Die Techniker Krankenkasse hat ein Konzept entwickelt, das die differenten deutschen Vergütungssysteme zusammenfasst. Die sogenannten Hybrid-DRG sollen einheitliche Qualitäts- und Honorierungskriterien in Praxen und Kliniken für Leistungen im Grenzbereich zwischen ambulant und stationär schaffen. Indikationen, Behandlungswege, Ergebnisse und Kosten lassen sich demnach transparent darstellen, Fehlanreize beseitigen und die Leistungsangebote besser an den Patientenwünschen ausrichten.
Die gesundheitspolitischen Diskussionen in Deutschland in den zurückliegenden Jahrzehnten benennen wiederkehrend folgende wesentliche Mängel der Gesundheitsversorgung:
- sektorale Finanzierungs-, Vergütungs- und Versorgungsstrukturen,
- intransparente Leistungsqualität,
- Defizite in der Ressourcenallokation.
Mit flexibler Vergütung zu flexibler Versorgung
Aus Sicht der Techniker Krankenkasse ist es notwendig, die Versorgungsstrukturen den Bedürfnissen der Patienten und den regionalen Besonderheiten an zupassen. Eine Voraussetzung ist die Ausgestaltung flexibler Vergütungsstrukturen – insbesondere zwischen stationärer und ambulanter Versorgung. Hierfür sind neue – auch gesetzliche – Rahmenbedingungen zu schaffen, die finanzielle Anreize mit einschließen.
Krankenhäuser und vertragsärztliche Versorgungsstrukturen (zum Beispiel Praxisklinikstrukturen, fachärztliche Berufsausübungsgemeinschaften) mit einem hohen Anteil von Leistungen an der Schnittstelle zur ambulanten Versorgung sollen künftig entsprechend flexiblere Behandlungsangebote vorhalten können.
Neben den gesetzten finanziellen Anreizen führt auch der medizinisch-technische Fortschritt zu immer kürzeren Aufenthaltsdauern im Krankenhaus. Zugleich wird die Teilnahme der Krankenhäuser an der ambulanten Versorgung aufgrund gesetzlicher Neuregelungen erweitert. Umgekehrt nehmen Tätigkeiten von Vertragsärzten an Krankenhäusern zu, die zu Verlagerungen von ambulanten Leistungen in das Krankenhaus führen können.
Im Ergebnis führen die Unterschiede in den Vergütungshöhen und Abrechnungsbedingungen zwischen vertragsärztlichem und klinisch-stationärem Bereich zu erheblichen Fehlanreizen in der Patientenversorgung in der Grauzone zwischen stationärer und ambulanter Behandlung. Die Gestaltung einer einheitlichen Vergütung soll Strategien zur Erlösoptimierung überflüssig machen. Die richtige medizinische Indikation rückt wieder stärker in den Mittelpunkt der Behandlung. Darüber hinaus werden die Abrechnungsprozesse deutlich entbürokratisiert, die Prüfung, ob eine stationäre Behandlung medizinisch indiziert ist, entfällt.
Die neu zu entwickelnde Vergütungsform – die Hybrid-DRG – soll dazu dienen, diesen Problemen entgegenzuwirken. Die beschriebenen Leistungen sollen ein Baustein der kollektivvertraglichen Versorgung werden. Entwicklungsziel ist die Kalkulation durch ein unabhängiges Institut. Die Hybrid-DRG werden in einem separaten Katalog abgebildet, die jährliche Anpassung der Vergütung erfolgt auch hier analog über einen einheitlichen Basisentgeltwert.
Ortsunabhängig gleicher Preis für gleiche Leistung
Hybrid-DRG vergüten und beschreiben Leistungskomplexe, deren Inhalte sich definieren anhand bisher sowohl ambulant als auch stationär angebotener operativer und konservativer Behandlungen. Neben der Kernleistung umfasst das Projekt die gesamte prä-, peri- und postoperative sektorenverbindende Versorgung mit zweckmäßiger und notwendiger Vor- und Nachbehandlung.
Die Leistungen können sowohl von zugelassenen Krankenhäusern, von einzelnen niedergelassenen Ärzten als auch von verschiedenen Organisationsformen niedergelassener Ärzte – Gemeinschaftspraxen, Praxiskliniken oder MVZ – erbracht werden. Die Inhalte der Behandlungen, Vergütungen und Qualitätsanforderungen sind für alle Leistungserbringer identisch. Die Leistungen können ambulant, tagesklinisch oder stationär erbracht werden. Darüber entscheidet allein die medizinische Notwendigkeit. Die Abrechnung erfolgt direkt mit der Krankenkasse. Basis für eine Kalkulation ist eine Hybrid-DRG-Systematik, die in einem ersten Schritt auf der Grundlage bestehender Finanzierungssysteme gewichtete Durchschnittspreise ermittelt. In der Weiterentwicklung des Projekts ist die Etablierung einer Ist-Kosten-Kalkulation in Analogie zur DRG/PEPP-Kalkulation geplant, die als Vorbild für die Regelversorgung dienen könnte.
Der Hybrid-DRG-Katalog muss klar abgrenzbare Leistungen enthalten, die wenige Interpretationsspielräume zu lassen. In diesem Zusammenhang sollten objektive Kriterien festgelegt werden, die eine klare (möglichst technische) Zuordnung sicherstellen, zum Beispiel:
- Alter,
- Verweildauer,
- -PCCL/Nebendiagnosen,
- Komplexität des Eingriffs,
- Umfang der Nachbetreuung,
- -spezielle Leistungsinhalte.
Neben der Abgrenzung zu anderen Leistungsbereichen ist die Definition eines klar strukturierten Behandlungspfads von der Indikationsstellung über die Therapie bis hin zur Nachsorge ein wichtiges Kriterium für die Aufnahme einer Leistung in den Hybrid-DRG-Katalog.
Qualitätssicherung ist kein Selbstzweck
Der vorgestellte Ansatz soll finanzielle Fehlanreize beseitigen. Die Übertragung der Entscheidung, mit welchen medizinischen und strukturellen Ressourcen ein Patient behandelt wird, setzt eine engmaschige Qualitätssicherung voraus. Neben der Berücksichtigung von Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität ist auf die Indikationsstellung besonderes Augenmerk zu legen.
Im Hybrid-DRG-Konzept ist Ergebnisqualität zu ermitteln:
- unabhängig vom Leistungserbringer,
- unabhängig vom Ort der Leistungserbringung,
- über den Zeitverlauf der Behandlung,
- über einen angemessenen Nachbetrachtungszeitraum (Follow up),
- ohne hohen Dokumentationsaufwand und
- möglichst auf der Basis von Routinedaten.
Mit Pilot und Probekalkulation erste Erfahrungen sammeln
Der Weg hin zu grundlegenden Veränderungen innerhalb von Versorgungsstrukturen und Vergütungssystemen ist lang. Es bedarf viel Überzeugungsarbeit, um solche Veränderungen zu bewirken. Daher erscheint es sinnvoll, praktische Erfahrungen im Rahmen von Pilotprojekten zu sammeln und diese in die Diskussion einzubringen. Dazu wird auf der Basis von vier chirurgischen Indikationen derzeit ein Pilotprojekt in Thüringen in Zusammenarbeit mit dem Berufsverband der Deutschen Chirurgen und der Deutschen Fachgesellschaft für Chirurgie vorbereitet. Ziel ist es, mit möglichst vielen Kostenträgern und Leistungserbringern diese neue Form der Vergütung in der Praxis zu testen.
Zusätzlich soll parallel dazu ein Antrag an den Innovationsfonds gestellt werden, um eine Ist-Kosten-Kalkulation vorzubereiten. Neben der Erstellung eines Kalkulationshandbuchs und einer Probekalkulation bedarf es auch technischer Lösungen für die Handhabung der Schnittstellen zwischen Praxissoft ware und KIS.
Einheitliche Vergütungsregelungen verbunden mit ebensolchen Qualitätssicherungssystemen führen im Ergebnis zu einem Wettbewerb um die beste Versorgung unabhängig vom Ort der Leistungserbringung. Nur über die Harmonisierung der finanziellen Anreize kann ein Wettbewerb auf Augenhöhe erfolgen, in dem sich die qualitativ besten Behandlungsangebote durchsetzen werden.