Kassenärztechef Andreas Gassen ist ein Freund klarer Worte. Auf dem Neujahrsempfang der Ärzteschaft Anfang Januar nahm er sich sogar einen der Gäste vor, um dessen Ideen vor dem versammelten Who`s who der Gesundheitsbranche auseinanderzunehmen. Statt Deutschland mit Gesundheitskiosken zu überziehen, müsse die ambulante Versorgung gestärkt werden, sagte Gassen in Richtung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach. „Wir sind die Guten“, so der KBV-Chef, um anschließend das Vorhaben des Ministers ins Lächerliche zu ziehen: „Kioske sind geeignet, um dort Zeitungen zu verkaufen und Süßwaren“, belehrte er den SPD-Mann.
Lauterbach, der schon an dem Abend Gassen bescheinigte, „völlig im Unrecht“ zu sein, hat die Kritik an sich abprallen lassen. Nachdem er schon im Spätsommer 2022 erste Eckpunkte vorgelegt hatte, folgte Mitte Juni der Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune“. Der wichtigste Inhalt: der Aufbau von Gesundheitskiosken. Nach den Plänen sollen diese Einrichtungen insbesondere in sozialen Brennpunkten unter anderem medizinische Behandlungen vermitteln und bei der Klärung sozialer Angelegenheiten helfen – und das in verschiedenen Sprachen.
Vorbild und Namensgeber ist der seit 2017 im Hamburger Stadtteil Billstedt existierende Gesundheitskiosk, der nach Angaben der Geschäftsführung seit 2017 mehr als 17.000 Beratungsgespräche geführt hat. Über die SPD landete das Modell im Koalitionsvertrag der Ampelparteien. Zunächst war bei Lauterbach die Rede von 1.000 Kiosken bundesweit – eine Einrichtung je 80.000 Einwohner. Doch im Gesetzentwurf steht davon nichts mehr. Schließlich werden die Kosten pro Kiosk und Jahr auf rund 400.000 Euro geschätzt, das wären bei 1.000 Kiosken immerhin 400 Millionen Euro. Von den Kosten sollen die gesetzlichen Kassen 74,5 Prozent tragen, die privaten Krankenversicherungen 5,5 Prozent und die Kommunen 20 Prozent.
Nicht nur die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte meldeten Widerstand an, sondern auch viele Krankenkassen. Sie halten das Aufgabenspektrum eher für eine kommunale Aufgabe. Wohl auch um ein Zeichen zu setzen, zogen sich inzwischen die Ersatzkassen aus der Finanzierung des Gesundheitskiosks in Billstedt zurück. Ertrag und Nutzen stünden in keinem angemessenen Verhältnis, so die Begründung. Nur die AOK Rheinland/Hamburg macht weiter mit.
Nach den Gesetzesplänen wäre ein Rückzug künftig nicht mehr möglich. Wenn eine Kommune die Einrichtung eines Gesundheitskiosks wünscht, müssen die Kassen zahlen. Zweifel, ob das Modell tatsächlich bundesweit angenommen wird, sind gleichwohl angebracht. Denn gerade die Kommunen mit großen sozialen Problemen haben in der Regel wenig Geld und dürften sich schwertun, ihren 20-Prozent-Anteil aufzubringen. Und es gibt weitere Schwierigkeiten, bevor das Gesetz überhaupt beschlossen werden kann: Die FDP vermisst in dem Gesetzentwurf die von Lauterbach schon vor Monaten versprochene Entbudgetierung bei den Hausärzten. Die Grünen wiederum sind sauer, weil die von ihnen geforderten „Gesundheitsregionen“ in dem Entwurf nicht zu ihrer Zufriedenheit organisiert sind. „Das muss vernünftig geregelt werden, ansonsten gibt’s auch keine Gesundheitskioske“, heißt es unmissverständlich vonseiten der Grünen. Der nächste Koalitionsstreit ist also vorprogrammiert.