Interview

„Eine Klinik ist keine Festung“

  • Strategie
  • Titel
  • 30.06.2022

f&w

Ausgabe 7/2022

Seite 610

Prof. Wolfang George

Kliniken, die über gute Strukturen in der Betreuung Sterbender verfügten, haben in der Pandemie eindeutig profitiert, sagt Prof. Wolfgang George. Um eine Sterbekultur zu entwickeln, braucht es auch die Mitarbeit des Klinikmanagements, so der Versorgungsforscher.

Prof. George, seit vielen Jahren befassen Sie sich damit, wie Kliniken mit sterbenden Patienten umgehen. Ihr letztes Buch mit einer umfassenden, kritischen Analyse dazu stammt von 2012. Sind unsere Krankenhäuser seither so vorbildlich im Umgang mit Sterbenden, dass es nichts mehr zu verbessern gibt?

Die Covid-19-Pandemie hat leider das Gegenteil gezeigt: Die allermeisten an Covid-19 Verstorbenen, also 80 bis 90 Prozent, haben ihre letzten Tage im Krankenhaus oder Pflegeheim verbracht – leider weitgehend isoliert von Angehörigen und sozialem Umfeld. Da wurden die teils bis heute bestehenden Defizite besonders deutlich. Das zeigte sich zum Beispiel im teilweise sehr rigiden Umgang mit Angehörigen. Diese von Security-Leuten abweisen zu lassen, während ein Teil des eigenen Personals ungeimpft Patientenkontakte hatte, geht einfach nicht. Da herrschte – sicher aus Unwissenheit im Umgang mit der neuen Situation und aus Überforderung – oft die Devise: Das Krankenhaus ist jetzt unsere Burg und die schützen wir. Kliniken, die bereits über gute Strukturen in der Betreuung Sterbender verfügten, haben jedoch in der Pandemie eindeutig profitiert. Da waren beispielsweise viel schneller Videoschalten mit Angehörigen möglich.

Hängt die Qualität der Versorgung Sterbender auch vom Krankenhausträger ab?

Studien haben gezeigt, dass das nicht der Fall ist. Sowohl hervorragende Angebote, aber auch Qualitätseinbrüche gibt es trägerunabhängig, teilweise auch innerhalb einer Einrichtung. Grundsätzlich hat sich seit der Einführung des Hospiz- und Palliativgesetzes im Jahr 2015 einiges getan. Seither haben Krankenhäuser die Möglichkeit, für eigenständige Palliativstationen krankenhausindividuelle Entgelte mit den Kostenträgern zu vereinbaren. Palliativversorgung gehört inzwischen als Modul zum Medizin-studium, Fort- und Weiterbildungen zum Thema für das Klinikpersonal sind keine Ausnahme mehr. Ich kenne einige Häuser, die sehr gute Versorgungsstrukturen für die Betreuung Sterbender aufgebaut haben, aber es gibt nach wie vor Luft nach oben.

Und woran liegt das?

Oft sehen Krankenhäuser sich selbst noch immer als große Gesundheitsmaßnahme, die alles Medizinische und Medizintechnische ermöglicht, um Patienten zu heilen. Das Soziale wird da eher als schmückendes Beiwerk verstanden. Wenn wir auf die Versorgungsqualität im Umgang mit Sterbenden schauen, geht es uns aber hauptsächlich um das zugrunde liegende Menschenbild, um eine ganzheitliche Sicht auf den Patienten, eben um das Soziale. Natürlich hat das Klinikpersonal meist wenig Zeit und ist stark belastet. Daher ist es wichtig, das Thema vorausschauend und strategisch anzugehen, Kompetenzträger in den Teams auszubilden. Klar im Vorteil sind zudem Kliniken, die ein gutes Netzwerk aufbauen, etwa systematisch mit Hausärzten kooperieren und mit ambulanten Palliativdiensten, der SAPV. Das muss man wollen und fördern.

Sie selbst vergeben seit knapp zehn Jahren ein von Ihnen entwickeltes Palliativsiegel für Krankenhäuser. Worauf kommt es dabei besonders an, also welche Kriterienmachen eine gute Versorgungsstruktur am Lebensende aus?

Zum Beispiel zeichnen wir nie Krankenhäuser aus, die nur über eine Palliativstation verfügen. Palliativstationen sind meist wie Oasen, kleiner, ruhiger. Da ist der Personalschlüssel weit besser. Da stimmt der Umgang mit dem Patienten und seinen Angehörigen. Viel mehr Menschen sterben jedoch auf den anderen Stationen, auf der Neurologie, auf der Intensivstation, der Geriatrie. Diese Stationen wollen wir kennenlernen. Und da sind interdisziplinäre Palliativteams, die zu den Patienten auf die Stationen gehen, die beste Lösung. Unser Siegel definiert insgesamt 20 Prüfkriterien. Diese sollen die wichtigsten Sachverhalte und deren prozessuale Voraussetzungen abbilden, die ein menschenwürdiges Sterben ermöglichen. Wir schauen unter anderem auf zeitliche und personelle Ressourcen, auf die Integration Angehöriger, auf die Schmerztherapie und Symptomkontrolle, auf Informations- und Gesprächsangebote, auf die Kooperationen der Klinik nach außen und eine eindeutige Mitarbeit des Einrichtungsmanagements.

Eine gute Versorgung Sterbender ist kein ausgewiesenes Qualitätskriterium für Krankenhäuser. Es schlägt sich auch nicht in einer besseren Vergütung nieder. Warum ist es für Kliniken dennoch erstrebenswert, sich da gut aufzustellen und beispielsweise so ein Siegel zu erwerben?

Die Auszeichnung ist neben dem internen auch dem externen Image der Einrichtung zuträglich, denn es ergeben sich dadurch viele Kooperationen mit den komplementären Versorgungspartnern. In zahlreichen Versorgungssituationen ist das Krankenhaus der bestmögliche Ort des Sterbens. Träger, die dies in guter Qualität ermöglichen und kommunizieren, werden als kompetent und verantwortungsbewusst wahrgenommen. Verbindliche Informations-, Kommunikations- und Handlungsabläufe sorgen zudem für eine verbesserte Einsatzplanung und Koordination. Das entlastet das Klinikpersonal und bekräftigt es im beruflichen Selbstverständnis. Für die ambulanten beziehungsweise sektoriellen Partner ist es nützlich zu wissen, wie die Betreuung Sterbender organisiert ist.

Sie waren maßgeblich an dem Innovationsfondsprojekt AvenuePal beteiligt, das die Verbesserung der Versorgung schwerstkranker Menschen zum Thema hatte. Zum Beispiel, indem Verlegungen ins Krankenhaus oder Pflegeheim am Lebensende vermieden werden. Im Zentrum stehen dabei auch die Kommunen als Koordinatoren. Welche Rolle kommt dabei dem Krankenhausmanagement zu?

Wir haben einen Leitfaden für Kommunen entwickelt, denn sie sind in aller Regel die örtlichen Sozialhilfeträger und haben im Sinne der Daseinsvorsorge auch die Letztverantwortung für Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Wichtig war es, alle Stakeholder zusammenzubringen. Dabei sind die Krankenhäuser ein ganz wichtiger Netzwerkpartner. Der Leitfaden zeigt vor allem auf, wie man nicht indizierte Klinikeinweisungen vermeidet. Gerade Pflegeheimbewohner werden häufig zum Sterben nochmals in Krankenhäuser eingewiesen. Wir haben als Ergebnis des Projekts auch Versorgungsleitlinien für Krankenhäuser entwickelt. Dabei galt es vor allem, Risikofaktoren, die in der letzten Lebensphase nicht indizierte Klinikeinweisungen nach sich ziehen, entgegenzutreten und Menschen am Lebensende vielmehr durch gute Strukturen vor Ort zu unterstützen, bestenfalls im häuslichen Umfeld.

Deutsches Palliativsiegel

Ausgangspunkt für die Entwicklung des Siegels waren Ergebnisse und Erfahrungen empirischer Studien von 2013 bis 2020 zu den Sterbe- bedingungen in Krankenhäusern, stationären Pflegeeinrichtungen und Hospizen. Mit der Vergabe des Siegels soll die Versorgungsqualität von Sterbenden und Schwerstkranken entlang gültiger Kriterien bewertet und diejenigen Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen ausgezeichnet werden, die diese in einem guten bis sehr guten Ausmaß erfüllen. Das Siegel definiert 20 Prüfkriterien. Für Kliniken fällt eine Gebühr von 3.000 Euro an.

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