Spätestens mit der CeBIT 2013 war der Trend der „Sharing Economy" geboren: Damals machte die weltgrößte Messe der digitalen Wirtschaft das Teilen über das Internet zu ihrem Leitthema und die Idee gesellschaftsfähig. Im Kern geht es um das Teilen und Tauschen von Ressourcen über einen begrenzten Zeitraum. Im Zentrum stehen dabei in erster Linie die Angeboteder Collaborative Consumption, des Gemeinschaftskonsums, die Peer-to-Peer, also unter Gleichen, erfolgen. Dreh- und Angelpunkt sind die Plattformen und Apps im Internet, die das klassische „Schwarze Brett" oder die Kleinanzeige abgelöst haben. Sie ermöglichen Echtzeit-Kommunikation von Millionen Usern weltweit. Die neue Form der Koordination und der Vernetzung ist die neue und zugleich alte, weil gewinnorientierte Geschäftsidee der Sharing Economy. „Formen und Funktionen des Konsums sind in Bewegung gekommen, und alternative Besitz- und Konsumformen sind mehr als ein Nischen- und Oberflächenphänomen", sagtProf. Dr. Harald Heinrichs, Professor für Nachhaltigkeit und Politik am Institut für Nachhaltigkeitssteuerung der Leuphana Universität Lüneburg. Insbesondere die jüngere Generation habe die Vorteile einer Ökonomie des Teilens wiederentdeckt und belebe sie dank der Internettechnologie neu. Umwälzende Veränderungen wie auf dem Musik- oder Wohnungsmarkt erlebt das Gesundheitswesen bislang allerdingsnicht. Und es ist unwahrscheinlich, dass Sharing Economy, einer Welle gleich, etablierte Strukturen hinwegspülen wird. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Idee der Sharing Economy komplett an der großen Gesundheitsbranche vorüberziehen wird. Viel wahrscheinlicher ist, dass diese Entwicklung den Markt sukzessive erweitert, hergebrachten Unternehmen Konkurrenz im Kleinen macht und sogar den Patienten mehr Freiheiten und Verbesserungen bietet. Für die Gesundheitsbranche insgesamt birgt das möglicherweise die Chance, vorhandenes Silodenken (siehe Interview Seite 36) abzulösen und Platz zu machen für neue Modelle, die Innovationen für Versorgungsengpässe bieten. Erste Ansätze gibt es bereits. Fünf Thesen zum schwierigen Zusammenspiel der Ökonomie des Teilens und des Medizin-Betriebs – und warum dieses letztlich doch klappen könnte.1. Noch nehmen die Akteure im Gesundheitswesen Sharing Economy eher als Gefahr denn als Chance wahr.Gleich mehrere Umfragen aus dem vergangenen Jahr (von PricewaterhouseCoopers [PwC], der Gesellschaft für Konsumforschung [GfK-Verein] und dem Fraunhofer-Institut Stuttgart) bestätigen zwar, dass Sharing Economy in der breiten Masse angekommen ist – laut PwC planen 64 Prozent der Bundesbürger, in den nächsten zwei Jahren Angebote der Sharing Economy zu nutzen. Auch die GfK-Umfrage unter Marketing verantwortlichen ergab, dass im Gesundheitswesen mehr als jeder Zweite (51 Prozent) davon überzeugt ist, dass die Idee des Tauschens und Teilens wirtschaftlich relevanter wird. Mehr Effizienz, weniger Kosten, leicht zugängliche Versorgung für jeden, auch in den entlegens- ten Gegenden – das wären sicher positive Effekte des gemeinsamen Nutzens von Ressourcen. Doch lediglich ein Viertel der befragten Entscheider aus dem Gesundheitssektor sehen darin eine Chance für ihre Branche. Die Sharing Economy werde den Wettbewerbsdruck erhöhen, befanden dagegen 65 Prozent der Befragten in der Fraunhofer-Untersuchung. Dennoch steuert die Branche erstaunlicherweise kaum gegen: Es gebe im eigenen Unternehmen noch keine Anpassungen an den Trend, antworteten immerhin 74,3 Prozent der Befragten. Eine Ursache dafür ist sicher in der Beschaffenheit des deutschen Gesundheitswesens zu suchen. 2. Im Ausland können Sharing-Geschäftsmodelle leichter Fuß fassen als im hoch regulierten deutschen Gesundheitswesen.„Die Gesundheitswirtschaft ist von einer ganzen Reihe starker Akteure geprägt und an vielen Stellen eher strukturkonservativ – daher werden sich Neuerungen zögerlicher durchsetzen. Sharing Economy wird die Gesellschaft verändern, das Gesundheitswesen wird dabei nicht im Auge des Orkans stehen", sagt Heinrichs. Als Vorreiter gelten bislang Start-ups aus dem Ausland – „Pager" aus den USA, aber auch ähnliche Services wie „Heal" und „Doctor on Demand", ein Dienst, der mit Google kooperiert. In den Niederlanden bietet die Plattform „Zorgvoorelkaar" ehrenamtliche und professionelle Pflege für zu Hause an. Per App bestellte Hausbesuche wären mit den Berufsordnungen der deutschen Ärztekammern vereinbar, würden in Deutschland jedoch bislang an der Vergütung scheitern.Die Qualitätsfrage ist ungeklärt
Dennoch ist auch hier etwas in Bewegung gekommen: Immer mehr Krankenkassen übernehmen beispielsweise die Kosten für Online-Therapien (siehe „Die Online-Therapie", Seite 15). Daneben gibt es weitere ungeklärte Fragen: Wer darfüber Plattformen künftig welche Versorgung in welchem Umfang anbieten – und vor allem in welcher Qualität? Wenn Internetplattformen lediglich als Vermittler auftreten, wer trägt dann die Verantwortung für die erbrachte Leistung? Wer sichert die Qualität bei Bedarf kurzfristig verliehener medizinischer Geräte? Wie vertrauenswürdig sind therapeutische Angebote übers Netz?