Medizinprodukte

Hersteller unter Druck

  • Einkauf
  • Technologie
  • 26.04.2019

f&w

Ausgabe 5/2019

Seite 472

Die Debatte um den Brexit Großbritanniens aus der EU wird zur Geduldsprobe. Ein ungeordneter Austritt des Königreichs könnte empfindliche Auswirkungen auf die Versorgungsketten von deutschen Krankenhäusern haben. Dabei belastet die ab 2020 geltende neue EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) Hersteller und Kliniken ohnehin schon.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warnte kürzlich in einem Brief an die EU-Kommission vor drohenden Versorgungsengpässen für Medizinprodukte. Bei einem ungeregelten Brexit sei ohne die Verständigung auf praktikable Verfahrensweisen davon auszugehen, dass Zehntausende Medizinprodukte ihre formelle Verkehrsfähigkeit in der EU verlieren würden und damit auf dem europäischen Markt nicht mehr zur Verfügung stünden, schrieb Spahn. Er wies auf den Wegfall von britischen Benannten Stellen hin, die für eine Vielzahl von Zertifikaten für Medizinprodukte zuständig seien und im schlimmsten Falle diese nicht mehr transferieren könnten. Spahn zeigte sich speziell im Hinblick auf die In-vitro-Diagnostika besorgt, bei denen unter anderem Blutspenden auf Krankheiten getestet werden. Die Versorgung der Patienten mit Blutprodukten könne „spätestens ab Mitte April“ gefährdet sein, befürchtete er. Der Gesundheitsminister forderte die Europäische Kommission auf, die Verfahren für die Übernahme von britischen Zertifizierungen durch Stellen in der EU zu vereinfachen und zu beschleunigen. Außerdem sollte es eine Übergangslösung für Medizinprodukte geben, die in Großbritannien zertifiziert wurden.

Wegfall der Benannten Stellen in Großbritannien

Die Bedenken sind nicht unbegründet. Die Zertifikate der vier britischen Benannten Stellen decken nach Angaben des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed) derzeit einen Anteil von 30 Prozent aller EU-Medizinprodukte-Zertifikate ab. Die Gesundheitsausgaben für Medizinprodukte (ohne Inves-titionsgüter und Zahnersatz, inklusive Händlermargen) betrugen laut Gesundheitsausgabenbericht des Statistischen Bundesamtes 2017 rund 35,5 Milliarden Euro. Der Ausgabenteil der gesetzlichen Krankenversicherung lag 2017 im selben Jahr demnach bei circa 63 Prozent. Auch für die Hersteller stellt der Brexit eine weder politisch vorhergesehene noch rechtlich geregelte Situation dar. Aus Sicht des BVMed ist die Versorgungssicherheit in Deutschland zunehmend gefährdet. „Wegen des aktuellen Engpasses – Abnahme der Anzahl aller Benannten Stellen und fehlende Neubenennungen – sind keine Ersatzstellen vorhanden. Die vergangenen zwölf Monate behördlicher Duldung waren daher zu kurz“, sagte Manfred Beeres, Presse- sprecher BVMed. Aktuell fehlten noch wichtige Empfehlungen an die betroffenen Länder für ein einheitliches Vor- gehen.

Doch nicht nur der schwebende Brexit könnte die Medizinproduktehersteller und folglich die Krankenhäuser unter Druck setzen, sondern auch die ab Mai 2020 geltende neue EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR). Diese Richtlinie soll die Patientensicherheit und Qualität von Medizinprodukten erhöhen und europäisch vereinheitlichen. Für die Hersteller bedeutet dies, viele Produkte neu zertifizieren lassen zu müssen. Bei einem ungeregelten Brexit müssen die Vorgaben auch noch mit deutlich weniger Benannten Stellen als zuvor umgesetzt werden. Im Herbst 2018 befragte der BVMed 110 MedTech-Unternehmen zur aktuellen europäischen Situation. 81 Prozent bezeichneten die zusätzlichen Anforderungen durch die neue MDR als größtes Hemmnis für die künftige Entwicklung der MedTech-Branche. Gründe hierfür seien unter anderem die Pflicht zu umfassenden klinischen Daten und längere Zulassungszeiten durch Ressourcendefizite bei den zuständigen Benannten Stellen. Knapp 90 Prozent der Hersteller gingen zuletzt davon aus, dass die Kosten für Produktion und Vertrieb signifikant steigen und sich damit auch die Preise der Produkte erhöhen werden. Zwei Drittel der befragten Unternehmen wiesen in der Umfrage bereits im vergangenen Jahr auf mögliche Versorgungsengpässe hin. Aufgrund der erhöhten MDR-Anforderungen könnten Produkte eingestellt werden. Hiervon wäre dann auch die Patientenversorgung in deutschen Krankenhäusern negativ betroffen.

Neben der direkten Patientenversorgung mit Medizinprodukten könnte es auch im Forschungsbereich der deutschen Universitätskliniken Einschränkungen geben. „Es wird zu Problemen in der Forschung unter anderem in Laboren kommen. Am UKD haben wir ein hochmodernes Laborsystem in Großbritannien gekauft. Wenn wir dafür keine Utensilien mehr bestellen können oder der Servicetechniker nicht mehr in Dresden arbeiten darf, haben wir ein großes Problem“, sagt Janko Haft, Leiter Einkauf und Logistik am Uniklinikum Dresden (UKD). Das Thema Lieferengpässe sei in Dresden nicht neu, so Haft. Deshalb habe man schon vor vielen Jahren den Einkauf gestärkt, sich strategischer aufgestellt und der Einkaufsgemeinschaft Unico angeschlossen. Rund 141 Millionen Euro gibt das Uniklinikum Dresden (1.300 stationäre Betten) jährlich beim Einkauf von Medizinprodukten aus. In diesem Jahr ist es bereits zu Lieferengpässen gekommen: „Der Einschweißautomat eines Lieferanten hat die Schweißnähte an einer sterilen Blisterverpackung einer OP-Gesichtsmaske nicht komplett verschlossen. Deshalb war die Sterilität nicht gewährleistet. Weitere Masken waren zu diesem Zeitpunkt nicht lieferbar“, erzählt Haft. In Dresden sei man auf einen anderen Hersteller ausgewichen, der ein Produkt anbietet, das den Zweck nicht zu 100 Prozent erfülle, aber dennoch als Ersatz funktioniere.

Selbst gemachte Probleme von Kliniken und Industrie

Nach Aussage von Haft sei dieses Problem selbst gemacht. Lieferengpässe für deutsche Krankenhäuser seien aus einem Konzentrationsprozess der Lieferanten von Medizinprodukten entstanden. Aufgrund des hohen Leistungs- und Preisdrucks der Hersteller konzentrierten sich diese auf wenige Firmen, die im Ausland produzierten. Nur dadurch könnten die geforderten Preise realisiert werden. „Im Einkauf hat ein Krankenhaus heute wenig Alternativen. Gerade bei OP-Handschuhen gibt es nur drei Fabriken in Asien, die zwar auf mehrere Vertriebsfirmen verteilt sind. Kommt es hier zu Produktionsdefiziten, ist jeder Lieferant und schließlich jedes Krankenhaus davon betroffen“, sagt Haft. Es seien die großen Häuser, die den Effizienzprozess von Medizinprodukten angeschoben hätten. Alles müsse „immer schneller und günstiger bei gleich hoher Qualität“ eingekauft werden. Die Industrie musste am gleichen Strang ziehen und produziere folglich in günstigeren Ländern. In seinen Augen müsste diesem Trend eigentlich entgegengewirkt werden. Bestände könnten in den Krankenhäusern durchaus erhöht werden, da die Industrie selbst nur noch wenige Lagerkapazitäten habe. „Alles wird nur noch auf den Transportwegen, also auf der Straße gelagert.“ Am UK Dresden sei deshalb eine Strategie entwickelt worden, die die Patientenversorgung jederzeit sichere. „Wir arbeiten mit Konsignationslagern und lagern Prothesen bei uns in OP-Nähe. Bis zur Entnahme gehört das Medizinprodukt dem Lieferanten und wir müssen auf keine Liefertermine warten“, sagt er.

Von selbst gemachten brexitunabhängigen Problemen, sowohl von der Nachfrage als auch Anbieterseite her, spricht auch Anton J. Schmidt, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Beschaffungsinstitutionen in der Gesundheitswirtschaft Deutschland (BVBG). „Krankenhäuser und Einkaufsgemeinschaften tun sich schwer, verbindliche Mengen in festen Zeitkorridoren zu definieren. Das erschwert die Planungssicherheit für die Anbieter. Die Industrie war gezwungen, ihre Lager aufs Nötigste zu reduzieren“, sagt er. Käme es in den Herstellungsländern zu Produktionsausfällen, beispielsweise von Wundverschlussprodukten, wie beim Hurrikan in Costa Rica 2018, seien Patienten, Krankenhäuser, Lieferanten und Hersteller gleichermaßen von den Folgen betroffen. Erschwert werde die Situation aus Sicht der Hersteller dadurch, dass in Deutschland geringere Preise als beispielsweise in den USA für Medizinprodukte erzielt werden könnten. Dies liege vor allem an der stetigen Sachkostenabsenkung im DRG-System. Folge: „Bei Produktionsverlusten ist der deutsche Markt für globale Hersteller schnell zweitrangig. Knappe Güter werden dann häufig konzentriert auf dem US-amerikanischen Markt angeboten, wo mitunter ein vielfacher Preis erzielt werden kann.“

Schmidt bezeichnet die Situation als multifaktorielles Geschehen, welches die betroffenen Akteure in der Gesundheitswirtschaft unter Druck setzt und dessen Tragweite zuletzt auch vom Gesundheitsminister ins Auge gefasst wurde. „Ab Mai 2020 tritt die neue MDR-Richtlinie in Kraft. Die Hersteller haben alle Hände voll zu tun, um ihre Hochrisikoprodukte wie Herzschrittmacher und Prothesen neu zertifizieren zu lassen. Deshalb braucht es eine Übergangsfrist, wie von Spahn gefordert, damit die Firmen Handlungsspielraum haben, auf all die Dinge zu reagieren.“ Nur dann werde die Patientensicherheit in Deutschland nicht gefährdet und die hohe Qualität der Medizin bleibe erhalten, sagt Schmidt. Der BVBG hat zu dem Thema ein Positionspapier erstellt, das aktuell mit dem Bundesgesundheitsministerium diskutiert wird.

Lieferengpässe könnten zur Routine werden

Lieferengpässe widerfahren Krankenhauseinkauf und Logistik regelmäßig. Adelheid Jakobs-Schäfer, Generalbevollmächtigte Einkauf und Logistik Sana Kliniken, glaubt, dass sie künftig zur Routine werden könnten. „Es braucht deshalb Anpassungen bei den Sourcingstrategien, wie sie die Einkaufsgemeinschaften verfolgen, indem man beispielsweise auf mehrere Lieferanten setzt, um Lieferausfälle zu kompensieren.“ Mit vergleichbaren Produktportfolios könnte dann die Patientensicherheit gewährleistet werden. Dabei müsste vom Lieferanten genau kommuniziert werden, wann ein Engpass beendet und ein routinierter Krankenhausbetrieb wieder möglich sei. „Wir brauchen offenes Fairplay – im Sinne von Patientensicherheit. Einseitige Schuldzuweisungen an Hersteller, Lieferanten oder Logistik sind nicht zielführend. Es bedarf eines strukturierten Dialogs mit zielorientierter Kommunikation.“ Die Akteure in der Gesundheitswirtschaft seien nur unter dieser Bedingung in der Lage, mit Herausforderungen wie MDR und Brexit umzugehen. Dafür sei auch eine enge Zusammenarbeit von Kliniken und Industrie notwendig, sagt sie.

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