Wer ein Krankenhaus digitalisieren will, muss investieren. Aber inwiefern rechnet sich das? Und wie kann man den Nutzen auch abseits finanzieller Kennzahlen messen? Das Klinikum Leverkusen und das Neusser Lukaskrankenhaus zeigen, wie es geht.
Als die Controller am Klinikum Leverkusen im Jahr 2006 nachrechneten, ob man in die Roboter-assistierte Urologie einsteigen sollte, war das Ergebnis eindeutig. „Das wird eine Katastrophe!“, war das Fazit, an das sich Andreas Weiß noch genau erinnert. Er leitet heute den Geschäftsbereich Controlling, Finanzen und Qualitätsmanagement am Klinikum Leverkusen. Er schaute sich damals mit Kollegen die Vollkosten an, die durch eine Prostatektomie-OP mit einem „da Vinci-System“ entstehen – einen Eingriff, bei dem der Arzt die Prostata chirurgisch entfernt. Dann verglichen die Leverkusener die Methode mit dem konventionellen OP-Verfahren und stellten fest: Das Robotik-Verfahren war finanziell nicht tragbar.
Die Klinikmanager blieben dennoch am Thema dran. Könnten nicht andere Gründe dafür sprechen, das System anzuschaffen, fragten sie sich. Könnte sich dadurch beispielsweise die Verweildauer reduzieren lassen? Könnte die Qualität der Operationen erhöht und die Zahl der Patienten gesteigert werden? Verändert sich die Finanzierung?
Das Klinikum entschied sich letztlich auf Rat ihrer Mediziner für den Kauf des Systems. Im Rahmen einer Ersatzbeschaffung fünf Jahre später war dann entscheidend, dass der Chefarzt Spender für die Anschaffung fand. Die Investitionskosten waren somit weitgehend gedeckt, berichtete Finanzexperte Weiß beim „Best-Practice-Controlling“-Seminar in Dortmund, das vom Bibliomed-Verlag und dem Deutschen Verein für Krankenhaus-Controlling (DVKC) veranstaltet wurde. Dort gab er anhand des Robotik-Beispiels spannende Antworten zu der Frage: Wie ermittelt und bewertet man eigentlich bei Digitalisierungsprojekten den Nutzen?
Prozesse verbessern und messen
Grundsätzlich rät Weiß Controllern bei Digitalisierungsprojekten, eine ganze Reihe von Bewertungskriterien zu entwickeln. Eines können zum Beispiel Vorteile mit Blick auf die Arbeitgeber-Attraktivität sein. So gaben 45 Prozent der befragten leitenden Ärzte in einer Studie von Schubert Management Consultants an: Für sie spielen die Ausstattung der Räume und die Technik eine wichtige Rolle bei der Wahl des Arbeitgebers.
Ein weiteres Kriterium für die Nutzenbewertung ist für die Controller, ob die Prozesse verbessert wurden. Im Rückblick zeigte sich für das Klinikum Leverkusen: Unter den Patienten, denen die Prostata entfernt wurde, sank die Verweildauer – und zwar von 9,3 auf 7,8 Tage. Das war ein stärkerer Rückgang als im Durchschnitt aller Kliniken in Deutschland. „Das spricht dafür, dass wir die Prozesse ganz deutlich verbessert haben“, sagt Weiß.
Eindeutige Veränderungen gab es in den vergangenen Jahren auch bei der Fallpauschale zur radikalen Prostatektomie, der DRG M01B. 2013 waren als Sachkosten für die DRG M01B gerade einmal 250 Euro festgelegt. In diesem Jahr sind es bereits 930 Euro. Der Anstieg hängt mit den Veränderungen in der Kalkulationsstichprobe des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zusammen. Gab es unter den Kalkulationshäusern im Jahr 2013 gerade einmal 14 Prozent mit einem da Vinci-System, sind es mittlerweile 47 Prozent. Der Erlös für die DRG M01B stieg von 6.500 Euro im Jahr 2010 auf mittlerweile mehr als 9.000 Euro.
In puncto Qualität sind die Ergebnisse mit Blick auf das da Vinci-System hingegen bis heute nicht eindeutig, berichtet Weiß. So zeigte eine 2016 in der Fachzeitschrift Lancet veröffentlichte Studie, dass es beispielsweise in puncto Harnkontinenz keine entscheidenden Vorteile gab, jedoch bei Themen wie der OP-Dauer und Verweildauer. Andere Studien legen nahe, dass in denjenigen Kliniken bessere Ergebnisse erzielt werden, in denen die Zahl der Eingriffe mit dem da Vinci-System höher ist – und wo die Operateure somit erfahrener sind.
Über die Jahre ist die Fallzahl zur Prostatektomie am Klinikum Leverkusen zurückgegangen, haben die Controller ermittelt. In Leverkusen entwickelten sich die Fallzahlen aber immer noch besser als an anderen Kliniken in der Umgebung, die die Roboter-assistierte Methode nicht einsetzen. Dort sank sie noch stärker, berichtet Weiß. Das da Vinci-System scheint somit auch in dieser Hinsicht ein Pluspunkt für das Klinikum zu sein.
Wirtschaftlichkeit einer Abteilung im Blick
Unterm Strich ist der zentrale Aspekt für die Bewertung des da Vinci-Systems die abteilungsbezogene Deckungsbeitragsrechnung, findet Finanzexperte Weiß. „Der medizinische Benefit für den Patienten und Prozessoptimierungen im standardi Marketing zu einem Thema machen“, sagt er. Das Klinikum könne sich damit am Markt positionieren. Die Controller beurteilen den Markt aber nicht mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit einer einzelnen Leistung, sondern mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit der gesamten Abteilung – und die hat sich in Leverkusen über die Jahre deutlich verbessert.
Umfassende Erfahrungen mit Digitalisierungsprojekten im Krankenhaus hat auch Dr. Nicolas Krämer gemacht. Er ist Kaufmännischer Geschäftsführer der Städtischen Kliniken Neuss – Lukaskrankenhaus – GmbH. Das Klinikum hat beispielsweise die Visite 2.0 eingeführt. Ärzte und Pflegekräfte gehen seit dem Start des Projekts mit einem iPad durch die Stationen. Sie nutzen das Gerät zum Beispiel dazu, um Wunden zu fotografieren. Zudem können sie den Patienten auf dem Bildschirm direkt am Bett Laborparameter und Röntgenaufnahmen zeigen.
Das Projekt ist aber nicht nur aus medizinischer Sicht, sondern auch finanziell für die Kliniken sehr interessant, berichtete Krämer beim „Best-Practice-Controlling“-Seminar. Denn das Programm hilft dabei, die Abrechnung zu beschleunigen. Es lassen sich ohne Zwischendokumentation alle Patientendaten ins Krankenhaus-Informationssystem eingeben. „Wir können dadurch den Rechnungsanlauf schneller anstoßen“, sagt Krämer. Bevor die Visite 2.0 eingeführt wurde, dauerte es noch 19 Tage, bis das Lukaskrankenhaus die Behandlung eines entlassenen Patienten abgerechnet hatte. Dadurch waren 5,2 Millionen Euro an Forderungen gebunden. Mit dem neuen Tool sind es nun nur noch neun Tage, sodass nur noch 2,5 Millionen Euro gebunden sind. Die Visite 2.0 setzt somit auch Liquidität frei, die für Investitionen genutzt werden kann.
Auch in anderen Bereichen konnten die Kliniken mit Digitalisierungsprojekten einen großen Nutzen erzielen. So hat das Lukaskrankenhaus zum Beispiel die Rettungswagen mit telemetrischen EKG-Geräten ausgestattet. Wenn ein Patient mit einem Verdacht auf Herzinfarkt auf dem Weg ins Klinikum ist, wird im Notarztwagen direkt das EKG geschrieben; die Daten werden in die Chest Pain Unit übertragen. Somit können sich die Ärzte gezielt auf jeden Patienten vorbereiten. Infolge der Umstellung ist die Mortalität um 23 Prozent zurückgegangen, berichtet Krämer.
Zudem hat das Lukaskrankenhaus kürzlich ein Projekt zum digitalen Entlassmanagement gestartet. Bislang komme es immer wieder zu Brüchen zwischen den einzelnen Teilprozessen zwischen Aufnahme und Entlassung, so Krämer. Deswegen soll es nun eine einzige Dokumentationsplattform geben. Mithilfe des digitalen Entlassmanagements wollen die Neusser auch ermitteln, bei welchen Fällen noch ein höheres Potenzial mit Blick auf den Pflegekomplexmaßnahmen-Score (PKMS) besteht. „So können wir unser Ergebnis weiter verbessern“, sagt Krämer.
Er betont aber auch, dass man bei all den Chancen der Digitalisierung nicht den Faktor Mensch aus dem Blickfeld verlieren darf. 2016 hatte ein Virus am Lukaskrankenhaus einen Schaden von einer Million Euro verursacht. Über einen E-Mail-Anhang war eine Schadsoftware ins Kliniksystem gelangt. Ein Bewusstsein für die möglichen Gefahren unter den Mitarbeitern zu schaffen, spiele deshalb eine wichtige Rolle, sagt Krämer. „Und das kostet nicht viel Geld.“