Doch zur Freude besteht kein Anlass, bestenfalls zur Erleichterung, dass die Universitätskliniken endlich wieder ihrer originären Aufgabe nachkommen können. Der Streik wird die Gesamtsituation der Pflege nicht verbessern, sondern an einigen wenigen Standorten die besten Arbeitsbedingungen für die Pflege schaffen, die aktuell in Deutschland überhaupt möglich sind – finanziert aus Beitrags- und Steuergeldern. Damit wird die Attraktivität der Universitätsklinken als Arbeitgeber gesteigert, aber gleichzeitig ein Ungleichgewicht zwischen den Krankenhäusern erzeugt und kein einziges strukturelles Problem des Pflegenotstands gelöst. Es wird Entlastung suggeriert, aber tatsächlich wird die Personalknappheit nur innerhalb des Systems verschoben.
Allein an der Universitätsklinik Essen benötigen wir etwa 300 zusätzliche Mitarbeiter:innen, um die Vorgaben des Tarifvertrags zu erfüllen. Woher sollen diese zusätzlichen Pflegekräfte angesichts des angespannten Arbeitsmarktes kommen? Es bleibt nur, Mitarbeitende von anderen Klinken oder gar aus der Altenpflege abzuwerben. Damit wird mittelfristig die Personalsituation in vielen wirtschaftlich ohnehin schon angeschlagenen Kliniken in NRW und perspektivisch auch in der Altenpflege weiter verschärft. Ich halte es auch für Wunschdenken, dass aufgrund von Belastungspunkten und mehr Freizeit Pflegefachpersonen in nennenswertem Umfang wieder in ihren angestammten Beruf zurückkehren. Wer raus ist, kommt in der Regel nicht zurück – diese bittere Erkenntnis sehen wir derzeit ja auch in vielen anderen Branchen. Was bleibt zu tun? Der Pflegenotstand hat sich über Dekaden aufgebaut, und wir werden nur langfristig tatsächliche Entlastung schaffen können. Weiter abzuwarten, verbietet sich jedoch in aller Schärfe. Ich sehe drei zentrale Ansatzpunkte für die überfälligen nächsten Schritte.
Erstens und am schnellsten wirksam: Wir müssen das vorhandene Personal effektiver und räumlich konzentrierter einsetzen und nicht über viele Standorte verteilen. Dafür müssen wir endlich die Krankenhauslandschaft neu ordnen. Und zwar nicht über Gutachten, Kommissionen und Bürgerbegehren, sondern durch Taten. Wir haben dazu kein Erkenntnisproblem. Mindestens 30 Prozent der Kliniken müssen geschlossen werden. Dies bedeutet aber keinen Kahlschlag der Gesundheitsversorgung, im Gegenteil: Kliniken können zusammengelegt oder in digital gestützte medizinische Versorgungszentren umgewandelt werden. Nur so können wir den Pflegenotstand abschwächen und eine dauerhaft bezahlbare Gesundheitsversorgung für das Land gewährleisten.
Zweitens müssen wir viel entschlossener die Chancen der Digitalisierung nutzen, um die Pflege von patientenfernen Arbeiten zu entlasten. Wir sehen auch an der Universitätsmedizin Essen, welch wichtigen Beitrag dazu etwa unsere elektronische Patientenakte oder unser digitales Service- und Informationszentrum liefern.
Und drittens schließlich müssen wir das Sozialprestige des Pflegeberufs signifikant steigern. Ich war in den Wochen während der Tarifauseinandersetzung sehr irritiert darüber, wie von Gewerkschaftsseite die Arbeit als Pflegekraftkraft gleichsam als Hölle auf Erden geschildert wurde. Unabhängig von der Tatsache, dass jeder Arbeitnehmer in welchem Beruf auch immer die zunehmende Arbeitsverdichtung spürt: Wie bitte schön sollen mit diesem Horrorgemälde Nachwuchskräfte gewonnen werden? Die Attraktivität des Berufsbildes „Pflege“ darf interessengesteuert nicht noch weiter beschädigt werden. Ich wünsche mir eine große gemeinsame Kraftanstrengung aller Akteure, auch auf Bundesebene, um diesen Beruf wieder so attraktiv wie möglich zu gestalten, wie er es verdient.