Der Schwalm-Eder-Kreis im Norden Hessens hat seine Kliniken vor gut einem Jahr mit Erfolg privatisiert und damit ein langes Leiden beendet. Die Politik hatte jahrelang gezögert. Der schmerzhafte Prozess der allgemeinen Unsicherheit, des Lohnverzichts für die Mitarbeiter der Kreiskliniken und des jahrelangen Defizitausgleichs war offenbar nötig gewesen, damit die Erkenntnis reifte, dass endlich eine Entscheidung im Kreistag zu fällen war.
Der Schwalm-Eder-Kreis ist ein ganz normaler Landkreis mitten in Deutschland. Er hat Stärken. Zum Beispiel liegt er zentral in Europa, ist prädestiniert als Standort für Logistiker, beheimatet einige international erfolgreiche Global Player und zahlreiche Landwirte, die wieder erfolgreicher wirtschaften als noch vor wenigen Jahren. Aber der Kreis hat auch Sorgen. Seine stationäre Gesundheitsversorgung ist noch nicht auf die Zukunft ausgerichtet. Es gibt noch zu viele und vor allem falsch strukturierte Krankenhäuser. Doch hier ist der Kreis zugleich weiter als andere, denn seine politischen Gremien haben – endlich – vor gut einem Jahr eine richtige Entscheidung getroffen.
Die Mehrheit von SPD und FWG im Kreistag beschloss gegen den Widerstand der Union den Verkauf der Kliniken an einen privaten Betreiber, die Asklepios Gruppe. Der Erste Kreisbeigeordnete, Winfried Becker, sagt, ihm sei es – zumal als Sozialdemokraten – schwergefallen, die Kliniken als Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge abzugeben. Aber die Verhältnisse seien nun einmal, wie sie seien. Der Wettbewerb im Gesundheitswesen werde härter, und der öffentlichen Hand fehle das Geld. Aus der Einsicht in die Fakten hätte er gerne schon vor fünf Jahren den Vertrag zur Privatisierung unterzeichnet. Aber damals habe die Politik noch kein Einsehen gehabt.
Die Umwälzung in der Gesundheitswirtschaft ist nicht aufzuhalten
Nun können die Kommunalpolitiker überall in Deutschland von Becker lernen, unabhängig, welcher Partei sie angehören: Die Umwälzung in der Gesundheitswirtschaft ist nicht aufzuhalten. Im Kreis, dem von der Fläche her zweitgrößten in Hessen, gibt es vier Akutkrankenhäuser. Ein katholisches, frei-gemeinnütziges mit etwa 160 Betten im katholischen, einst kurmainzischen und der Reformation trotzenden Fritzlar und je ein kreiseigenes in Melsungen, Homberg und Schwalmstadt. Wie alle kleineren Städte in Nordhessen haben auch diese jeweils etwa 15 000 Einwohner. Das Melsunger Haus hatte einmal 110 Betten, das Homberger 150 und das Schwälmer 280. Schon Mitte der Neunzigerjahre gerieten diese kommunalen Häuser in wirtschaftliche Schwierigkeiten.
Die Verweildauer der Patienten in den Kliniken sank, und die Kassen setzten den niedergelassenen Chirurgen – befristet – finanzielle Anreize zum ambulanten Operieren. Schließlich führte die Politik das DRG-System ein. Die Kliniken mussten sich auf die veränderten Bedingungen einstellen und ihre Prozesse den neuen Anforderungen anpassen. Denn es wandelten sich die Patientenstruktur, die Diagnostik und die Therapiemöglichkeiten, während die bauliche Struktur der Häuser noch die alte war. Das eine passte nicht zum anderen. Das jährliche Defizit der Kreiskliniken wuchs von einer Million D-Mark auf mehr als fünf Millionen Euro.
Der Kreis sah nicht tatenlos zu, aber er zögerte lange
Der Kreis sah nicht tatenlos zu. Er gründete Servicegesellschaften, um bestimmte Aufgaben wie die Speisenversorgung oder die Reinigung besser und preiswerter erledigen zu lassen, und er schloss einen Notlagentarifvertrag mit den Beschäftigten. Diese verzichteten von 2004 an auf etwa acht Prozent ihres Einkommens, damit die knapp 1 000 Arbeitsplätze auf den 650 Vollzeitstellen bis Ende 2008 nicht verloren gingen. Auch holte sich der Kreis Manager ins Haus, die durchaus richtige Ideen hatten. Aber die Kommunalpolitiker hatten die Dimension des Wandels nicht erfasst, wollten und konnten nicht begreifen, wie tief greifend die Veränderungen wirken sollten. Einer der Geschäftsführer der kommunalen Kliniken, Dr. Dirk Fellermann, zog hieraus die Konsequenz und wechselte zum privaten Betreiber Asklepios in die nahe Kurstadt Bad Wildungen im benachbarten Landkreis Waldeck- Frankenberg.
2003 schloss die Politik den ersten Managementvertrag
2003 nahm der Kreis einen ersten Anlauf und vertraute die Kliniken über einen Managementvertrag mit Kaufoption dem Asklepios Konzern an. Der private Betreiber wollte die drei Häuser für fünf Jahre halten. Die Zeit wollte er nutzen, um Konzepte zu entwickeln. „Ich hätte damals gern den Verkauf unterschrieben“, sagt Becker heute, „aber die Bereitschaft der Politik war nicht da.“ Damals hatte die SPD noch die absolute Mehrheit im Kreistag. Doch sie stand nicht geschlossen hinter der Verkaufsabsicht, während die CDU offen Widerstand leistete. Der Streit war aber nicht nur politisch bestimmt, sondern zugleich von Regionalinteressen, die sich an alten Kreisgrenzen aus der Zeit vor der Gebietsreform vor 30 Jahren orientierten. Kein Bürger wollte sein Krankenhaus in seiner alten Kreisstadt in Gefahr sehen. Nachdem der private Betreiber die schwierige Gefechtslage erkannt hatte, zog er sich zurück. Der Kreis suchte Unterstützung bei einem anderen privaten Konzern.
Die Sana- Gruppe übernahm das Management und schlug vor, das Haus in Schwalmstadt für 32 Millionen Euro zu modernisieren und die Häuser in Homberg und Melsungen zu schließen. An der Autobahnanschlussstelle Ostheim der A7 (Würzburg–Flensburg) sollte auf halbem Weg zwischen den beiden Städten für etwa 35 Millionen Euro ein neues Haus mit 150 Betten entstehen. Der Kreis hätte sich mit zehn Millionen Euro an den Investitionen beteiligen müssen. Der Rest sollte vom Land kommen.
Dann aber brach eine Diskussion auf, ob das neue Autobahnhospital überhaupt wirtschaftlich zu betreiben sei. Zudem regte sich Widerstand in den Städten, die auf ihre Häuser verzichten sollten. „Also hat auch das nichts gegeben“, sagt Becker. Der Standort Ostheim war erledigt. Nun wollte Sana im Zuge eines neuen Sanierungskonzeptes das Haus in Homberg schließen, jenes in Melsungen verkaufen und das in Schwalmstadt für 32 Millionen Euro ausbauen. Daraufhin fürchtete der Kreis „den Rückzug des Betreibers aus der Fläche“. Landkreis und Klinikkonzern gingen getrennte Wege.
Die Rücksicht auf Wahlen erschwert rationale Politik
Nach all diesen leidvollen Erfahrungen ging der Kreis das Thema unmittelbar nach der Kommunalwahl im Frühjahr 2006 abermals an, damit es nicht noch einmal in einen Wahlkampf hineinragte, „denn irgendwo und irgendwann ist immer eine Wahl, und jedes Jahr brachte uns ein Defizit“, sagt Becker. Zudem, ist sich der Politiker sicher, verschlechterten sich langfristig die Rahmenbedingungen für die Kliniken: „Je länger man wartet, desto schlechter wird das Geschäft.“ Kurzfristig einmal steigende Steuereinnahmen, wie sie derzeit sprudeln, versprechen nach Beckers Ansicht keine Umkehr des langfristigen Trends. Mit Hilfe von Price Waterhouse Coopers (PWC) schrieb der Kreis 2006 seine Klinikgruppe europaweit aus. Die Lokalpresse begleitete den Prozess unter der Überschrift „Klinik auf dem Totenbett“. Stimme der Kreistag dem Verkauf zu, fürchteten zahlreiche Beschäftigte um ihren Arbeitsplatz. Außerdem warne einer der Chefärzte vor einer ungenügenden Notfallversorgung.
Trotz aller Panikmache in der Berichterstattung beschloss der Kreistag Ende 2006 in seiner letzten Sitzung den Verkauf der Kreiskliniken an die Bietergef meinschaft um Asklepios. Fünf Prozent hält das benachbarte Herz- Kreislaufzentrum Rotenburg an der Fulda. Der Kreis erhielt kein Geld, sondern zahlte an die neuen Eigentümer 15,9 Millionen Euro. Im Gegenzug leisteten die neuen Eigentümer eine Liquiditätszulage von 1,5 Millionen Euro, übernahmen die Beschäftigungsgarantie, das Defizit von 10,24 Millionen Euro im Jahr 2006 und alle künftigen Fehlbeträge. Asklepios hatte zuvor das Volumen der potenziellen und tatsächlichen Risiken mit 26 Millionen Euro beziffert.
Der Käufer würdigt die professionelle Verhandlungsführung
Der Kreis, sagt Fellermann, der im Klinik-Konzern von Bad Wildungen aus nun auch wieder für den Schwalm-Eder-Kreis zuständig ist, habe in der Tat professionell und gut verhandelt. Mit dem Lohnverzicht im Rahmen des Notlagentarifvertrages hatten die Beschäftigten und die Zusatzversorgungskasse der Kommunen (ZVK) akzeptiert, dass die Abführung an die ZVK von acht auf vier Prozent der Lohn- und Gehaltssumme der Klinikbeschäftigten reduziert werde. Nun entschied die ZVK, dass sie nur eine Minderung um zwei Prozentpunkte akzeptieren werde.
Die Mehrbelastung von 280 000 Euro pro Jahr wird der neue Eigentümer tragen müssen. Für die Ablösung der knapp 1 000 Voll- und Teilzeitbeschäftigten aus der ZVK hätte der Kreis bis zu 40 Millionen Euro zahlen müssen, sagt Becker: „Diese kleine, umlagefinanzierte Rentenversicherung der Kommunen mit all ihren Problemen wegen der demografischen Lastenverschiebung kann zum Totschlagargument gegen Privatisierungen werden, denn die Kommunen können die Ablöse nicht aufbringen, und der neue Betreiber muss die ZVK fortführen.“
Auch für die Beschäftigten lohne sich die ZVK nicht, sagt Fellermann, denn die Jungen zahlten in dem Umlagesystem faktisch drauf, um die Ansprüche der Alten zu finanzieren. Asklepios hofft nun auf die Novelle des hessischen Krankenhausrahmengesetzes, nach der die Budgets der drei Häuser in Melsungen, Homberg und Schwalmstadt zusammengeführt und diese wie ein Haus geführt werden können. Das Haus in Schwalmstadt soll für 22 statt 32 Millionen Euro um- und ausgebaut werden. Es wird das am besten ausgestattete sein. Das Haus in Homberg soll erhalten werden. Im Terminus des Asklepios-Konkurrenten Rhön wäre es eine „Portalklinik“, die die Versorgung in der Fläche sicherstellt, aber ein größeres Haus im Hintergrund hat. In Homberg soll ein Facharztzentrum einziehen, und es können Plätze mit einem externen Partner für Kurzzeitpflege entstehen, wenn Patienten künftig immer früher entlassen werden.
Die Investitionen werden mit fünf Millionen Euro zu Buche schlagen, für die Asklepios eine Investitionszusage mit der Übernahme der Kliniken gegeben hat. Das alte Haus in Melsungen soll ebenfalls zu einem Facharztzentrum werden. Dort werden in diesem Jahr Plätze für eine psychiatrische Tagesklinik entstehen. Die Verhandlungen mit dem Land Hessen wurden erfolgreich abgeschlossen. Mit 150 Betten soll ein neues Haus errichtet werden. Asklepios hofft auf ein Einsehen des Landes, da das Haus in Schwalmstadt preiswerter und das neue Haus an der Autobahn nicht errichtet werden soll.
Asklepios verhandelt mit dem Betriebsrat
Indes verhandelt der neue Eigentümer mit dem Betriebsrat. Fellermann sagt, er wolle die Mitarbeiter in Lohn und Brot halten. Das bedinge ein Geben und Nehmen. Die Beschäftigten seien „sehr vernünftig“. Die Lokalzeitung schrieb: „Alles gut für Homberger Klinik“. Asklepios habe weitere Operateure geholt, werde Diabetiker und dialysepflichtige Patienten besser versorgen und die Palliativmedizin ausbauen. Auch in Melsungen werde vieles besser.
Der Kreis setzt auf Asklepis und dessen Netzwerk
Becker ist froh, dass er die Perspektive einer weiterhin flächendeckenden Versorgung im Kreis erkennen kann, denn keiner solle sterben müssen, weil er seinen Herzinfarkt zu weit entfernt vom nächsten Krankenhaus erleide. Mit Asklepios habe der Kreis „einen guten Betreiber“, der auch in der Lage sei, mit seinen anderen Häusern in der Region Netze zu knüpfen: „Damit haben wir einen Betreiber, der langfristig eine gute medizinische Versorgung für die Bevölkerung bieten kann.“ Zur Privatisierung sagt Becker: „Ich bedaure diesen Schritt nicht. Man hätte ihn früher machen können. Aber der Prozess muss reifen.“ Die Zahl der Betten sank in den vergangenen Jahren in Melsungen unterdessen auf 76, in Homberg auf 102 und in Schwalmstadt auf 192. Mit 14 000 Fällen erwirtschaften die Kliniken einen Umsatz von etwa 47 Millionen Euro im Jahr. „Bis 2010“, hofft Fellermann, „sind wir aus dem Defizit-Thema raus.“