Die Schweizer 2.000-Seelen-Gemeinde Mettauertal hat Ende August eine Schulter-Klopf-Maschine im Ort aufgestellt, mit der sich die Bewohner nach Belieben auf die Schulter klopfen lassen können. Das ist ein netter PR-Gag des Bürgermeisters. Im deutschen Gesundheitswesen ist solch ein Gerät nicht vonnöten, wie die Corona-Krise zeigt. Ob Ärztelobby, Klinikvertreter oder Gesundheitsminister – alle loben ihr eigenes Management in der Krise über den grünen Klee. Für Minister Jens Spahn mag es dabei vorrangig um die Frage gehen, welchen Posten er nach der Wahl einnimmt. Für Kliniken und niedergelassene Ärzte steht jedoch mindestens genauso viel auf dem Spiel: Es geht um die Neuverteilung der Ressourcen in einer Zeit des Mangels.
Nach der Finanzkrise 2009 hat Deutschland ökonomisch eine goldene Dekade erlebt, die jetzt zu Ende ist. Die Corona-Krise ist der Auftakt in ein Jahrzehnt der Umwälzungen, Kurskorrekturen sind unausweichlich. Die viel zitierten Babyboomer gehen in diesem Jahrzehnt in Rente. Das heißt, viele ehemalige Gutverdiener zahlen kaum noch Steuern und Sozialabgaben, gleichzeitig benötigen sie mehr medizinische Behandlung. Zudem verabschieden sich mit den Babyboomern viele Arbeitskräfte aus der Gesundheitsbranche – und verschärfen so den Fachkräftemangel.
Die Säulen der Gesundheitsfinanzierung wackeln derweil gewaltig. Die Kassen rechnen für 2021 mit einem Defizit von 16 Milliarden Euro, viele Kommunen rutschen durch sinkende Steuereinnahmen ebenfalls ins Minus. Derzeit springt der Bund ein. Er hat fast zehn Milliarden Euro für die Freihaltepauschalen bezahlt, schiebt mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) weitere drei Milliarden in die Kliniken und will mit fünf Milliarden Euro zudem die Finanzlöcher der Kassen im kommenden Jahr stopfen. Den Rest des Lochs sollen Kassen mit ihren Rücklagen und erhöhten Zusatzbeiträgen zuschütten.
Eine Finanzierungsreform, wie sie die Kliniken fordern, geht nur mit einer Strukturreform, das hat Gesundheitsminister Jens Spahn klargemacht. Die entscheidende Frage dabei ist, wie sich die Ambulantisierung der Medizin sinnvoll organisieren lässt denn anders ist gute Gesundheitsversorgung angesichts des Fachkräftemangels und rasant steigender Kosten in Zukunft schlicht nicht aufrechtzuerhalten. Doch auf die Frage, welche Rolle Kliniken bei ambulanten Behandlungen spielen sollen, hat der Gesundheitsminister bisher wenig Antworten gefunden. Ein Gesetz für neue Versorgungsmodelle („Lex Templin“) ist in der Versenkung verschwunden. Ein Update des Katalogs für ambulantes Operieren soll nächstes Jahr kommen, immerhin.
In der Ambulantisierung steckt so viel Potenzial, aber sie stellt das ganze System infrage: die Rolle der Kliniken ebenso wie die der Niedergelassenen. Und weil es ums Eingemachte geht, haben Spahn und seine Vorgänger das Thema immer auf die lange Bank geschoben. Bis zur Wahl im Herbst 2021 wird auch nichts mehr passieren. Doch spätestens danach muss der nächste Gesundheitsminister (mit den Bundesländern) dieses Thema endlich anpacken. Einerseits weil diese strikte Trennung der Sektoren jedes Jahr surrealer wirkt und andererseits weil dem Gesundheitssystem sonst der Personalkollaps droht.