Schnellere Erholung für Patienten nach dem Eingriff, eine präzisere Entfernung von Tumoren und ein detaillierterer Blick auf das erkrankte Organ oder Gelenk: Diese Kliniken setzen bereits auf smarte Brillen und erforschen die spannenden Möglichkeiten der Holomedizin.
Grazil bewegen sich zwei Hände in der Luft. Vor, zurück. Auf und ab. Es sind die Finger eines Arztes. Sie greifen, drehen und wenden etwas scheinbar Nichtsichtbares. Der Mann im weißen Kittel trägt eine Mixed-Reality-Brille. Damit sieht er etwas, was Außenstehende nicht sehen können. Die Brille zeigt ihm eine von Tumoren befallene Leber während einer OP-Vorbereitung – als Hologramm. Lebensecht schwebt sie vor ihm. Detailgetreu. Plastisch. Beinahe greifbar. Aber eben nicht real, nur für ihn durch seine Brille sichtbar.
Mixed Reality
Das Pius-Hospital Oldenburg ist eines von drei zertifizierten Holomedizin-Zentren für Exzellenz und verwendet die Mixed-Reality-Brillen unter anderem in der Leberchirurgie. Dirk Weyhe, Facharzt für Allgemeine Chirurgie, Viszeralchirurgie und spezielle Viszeralchirurgie, verwandelt in dem Forschungsprojekt radiologische Bilder aus Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT) mithilfe von spezieller Software und der Brillentechnologie in dreidimensionale Bilder. Im Detail simuliert das Hologramm die kranke Leber. Sie schwebt vor dem Mediziner, macht große Blutgefäße, Metastasen oder Tumoren in 3D und gelber Farbe deutlich sichtbar, irrelevante Informationen wie Haut oder darunterliegende Schichten gleichzeitig unsichtbar. Die Brillen fungieren als eine Art Navigationssystem. „Wie eine Karte geben sie den sichersten Weg hin zum Tumor vor. Die Beziehung zwischen krankem Gewebe und den Venen wird klar erkennbar“, so Weyhe. „Das ist wie ein Röntgenbild während der OP. Die Brille klappt der Operateur auf und zu – je nach Bedarf“, erklärt er.
Das Leber-Abbild lässt sich jetzt beliebig anzeigen – mal groß, mal klein – und das von allen Seiten mit den Händen. „Der Operateur kann mit dem Organ als Hologramm interagieren – das geht nur in Augmented oder Virtual Reality“, sagt Weyhe. So können die Ärzte das Organ vor oder während einer Leberkrebs-OP – beispielsweise auch in Tumorkonferenzen – virtuell anfassen und aus allen Blickwinkeln betrachten. Die Technik bietet eine umfangreiche präoperative Planung, komplexere Eingriffe können die Mediziner vorab im Detail durchspielen, Schnitte oder Risiken abwägen, aber auch während der OP einzelne Schritte verfeinern. „Die Tumoren können präziser aus dem Lebergewebe entfernt werden. Dadurch erholen sich die Patienten nach einem Eingriff schneller“, betont der Chirurg.
Aber wie funktioniert das? Jedes Hologramm ist ein Unikat, das auf den Daten des Patienten beruht. Künstliche Intelligenz (KI) berechnet das Modell, stellt es präzise dar – optisch millimetergenau, erklärt Weyhe. Jedoch macht die KI (noch) nicht alles allein. Ungenauigkeiten der Darstellung müssen noch nachjustiert werden. Das liegt daran, dass die CT- oder MRT-Bilder der Radiologie, auf denen das Hologramm primär basiert, häufig zu ungenau sind. Die Vision ist, dass die KI irgendwann alles von selbst simuliert und letztlich die Holomedizin Standard in der Versorgung für Operateur und Patienten wird. Aber: Standard ist Mixed Reality in Oldenburg noch lange nicht. Bisher waren die Brillen, die rund 5.000 Euro pro Stück kosten, nur für ausgewählte Fälle bei wissenschaftlichen Studien im Einsatz. „Aspekte des Datenschutzes und der Medizinprodukteverordnung müssen berücksichtigt und parallel entwickelt werden“, so Weyhe.
Augmented Reality
Auf Holomedizin setzt auch Dragan Jeremic. Der Oberarzt der Orthopädie bei der Katholischen Hospitalvereinigung Weser-Egge (KHWE) bereitet sich in der Endoprothetik mithilfe der Augmented Reality auf Eingriffe an Knie- oder Schultergelenken vor oder trägt die Brille während eines Eingriffs. Das Hologramm simuliert ihm das betroffene Gelenk. Der Vorteil: Die visualisierten Messdaten geben dem Operateur exakt vor, an welcher Stelle des Knies der Schnitt erfolgen und wo die Prothese eingesetzt werden muss. Das Verfahren ist vielschichtig, individuell und auf den Patienten personalisiert, erklärt der Orthopäde. Während der OP bleibt die Brille bei dem Operateur, der normal durch die Brille schauen kann. „Es gibt sogar noch andere Systeme, beispielsweise für die Wirbelsäulen- chirurgie. Die sind noch komplexer“, sagt er. Einziger Unterschied zur Mixed Reality: Der Arzt kann das gezeigte Hologramm nicht greifen und bewegen. „Augmented Reality ermöglicht präzises Operieren“, sagt Jeremic. „Auf Basis der Informationen aus CT oder Röntgen schlägt das System Prothesen vor, um die passende Größe einzusetzen – ein Feintuning. Aber: Die Technik ist nur da, um zu helfen.“
Seit 2019 setzt das Krankenhaus in Brakel auf die smarte Technik. Pro Jahr setzen die Orthopäden der KHWE 1.200 Prothesen ein, davon aber nicht alle mit Augmented Reality. Inzwischen kommt der Oberarzt in Summe auf knapp 50 Operationen mit Brille. „Das sind immer nur auserwählte Fälle, die Implementierung ist nicht bei jeder OP umsetzbar“, so Jeremic.
Digitaler Zwilling
„Mixed Reality und Augmented Reality sind fast das Gleiche“, sagt Leif Oppermann, Head of Mixed and Augmented Reality Solutions beim Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT. Er forscht im Bereich Mixed und Augmented Reality seit Jahrzehnten und sagt: Heute ist die Auswahl an Technik am Markt verfügbar, auf die wir immer gewartet haben. Es gebe jedoch noch große Unterschiede in den Modellen. Als große Namen nennt er: Microsoft, Apple, Meta oder Google. Ab 500 Euro kosten die günstigen, bis zu 5.000 Euro die teureren Varianten. „Die Technik ermöglicht es inzwischen, einen digitalen Zwilling des Patienten zu erstellen. Die Größen sind skalierbar, die Ärzte tauchen in den Befund ein. Dadurch bekommen ärztliche Konsile eine ganz neue Qualität“, verdeutlicht Oppermann. Wichtige Voraussetzung seien aber eine hohe Rechenleistung und Netzwerkverbindung.