Image der Pflege

Die Realität ist besser als ihr Ruf

  • Personal
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  • 01.06.2018

f&w

Ausgabe 6/2018

Seite 502

Deutschland steht vor einem gewaltigen Mangel an Pflegefachkräften. Der Beruf muss wieder attraktiver werden. An der Bezahlung liegt es nicht, sondern am Image und den Arbeitsbedingungen.

Je nach Studie werden in Deutschland bis zum Jahr 2030 zwischen 300.000 und 500.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt. Bereits 2016 fehlten in deutschen Einrichtungen rund 40.000 Pflegefachkräfte. Noch dramatischer wird die Situation, wenn man bedenkt, dass der prognostizierte Fachkräftemangel bis zum Jahr 2030 bundesweit über alle Berufsgruppen auf rund drei Millionen geschätzt wird. Im gleichen Zeitraum wird die Zahl der Pflegebedürftigen um rund 50 Prozent steigen.

Seit Jahren ist „Der Pflegenotstand“ ein allgegenwärtiges Thema – viel getan haben die Beteiligten gleichwohl bis heute nicht, um dieses Problem zu lösen. Vielfach hilflos begegnen Politiker, Gewerkschaften, Verbände und Gesellschaft dem immer schneller steigenden Personalbedarf in der Pflege. Dieser wird noch beschleunigt durch die beginnende Renteneintrittswelle der geburtenstarken Jahrgänge.

Seit vielen Jahren fehlt der Mut, die Zahl der Krankenhäuser und Einrichtungen zu reduzieren und damit die Qualität der Versorgung zu steigern. Auch über die Reform und Anerkennung von neuen Gesundheitsberufen wird schon lange diskutiert – Anästhesietechnische(r) Assistent(in) (ATA), Operationstechnische(r) Assistent(in), Physician Assistants, akademisch ausge- bildete Hebammen und andere. Aber Entscheidungen werden immer wieder aufgeschoben.

Die jährliche Anpassung von Personalbedarfs- und Finanzierungssystemen und Investitionsversäumnisse der Länder haben den Fachkräftemangel zusätzlich gesteigert. Neben all diesen „hausgemachten“ Problembeschleunigern erschwert das öffentlich geprägte negative Image der Pflegeberufe die Nachwuchsgewinnung.

Rund 50 Prozent der in Deutschland Pflegenden schätzen das Image ihres Berufes negativ ein. Damit ist dieser Anteil etwa doppelt so hoch wie in anderen westeuropäischen Ländern. Fragt man die Pflegenden nach den Gründen hierfür, reichen die Antworten von dem Hinweis auf eine gestiegene Arbeitsverdichtung, ungünstige Arbeitszeiten, schwere körperliche Arbeit bis zu begrenzten Verdienst- und Karrieremöglichkeiten. Das wirft die Frage auf, was sich verändert hat. Stimmen die Aussagen mit der Realität überein?

Hohe soziale Anerkennung der Krankenpflege

Interessanterweise ist das öffentliche Ansehen gerade der Krankenpflege seit vielen Jahren völlig anders und überaus positiv. Laut einer Umfrage von Forsa und GfK aus dem Jahr 2016 ist die Krankenpflege der Beruf mit der zweit- bzw. dritthöchsten Achtung in der deutschen Bevölkerung. Dabei profitiert die Krankenpflege gerade vom Image der Medizin. Andererseits wird die Pflege häufig undifferenziert vermengt, ohne etwa zwischen der Kranken- und der Seniorenpflege zu unterscheiden.

Getragen wird dies von der – häufig ebenso undifferenzierten – Darstellung der Pflege in den Medien, durch die Politik und von Interessenvertretungen. Auf die großen Unterschiede etwa in der Tätigkeit, bei den Anforderungen und gerade auch bei der Bezahlung zwischen der Krankenpflege und den sonstigen Pflegeberufen wird nicht angemessen hingewiesen. Im Gegenteil. Häufig wird etwa über den Pflegemindestlohn berichtet, ohne deutlich zu machen, dass dieser weder für die Kranken- noch für die Altenpflege Anwendung findet, sondern, wenn überhaupt, für Pflegehilfskräfte gilt, die nahe dem gesetzlichen Mindestlohn vergütet werden.

Dies bedeutet nicht, dass die Höhe des Pflegemindestlohns angemessen ist, zeigt aber das Problem. Menschen außerhalb des Gesundheitswesens bekommen ein Bild der Pflege, das vielfach schlicht nicht den Realitäten entspricht. Bereits eine kurze Recherche in den Medien, sozialen Netzwerken, bei Parteien und Gewerkschaften zeigt, dass eine differenzierte Diskussion der Vor- und Nachteile der Pflegeberufe und insbesondere auch der Unterschiede zwischen den einzelnen Berufsgruppen innerhalb der Pflege kaum vorkommt.

So braucht man sich nicht zu wundern, wenn auch die Krankenpflege in der Öffentlichkeit als fast schon prekärer Beruf wahrgenommen wird. Gerade die Gesundheits- und Krankenpflege zählt mit 2.100 Theorie- und 2.500 Praxisstunden nach wie vor zu den anspruchsvollsten Ausbildungsberufen in Deutschland. Die monatliche Vergütung im Tarifvertrag für Auszubildende des öffentlichen Dienstes (TVAöD) beträgt im 1. Ausbildungsjahr aktuell 1.040,69 Euro, im 3. Ausbildungsjahr bereits 1.203,38 Euro. Nach Beendigung der Ausbildung erhält ein nach dem TVöD vergüteter Gesundheits- und Krankenpfleger ein monatliches Grundgehalt in Höhe von 2.635,53 Euro. Dazu kommen Zuschläge, die sich mit dem Grundgehalt im Durchschnitt im ersten Jahr der Tätigkeit auf monatlich 3.128,19 Euro und nach 15 Berufsjahren auf der gleichen Position auf 3.833,48 Euro summieren (im jüngsten Tarifabschluss [VKA] wurde eine Steigerung von sieben Prozent vereinbart).

Richtig ist, dass diese Vergütungen aus unterschiedlichen Gründen je nach Region und Träger variieren und Tarifverträge unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Aufgrund der Vielzahl der im öffentlichen Dienst Beschäftigten ist die Bezugnahme auf diesen Tarifvertrag an dieser Stelle gleichwohl angebracht.

Eine aktuelle Studie des IAB-Forum unter Zuhilfenahme von Daten der Bundesanstalt für Arbeit bestätigt, dass die Tarifsteigerungen der Jahre 2012 bis 2016 in der Krankenpflege oberhalb des Durchschnitts der bundesdeutschen Fachkräfte liegen. Auch liegt das monatliche Durchschnittseinkommen über alle Tarife 2016 mit 3.240 Euro mehr als 100 Euro über dem mittleren Einkommen in Deutschland (Abb. 1).

Umso erstaunlicher ist es, dass Berufsbilder wie etwa das des Bankkaufmanns oder des Mechatronikers, ebenfalls anspruchsvolle Ausbildungsberufe, ganz überwiegend positiv und unkritisch in den Medien dargestellt werden und in der öffentlichen Diskussion vorkommen. Weshalb ist das so?

An der Vergütung kann es nicht liegen. Bereits in der Ausbildung reicht in keiner der genannten Berufsaus­bildungen die Vergütung an jene in der Krankenpflege heran. Und dies ändert sich kaum im weiteren Berufsleben. Eine Bankkauffrau verdient durchschnittlich rund 5.000 Euro weniger im ersten Jahr ihrer Berufstätigkeit als eine Gesundheits- und Krankenpflegerin. Erst nach 15 Berufsjahren verdient eine Bankkauffrau rund fünf Prozent mehr im Jahr als eine examinierte Mitarbeiterin in der Krankenpflege. Beim Mechatroniker etwa ist die Diskrepanz noch höher; er verdient im ersten Jahr der Berufstätigkeit rund 6.000 Euro weniger als eine Gesundheits- und Krankenpflegerin, nach 15 Berufsjahren verdient er bereits rund 12.000 Euro weniger, als dies in der Krankenpflege der Fall ist (Abb. 2).

Anders als vielfach dargestellt bietet die Pflege, insbesondere im Bereich der Krankenpflege, vielfältige berufliche Entwicklungsmöglichkeiten. Angefangen mit zahlreichen Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich der Fachkrankenpflege, der Qualifikation etwa als Hygienefachkraft oder im Bereich Case Management über Möglichkeiten des Mentoring und der Praxisanleitung bis hin zu Führungspositionen wie Stationsleitung oder Pflegedienstleitung bietet bereits das originäre Berufsbild der Pflege viele Chancen.

Problem Arbeitsverdichtung

Die weitergehende akademische Qualifikation in der Pflege ist möglich und gut geeignet, um künftig Führungs-, aber auch forschende und lehrende Aufgaben in der Pflege zu übernehmen. Viele Kliniken und Anbieter von Pflegeleistungen bieten bereits strukturierte Weiterbildungsprogramme an oder planen, diese zu etablieren.

Nicht von der Hand zu weisen ist eine zunehmende Arbeitsverdichtung im Bereich der Pflege in den vergangenen Jahren. Hier ist allerdings zu differenzieren. Insbesondere in den 2000er-Jahren und teilweise bis vor einigen wenigen Jahren war die Arbeitsverdichtung insbesondere davon geprägt, dass Ineffizienzen beseitigt und wirtschaftliche Strukturen geschaffen wurden. Dies war notwendig, um den stetig steigenden Kosten des Gesundheitssystems zu begegnen und die Versorgung zukunftssicher zu machen. Insbesondere die medizinische Versorgung hat hierunter nicht gelitten.

Objektiv und selbstkritisch betrachtet, hat mancherorts auch ein Verteilungsproblem im begrenzten Personalkostenbudget zwischen ärztlichem und pflegerischem Personal einen Beitrag geleistet. Zusätzliche Stellen im ärztlichen Dienst (unter anderem der EU-Arbeitszeitgesetzgebung Ende der 2000er-Jahre geschuldet) und außerordentliche Gehaltssteigerungen durch eigenständige Tarifverträge führten vereinzelt zu einer Kompensation durch weniger Pflegepersonal bei steigender Arbeitsverdichtung.

Doch mittlerweile ist die Situation eine andere. Vielfach ist eine Arbeitsverdichtung in der Pflege zu beobachten, die weder von der Pflege noch vom Arbeitgeber gewollt ist. Stellenpläne können immer seltener zufriedenstellend besetzt werden. Und selbst wenn formal genügend Pflegekräfte vorhanden sind, ist zu beobachten, dass die Ausfallquoten insbesondere aufgrund von Krankheiten stetig steigen. Dies hat zur Folge, dass etwa Stationen immer häufiger mit weniger Pflegepersonal betrieben werden müssen, als vorgesehen ist, bevor zunehmend Stationsschließungen erfolgen.

Die Folgen: Mitarbeiter werden stark belastet, müssen regelmäßig für Kollegen einspringen, werden aus ihrer arbeitsfreien Zeit geholt und haben häufig keine Dienstplansicherheit mehr, sodass das Privatleben zusätzlich leidet. Einigen Krankenhäusern mangelt es allerdings auch an zeitgemäßem (Personal-)Management, was die Situation verschärft. So bieten verhältnismäßig wenige Einrichtungen eine arbeitserleichternde Infrastruktur, nutzen die Möglichkeiten der Substitution von Aufgaben der Pflegenden oder sind bereit, (beispielsweise über Pooling-Modelle) Pflegenden flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten, die etwa aufgrund von Zeiten der Kinderbetreuung ihre Arbeitskraft nicht Vollzeit zur Verfügung stellen (können). Die so politisch, gesellschaftlich und teils selbst verschuldete Situation vermittelt eine Verschlechterung der Attraktivität der Pflege und führt dazu, dass qualifizierte junge Menschen es sich zweimal überlegen, ob sie einen Pflegeberuf ergreifen wollen.

Spricht man mit Pflegenden in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, aber auch mit den Betriebsräten vor Ort, erfährt man schnell, dass die vorhandenen Stellenpläne in den allermeisten Fällen ausreichend wären, sofern diese auch tatsächlich besetzt werden könnten. Die Aufgabe besteht weniger darin, zusätzliche Stellen in der Pflege zu schaffen, sondern die bestehenden Stellen zu besetzen. Fast schon naiv und wie eine Regulierung von Mangelwirtschaft wirkt vor diesem Hintergrund die Diskussion um gesetzlich festgelegte Personalschlüssel etwa in bestimmten Bereichen der Krankenpflege. Der Fokus aller sollte und muss darauf liegen, die tatsächlichen Bedarfe und damit die heute bereits vorhandenen und vakanten Stellen zu besetzen.

Hervorragende Perspektiven

Die Pflege bietet hervorragende Perspektiven, Sicherheit wie kaum ein anderer Beruf und ist insbesondere in der Krankenpflege bereits heute gut bezahlt. Erstaunlicherweise kommt dies in den öffentlichen Diskussionen viel zu wenig vor. Dabei gibt es keinen Grund, diesen Berufszweig in eine Opferrolle zu drängen, in der sich vor allem auch die Pflege selbst sieht. Viele andere Berufszweige mit vergleichbaren Qualifikationen würden hierüber verwundert den Kopf schütteln, wenn die tatsächlichen Rahmenbedingungen der Pflege bekannt wären.

Dies bedeutet nicht, dass es keinen Verbesserungsbedarf gibt. Überall dort, wo Entlastungen im Bereich der Pflege möglich sind, muss dieses konsequent vorangetrieben werden. Unnötige Tätigkeiten lassen sich vermeiden, hierfür ist aber ein berufsgruppenübergreifender Konsens notwendig.

Wenn unsere Gesellschaft nicht in eine echte Versorgungskrise rutschen will, müssen alle – Politiker, Gewerkschaften, Interessenvertreter jeglicher Couleur, Betreiber von Gesundheitseinrichtungen und Medien – wieder dazu kommen, objektiv über die Vor- und Nachteile der Pflege zu sprechen. Weshalb werden die sehr attraktiven Aspekte dieses Berufsbilds nicht thematisiert? Schaffen wir es nicht, das Image der Pflege zu verbessern, werden wir bereits in wenigen Jahren merken, dass aus einem Pflegenotstand eine tatsächliche Krise geworden ist. Spätestens dann werden wir nicht umhinkommen, die Zahl von Einrichtungen im deutschen Gesundheitswesen zu überdenken. Laut der Industrieländerorganisation OECD („Health at a glance 2017“) halten wir pro 1.000 Einwohner 13,3 Pflegekräfte vor. Das ist nicht nur deutlich mehr als der Durchschnitt der Länder, sondern zudem eine höhere Anzahl als etwa in den gepriesenen Gesundheitssystemen der Schweden oder Niederländer.

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