Die Gesundheitswirtschaft wächst unaufhörlich. Der außerordentlich vitale Wirtschaftszweig bringt immer neue, spezialisiertere Berufe hervor und sucht entsprechend qualifizierte Fachleute, wie Gesundheitslogistiker oder Gesundheitstouristiker.
Das stürmische Wachstum in Kliniken, Gesundheitsverwaltung, Praxen und neuen Versorgungsformen bringt derzeit immer neue Spezialisierungen und Berufe hervor: Medizin-Controller, Case Manager, Praxismanager. Die Einführung des DRG-Systems erforderte Dokumentationsassistenten in den Kliniken. Auch auf Management- Ebene mangelt es an Fachleuten. Die Ärzte in den Medizinischen Versorgungszentren suchen händeringend nach betriebswirtschaftlich versierten Praxismanagern.
Ärztenetze oder Versorgungsverbünde brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Vertragsgeschäft den ständig wechselnden gesetzlichen Vorgaben folgen können und sie in gewinnbringende Verträge umsetzen können – nur wenige Beispiele von Dutzenden. Doch dem Arbeitsmarkt fehlt noch das nötige Know-how. Medizinstudierende wollen in der Regel Arzt werden, und angehende Volks- und Betriebswirte spezialisieren sich noch viel zu selten auf das Fach „Gesundheit“. Sie gehen der Gesundheitswirtschaft verloren. Darum suchen Personalverantwortliche die klugen Köpfe des Gesundheitssystems von morgen wie die Nadel im Heuhaufen. Kurz: Fachleute der Gesundheitswirtschaft sind rar gesät.
Wissen aus dem Baukastensystem
Zwar haben sich Universitäten und andere Ausbildungsinstitute auf die erhöhte Nachfrage eingestellt und Studiengänge beispielsweise für Clinical Research Management oder Gesundheitsmanagement eingerichtet. Jedoch werden die am Markt geforderten Qualifikationen hier nicht vollständig abgebildet. Wer passgenaues Wissen will, muss es sich im Baukastensystem aneignen. Deshalb bietet die Weiterbildungsbranche, wie die Apollon Hochschule in Bremen, erfahrenen Pflegern, medizinisch- oder pharmazeutisch-technischen Assistenten oder Akademikern aus anderen Gesundheitsberufendie Möglichkeit, die passenden Zusatzqualifikationen in berufsbegleitenden Hochschulzertifikatskursen oder sogar Bachelor- und Masterstudiengängen zu erwerben.
Gesundheitslogistiker flankieren sämtliche Wertschöpfungsketten
Krankenhausketten, Praxisverbünde, Pflegenetze: Viele Einrichtungen des Gesundheitswesens ziehen ihre Effektivität aus ihrer Größe: Kurze Wege, gemeinsames Nutzen teurer Großgeräte, Kumulation von Know-how und Wissensaustausch lassen die Patienten von den Voll-Versorgern profitieren. Aber größere Strukturen erfordern zum Beispiel auch wohl durchdachten Nachschub an Material sowie fachgerechte und sichere Lagerung. Spezielle Unternehmen versorgen bereits die Operationsteams großer Krankenhäuser mit Service-Paketen, die je nach Operation exakt zusammengestellte Materialien enthalten, von der Pinzette bis zur Prothese. Solche Dienstleistungen entschlacken den sonst aufwändigen Prozess der Materialbereitstellung in Kliniken erheblich. Andere Gesundheitsdienstleister fordern die Trennung von Patienten- und Besucherströmen in ihrem Krankenhaus. Wie können Patienten zügig von Untersuchung zu Untersuchung gelangen? Wie erreichen sie nach der OP am sichersten und schnellsten den Aufwachraum oder die Intensivstation? Neben den Versorgungseinrichtungen bieten auch Patiententransport, Pharmadistribution und Großhandel oder Entsorgungslogistik ein weites Betätigungsfeld für Gesundheitslogistiker. Sie flankieren sämtliche Wertschöpfungsketten in der Gesundheitswirtschaft. Entsprechend zielgerichtet hat eine Ausbildung zu erfolgen.
Zwar existiert derzeit noch kein gesundheitslogistisches Äquivalent zur klassischen Ausbildung eines Speditions- und Logistikkaufmanns. Gleichwohl haben sich einige Unternehmen auf die Gesundheitslogistik mit entsprechenden Mitarbeitern spezialisiert. Ihr Know-how erwarben sich diese Mitarbeiter bisher nach dem Prinzip „learning by doing“. Verschiedene Institutionen haben Ausbildungsangebote entwickelt, um dem neuen Berufsbild eine solidere Basis zu geben. In der Universität Trier gibt es unseres Wissens nach den einzigen Lehrstuhl für Gesundheitsmanagement mit einem Schwerpunkt für Logistik, wo daher auch ein aktueller Wissenstransfer in den dortigen MBA-Studiengang garantiert wird. Andere Hochschulen und Institute behandeln diesen Zweig noch en passant.
Erste standardisierte Lernwege werden bereits erarbeitet: Die Apollon Hochschule der Gesundheitswirtschaft wird voraussichtlich Mitte 2009 einen berufsbegleitenden Studiengang Gesundheitslogistik bereithalten. Das Fraunhofer Institut Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund hat im Rahmen seines Healthcare-Logistics-Programms ei-nen Content mit Standards zur Ausbildung von Gesundheitslogistikern entworfen, den Hochschulen in ihr Programm aufnehmen können. Auf diese Weise werden zudem Qualitätsanforderungen normiert.
Gesundheitstouristiker begleiten Wellness- und Gesundheitsreisende
Unter den 20 Preisträgern des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierten Wettbewerbs „Gesundheitsregionen der Zukunft – Fortschritt durch Forschung und Innovation“ hat sich unter anderen auch die Region Nordhessen mit ihren weit reichenden Angeboten zur „Medical Wellness“ durchgesetzt. Die Region dürfte interessante Arbeitsfelder für Fachleute der Gesundheitstouristik bieten. Ihre Kunden: die Generation „50+“ und eine neue Gruppe gesundheitsbewusster Menschen, die ihren Jahresurlaub in den Dienst ihres Wohlbefindens stellen. Etwa die Hälfe des Marktvolumens bei Reiseveranstaltern und Reisebüros entfällt auf die Altersgruppe der Best- Ager. Bis zum Jahr 2030 wird sich an den relativ hohen Renten voraussichtlich nichts ändern. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Gruppe für den Tourismus, besonders für den Gesundheitstourismus, wird in den kommenden Jahrzehnten weiter wachsen.
Gesunde Ernährung, Stressmanagement, Umweltbewusstsein, Fitness – immer stärker suchen die Menschen in der zweiten Lebenshälfte Urlaubsangebote, die ihr körperliches und seelisches Befinden berücksichtigen und fördern. Längst werden aber auch „harte“ medizinische Leistungen im Ausland erbracht: Schönheitsoperationen, Zahnbehandlungen oder Kuren. Auch in anderen Altersgruppen gewinnt der Wellnessgedanke weiter an Bedeutung. Fasten, Fitness, Stressvermeidung und gesunde Ernährung stehen als „eigentliches“ Urlaubsziel hoch im Kurs, zumal Krankenkassen mitunter Zuschüsse zahlen. Längst haben sich auch Heilbäder und Kurorte auf jüngere Gäste eingestellt. Seit 2005 ist nach Angaben der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. das Interesse an Gesundheitsreisen mit 20 Prozent konstant. Das Interesse an Wellnessreisen ist zwischen 2005 und 2008 von 16 auf 19 Prozent gestiegen. Die Gesundheitsurlaube sind ein Milliardenmarkt. All diese Kunden erwarten zu Recht eine einwandfreie, kompetente Beratung undBegleitung ihres Gesundheitsurlaubes.
Der Gesundheitstouristiker verbindet Kenntnisse aus Geografie, Medizin, Tourismus und Betriebswirtschaft. Er wird die ärztliche Versorgung vor Ort beurteilen können, die Unterbringungsmöglichkeiten, die klimatischen Verhältnisse und nicht zuletzt die Barrierefreiheit am Urlaubsort. Er ist in der Lage, zielgruppenorientierte Gesundheitsurlaube zu entwickeln und anzubieten. Als Mitarbeiter in Tourismuszentralen der Zielgebiete, Reisebüros, bei Reiseveranstaltern, Krankenkassen oder Fachverlagen kann der Berater einen stetig wachsenden Wirtschaftszweig mit Fachwissen und Service bedienen. Auch hier verlangt der Markt nach geeigneten Fachkräften. Die Ausbildungsinstitute beginnen sich bereits auf die Anforderungen einzustellen. So bietet das Baltic College, das seinen Sitz in vier Städten Mecklenburg- Vorpommerns hat, einen dualen Studiengang namens „Management im Gesundheitstourismus“ an, also eine Ausbildung in Theorie und Praxis. Ebenso plant die Apollon Hochschule ein entsprechendes Angebot.
Bis zum Jahr 2020 könnten eine Million Vollzeitstellen entstehen
In ihrer Studie „Deutschland 2020. Zukunftsperspektiven für die deutsche Wirtschaft“ schreibt die Unternehmensberatung McKinsey, die deutsche Wirtschaft müsse um mindestens drei Prozent wachsen, um das Sozialsystem Deutschlands und die finanzielle Sicherung breiter Bevölkerungsschichten zu sichern. Wenn unternehmerische Erneuerung und stärkeres Wachstum in den Mittelpunkt gestellt würden, sei in Deutschland eine positive Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft erreichbar: „Das mittlere Einkommen würde gegenüber 2006 real um über 40 Prozent – von 25 000 Euro pro Kopf auf rund 36 000 Euro – im Jahr 2020 steigen. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt würde sich entspannen, der Mangel an hoch qualifiziertem Fachpersonal wäre das vordringliche Problem. Insgesamt müssten mehr als sechs Millionen zusätzliche Beschäftigte mobilisiert werden.“ Bis 2020 könnten in der Gesundheitswirtschaft bis zu einer Million Vollzeitstellen entstehen, heißt es in der Studie. An dieser Entwicklung will und wird der Ausbildungsmarkt für Fachleute in der Gesundheitswirtschaft teilhaben.
Anschrift des Verfassers:
Heinrich Dieckmann, Vizepräsident Apollon Hochschule der Gesundheitswirtschaft, Abteilung AA257, Universitätsallee 18, 28359 Bremen.
Der Arbeitsmarkt für neue Berufe ist noch in der Entwicklung
Neue Medikamente und medizintechnische Geräte für Diagnose und Therapie, innovative Versorgungskonzepte, vernetzte Gesundheitsregionen und begrenzte Budgets verändern kontinuierlich den beruflichen Alltag der Beschäftigten in der Gesundheitsbranche. Auch bei den Bildungsanbietern hat sich längst herumgesprochen, dass ärztlicher und pflegerischer Dienst einerseits nicht alles selbst machen, sondern möglichst viel delegieren sollen, aber andererseits oftmals noch nicht für die gestiegenen Anforderungen in der sich verändernden Berufswelt qualifiziert sind. Hinzu kommen neue Bereiche im klassischen ersten und sogenannten zweiten Gesundheitsmarkt (Touristik, Wellness), die für das ärztliche und pflegerische Personal, aber vor allem auch für andere Berufe interessant sind, wie Gesundheitslogistik und Gesundheitstouristik. Manchmal entwickeln sich daraus vollständig neue Berufe.
Es verwundert eigentlich nicht, dass sich private Hochschulen, aber auch Berufsakademien – durch ihre „natürliche“ Nähe zum betrieblichen Alltag – diesen neuen beruflichen Herausforderungen überwiegend schneller und flexibler als die öffentlichen Fachhochschulen und Universitäten, aber auch durchaus risikobereiter stellen und somit die Nase vorne haben. Es will schon etwas heißen, dass der Begriff „Gesundheitstouristik“ in Wikipedia noch fast genauso selten vorkommt wie „Gesundheitslogistik“. Lediglich im Stadt- oder Regionenmarketing taucht er erstmals vereinzelt auf. Und das, obwohl Gesundheitstourismus längst als Arbeitsmarkt der Zukunft vor allem in industriell schwachen, aber landschaftlich attraktiven Landstrichen entdeckt wurde. Aber die eigentliche konzeptionelle Arbeit findet oftmals jetzt erst statt, da Vorbeugung, Wandern und anderes mehr bei jungen Leuten und aktiven mobilen Alten immer mehr zum Thema werden, oder dort, wo zum Beispiel eine veraltete Klinik-Infrastruktur nicht mehr zu halten ist.
Die „Gesundheitslogistik“ wird bereits seit gut zehn Jahren thematisiert, sie hat aber in der praktischen Umsetzung in Gesundheitseinrichtungen noch nicht so richtig den Bereich von Warehousing und Distribution, der Materialwirtschaft und des Einkaufs überschritten. Die Herausforderungen in den vernetzten „Gesundheitsregionen der Zukunft“ sind allerdings sehr viel umfangreicher und betreffen vor allem Patienten, Medizin, Pflege- und Servicepersonal. Und Gemeinsamkeiten oder Schnittmengen mit den Anforderungen in der Gesundheitstouristik sind offensichtlich (Stichwort Mobilität). So bleibt denn nur zu hoffen, dass der Arbeitsmarkt sich für die neuen Berufe oder zumindest Berufsfelder so attraktiv entwickelt, dass die schönen neuen Fort- und Weiterbildungsinitiativen sowie Studiengänge nicht ins Leere laufen.
Prof. Dr. Andreas J. W. Goldschmidt