Der Gesundheitsfonds ist wohl nicht mehr zu verhindern

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  • 01.01.2008

Der Vorsitzende des Sachverständigenrats für das Gesundheitswesen, Eberhard Wille, ist alles andere als ein unbedachter Mann. Trotzdem überzog der renommierte Wirtschaftswissenschaftler jüngst auf einer Veranstaltung der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen das zentrale gesundheitspolitische Projekt der großen Koalition mit unverhohlener Kritik. Ein bürokratisches Monster sei der Gesundheitsfonds, das kein Problem im Gesundheitswesen löse. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nannte das Konzept bereits in seinem Jahresgutachten 2006 schlicht misslungen. Warum hat der Fonds diese Kritik verdient, und warum spricht doch derzeit ungeachtet der wieder aufflammenden Kritik vor allem im Koalitionslager der Union alles dafür, dass er gleichwohl pünktlich am 1. Januar 2009 starten wird?

Der Fonds: Bislang legt jede Kasse autonom ihren Beitragssatz fest. Für 2009 soll die Bundesregierung im November dieses Jahres erstmals einen einheitlichen Satz für alle Kassen bestimmen, gestützt auf Prognosen des Schätzerkreises beim Bundesversicherungsamt (BVA). Die Beitragsgelder fließen dann zusammen mit einem Steuerzuschuss von zunächst 4,5 Milliarden Euro in den neuen Gesundheitsfonds, der bis 2015 auf 14 Milliarden Euro pro Jahr steigen soll. Aus ihm erhalten die Kassen für jedes Mitglied eine nach Alter und Geschlecht gestaffelte Grundpauschale.

Hinzu kommen gegebenenfalls weitere Zuweisungen aus einem neuen, in den Einzelheiten noch festzulegenden krankheitsorientierten Finanzausgleich, dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA). Kassen, die mit dem Geld aus dem Fonds nicht auskommen, müssen von ihren Versicherten Zusatzprämien in Form einer Kopfpauschale oder eines prozentualen Beitrags verlangen. Er darf ein Prozent des beitragsfähigen Einkommens beziehungsweise acht Euro im Monat nicht übersteigen.

Die Kritik: Die Union war im Frühjahr 2006 eigentlich angetreten, die Finanzierung des Gesundheitssystems durch ein Gesundheitsprämienmodell von ihrer engen Anbindung an die Löhne abzukoppeln. Das gleiche Ziel verfolgte die SPD mit ihrem Gegenkonzept einer Bürgerversicherung. Die Einigung auf das Fondsmodell erfolgte in den Folgemonaten vor allem deshalb, weil beide Parteien glauben, es bei neuen parlamentarischen Mehrheiten in die Richtung der jeweils eigenen Konzeption weiterentwickeln zu können. Dafür nahmen Union und SPD in Kauf, dass der Fonds die gewollte Entkopplung der Krankenkassenfinanzen vom Faktor Arbeit gerade nicht erreicht. Auch in Zukunft wirddeshalb wie in der Vergangenheit eine Verringerung der volkswirtschaftlichen Lohnquote zu steigenden Beitragssätzen führen, selbst wenn es weiterhin gelingt, die Ausgaben nicht stärker als das Bruttoinlandsprodukt wachsen zu lassen.

Was das Thema „fairer Wettbewerb“ zwischen den Kassen anbelangt, gibt das Fondsmodell mit der einen, was es den Kassen mit der anderen Hand wieder nimmt. Der neue Morbi-RSA soll gewährleisten, dass viele chronisch Kranke zu versichern kein Nachteil mehr für eine Kasse ist. Einnahmeunterschiede, die durch den bisherigen RSA nur zu 92 Prozent ausgeglichen wurden, werden künftig über den Fonds zu 100 Prozent ausgeglichen. So weit, so gut.

Doch über die auf ein Prozent des Einkommens begrenzten Zusatzbeiträge werden diese Verbesserungen wieder zunichtegemacht. Denn die einprozentige Überforderungsklausel führt dazu, dass der Zusatzbeitrag desto höher ausfallen muss, je mehr Versicherte bei einer Kasse wegen geringen Einkommens unter die Klausel fallen. Damit birgt der Fonds die Gefahr, die Kassen statt zum gewünschten Leistungswettbewerb zu einem Wettbewerb um Versicherte mit hohem Einkommen zu zwingen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Fonds zwar anfangs 100 Prozent der Kassenausgaben tragen soll, langfristig jedoch nur 95 Prozent.

Dies bedeutet, dass nahezu jede Kasse früher oder später einen Zusatzbeitrag erheben muss und der Wettbewerb um einkommensstarke Versicherte langsam das ganze System erfassen wird. Noch glaubt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, dass es dazu nicht kommen wird. Sie setzt darauf, dass die Kassen alle ihnen zur Verfügung stehenden Wettbewerbsinstrumente nutzen werden, um den Zusatzbeitrag zu vermeiden. Behielte sie Recht, müsste es den Kassen gelingen, die Gesundheitsausgaben in den nächsten Jahren auf 95 Prozent des Ende dieses Jahres erreichten Niveaus zu senken. Das glaubt niemand. Die Stiftung Soziale Marktwirtschaft hat Anfang Januar – gestützt auf Berechnungen des Instituts für Gesundheitsökonomik in München (IFG) – Alarm geschlagen: Auf 15,5 Prozent oder um sieben Milliarden Euro wird danach der Beitragssatz aller Kassen bis Ende 2008 im Durchschnitt steigen. Entsprechend hoch müsse der neue Fondsbeitrag festgelegt werden.

Die Studie von Prof. Dr. Günter Neubauer und Florian Pfeiffer weist Mängel auf und wird derzeit überarbeitet. Doch liegt die Voraussage im Bereich der Erwartungen der Kassen. Außerdem weist das IFG zu Recht darauf hin, dass heutige Billigkassen die großen Verlierer des Fonds sein werden. Zudem ist die Befürchtung nicht völlig von der Hand zu weisen, dass Kassen ihre Beiträge nur deshalb erhöhen könnten, um sich für den Fonds ein Polster anzuschaffen, aus dem sie ihren Versicherten dann Boni auf die neue Einheitsprämie zahlen könnten. Entsprechend groß war die Resonanz: Vor allem bei der CSU gab es in der Folge massive Absetzbewegungen vom Fondsmodell. Auch Wirtschaft und Gewerkschaften forderten eine Verschiebung.

Ulla Schmidt reagiert bislang auffallend gelassen auf die Aufregung. Mit gutem Grund. So wie das Fondsmodell mit der Gesundheitsreform gestrickt wurde, kann es im Verlauf dieses Jahres eigentlich nur noch aufgehoben oder verschoben werden, wenn sich die Koalition entscheidet, die Gesundheitsreform wieder aufzuschnüren. Doch ein Aufschnüren des mühsam erreichten Pakets würde dazu führen, dass jede Seite sofort weitere Änderungswünsche anmelden würde. Der ganze Reformhickhack des Jahres 2006 ginge von vorne los. Das will auch die Union nicht. Daran ändert sich auch nichts bis wenig dadurch, dass der Fonds nur kommen kann, wenn pünktlich zu seinem Start der Morbi-RSA, die Honorarreform der Ärzte und ein neues Insolvenzrecht für die Kassen stehen.

Beispiel RSA: Eine beim BVA eingerichtete Expertengruppe hat, wenn auch mit monatelanger Verspätung, Ende Dezember in einem Gutachten 80 Krankheitskomplexe ermittelt, für die der neue Ausgleich durchgeführt werden soll. Dahinter verbergen sich weit über 1 000 Einzelerkrankungen, die 67 Prozent aller Kassenausgaben repräsentieren. Die Union und etliche Kassen laufen bereits Sturm gegen das Konzept, wollte die Union doch maximal 50 Krankheiten in den Ausgleich einbeziehen. Ändern kann sie aber nichts. Denn die Umsetzung des Ausgleichs obliegt allein dem der Aufsicht von Gesundheitsministerin Schmidt unterstehenden BVA.

So steht es im Gesetz. Eine kleine offene Flanke hat Schmidt noch beim neuen Insolvenzrecht für die Kassen. Hier geht es vor allem um Altersversorgungsansprüche von Kassenmitarbeitern, für die insbesondere etliche Ortsund Innungskrankenkassen keine Rückstellungen gebildet haben, weil sie es auch nicht mussten. Unter den Bedingungen des Fonds sollen alle Kassen insolvenzfähig werden. Also müssen sie nach Insolvenzrecht bilanzieren und Rückstellungen bilden. Dies ist nur mit langen Übergangsfristen möglich, da es um satte zehn bis elf Milliarden Euro oder einen Beitragssatzpunkt geht, davon allein rund acht Milliarden bei den Ortskrankenkassen. Derzeit verhandelt das Gesundheitsministerium mit den Ländern auf Fachebene darüber, wer in der Übergangszeit von den geplanten 30 Jahren die Haftung übernehmen soll. Die Gespräche seien auf gutem Wege, heißt es auf Nachfrage im Ministerium von Ulla Schmidt.

Peter Thelen

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