Berliner Kommentar

Entschlackung muss sein

  • Politik
  • Politik
  • 26.04.2023

f&w

Ausgabe 5/2023

Seite 405

Christian Geinitz

Was stimmt denn nun? Die Krankenkassen und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sind sich einig, dass die Klinikreform auch dem vermeintlichen Wildwuchs in der Branche, vornehmer ausgedrückt der „Überversorgung“, ein Ende machen müsse. Hingegen halten die Hospitäler, angeführt von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), den Vorwurf für erfunden, dass sie aus Profitinteresse überflüssige Behandlungen anböten, für die sie noch dazu nicht ausreichend qualifiziert seien. Die Kassen argumentieren, seit der Pandemie nehme die Zahl der Behandlungen immer weiter ab. Das deute darauf hin, dass früher viele Therapien unnütz gewesen seien. Nach Daten des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) sanken die Fallzahlen 2022 in den somatischen Häusern um 15 Prozent und in der Psychiatrie um fast 11 Prozent gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019.

Auf Krankheitsarten bezogen, erfolgten die stärksten Einbrüche bei ambulant-sensitiven Diagnosen, die auch von niedergelassenen Ärzten behandelt werden könnten, etwa bei Rückenschmerzen, Bluthochdruck, COPD, Diabetes, Herzinsuffizienz. „Corona wirkt sich hier beschleunigend im Sinne der in Deutschland dringend gebotenen stärkeren Ambulantisierung aus“, urteilt das WIdO. „Bei einzelnen Diagnosen dürfte angesichts der großen und anhaltenden Einbrüche auch der Abbau von Überversorgung eine Rolle spielen.“ Als ein Beispiel gelten Mandel-OPs mit minus 35 Prozent: Analysen zeigten, „dass diese Eingriffe in der Vergangenheit häufig ohne leitliniengerechte Indikation durchgeführt wurden“.

Die Zahlen haben Bedeutung für Lauterbachs Reform, die eine stärkere Ambulantisierung vorsieht. Es bestehe die Chance, Kliniken „auf die Leistungen zu begrenzen, die wirklich eine stationäre Behandlung brauchen“, teilt der AOK-Bundesverband mit. Er lobt deshalb die Idee, spezielle Häuser zur teilambulanten Basisversorgung einzurichten. Diese könnten sich um ältere und chronisch kranke Patienten kümmern, die „keine teure vollstationäre Behandlung“ brauchten. Die DKG widerspricht. Es sei „hochspekulativ“, von sinkenden Klinikfällen auf eine überfällige Ambulantisierung zu schließen. Im Gegenteil stehe zu befürchten, dass ausbleibende Behandlungen „zu einer nennenswerten Unterversorgung“ geführt hätten. Tatsächlich gab es 2022 auch bedenkliche Entwicklungen, darunter weniger Darmkrebseingriffe – möglicherweise wegen ausgebliebener Vorsorge – und eine verminderte Behandlung von Herzinfarkten und Schlaganfällen.

Es existieren Fehlanreize für zu viele stationäre Aufnahmen. In deutschen Kliniken arbeiten, relativ zur Bevölkerung, deutlich mehr Ärzte und Pflegekräfte als in vergleichbaren Ländern; zu wenig sind es nur bezogen auf die Patientenzahl. Sind die Deutschen kränker als andere? Nein, aber sie werden häufiger stationär aufgenommen, um die vielen Betten auszulasten. Das verursacht hohe Kosten, ohne dass die Deutschen dadurch gesünder wären. Im Gegenteil bedeuten unnötige und falsche OPs zusätzliches Leid. Daher ist es richtig, überflüssige Aufnahmen herunterzufahren – ohne wichtige Behandlungen zu vernachlässigen. Damit Ambulantisierung gelingt, müssen die Kliniken samt Finanzierung umgebaut werden. Aber auch die Praxen gilt es zu entschlacken, wenn sie die Stationen entlasten sollen. Zudem ist mehr Selbstbeteiligung der Patienten nötig, um die Nachfrage zu dämpfen. Corona hat gezeigt: Nicht jeder Gang zum Arzt ist nötig. Das gilt auch außerhalb der Pandemie.

Autor

Ähnliche Artikel

Weitere Artikel dieser Ausgabe

f&w führen und wirtschaften im Krankenhaus

Die Fachzeitschrift für das Management im Krankenhaus

Erscheinungsweise: monatlich

Zeitschriftencover

Klinik-Newsletter

Abonnieren Sie unseren kostenlosen täglichen Klinik-Newsletter und erhalten Sie alle News bequem per E-Mail.

* Durch Angabe meiner E-Mail-Adresse und Anklicken des Buttons „Anmelden“ erkläre ich mich damit einverstanden, dass der Bibliomed-Verlag mir regelmäßig News aus der Gesundheitswirtschaft zusendet. Dieser Newsletter kann werbliche Informationen beinhalten. Die E-Mail-Adressen werden nicht an Dritte weitergegeben. Meine Einwilligung kann ich jederzeit per Mail an info@bibliomed.de gegenüber dem Bibliomed-Verlag widerrufen. 

Kontakt zum Kundenservice

Rufen Sie an: 0 56 61 / 73 44-0
Mo - Fr 08:00 bis 17:00 Uhr

Senden Sie uns eine E-Mail:
info@bibliomedmanager.de

Häufige Fragen und Antworten finden Sie im Hilfe-Bereich