Sharing Economy im Gesundheitswesen

Ein bisschen Teilen

  • GesundheitsWirtschaft
  • Titel: Einführung
  • 01.03.2016

Gesundheits Wirtschaft

Ausgabe 3/2016

Die Digitalisierung revolutioniert unser Leben und unsere Wirtschaft. Die IT-Cloud erlaubt uns, Speicherplatz zu nutzen, den wir nicht besitzen. Mithilfe innovativer Apps nutzen wir Autos, die uns nicht gehören. Teilen wird zum Geschäftsmodell, ist längst nicht mehr nur Traum postmaterialistischer Idealisten. Fünf Thesen für eine „Sharing Economy" des Gesundheitswesens. 

Egal, ob im Büro, zu Hause oder im Hotel: Nur wenige Befehle auf dem Smartphone genügen, schon steht eine „Nurse" im Chatroom bereit. Oder der Arzt kommt persönlich vorbei. Schnell, einfach und transparent, damit bewirbt das US-amerikanische Unternehmen „Pager" auf seiner Website für seinen Service. 50 US-Dollar werden für den ersten Arztbesuch fällig, danach 200 für jeden weiteren. Pager schickt auch Rezepte an die Apotheke und liefert die Medikamente anschließend nach Hause. Neue Geschäftsmodelle wie dieses, von Beobachtern auch als „Uber for healthcare" tituliert, zeigen, dass die Sharing Economy auch die Gesundheitsbranche erreicht hat. Systematisches Teilen und Tauschen gibt es natürlich auch im deutschen Gesundheitswesen. Niedergelassene Ärzte und Kliniken nutzen gemeinsam medizinische Geräte,Kliniken spezialisieren sich und kooperieren partnerschaftlich mit der Nachbarklinik. Derlei Formen des gemeinsamen Nutzens von Ressourcensind längst etabliert.

Die App löst das Schwarze Brett ab

Aber geht es hier schon um Sharing Economy, jenen Trend, der wie ein frischer Wind durch manche Wirtschaftsbranche fegte, für Unruhesorgte und bewährte Strukturen infrage stellte? Wie zum Beispiel die Online-Musiktauschbörse Napster, die das Geschäftsmodell der Musikbranche für immer veränderte. Oder auch das Wohnungs- und Zimmer vermittlungsportal AirBnB in der Hotelbranche und der Fahrservice Uber im Taxigewerbe. 

  Spätestens mit der CeBIT 2013 war der Trend der „Sharing Economy" geboren: Damals machte die weltgrößte Messe der digitalen Wirtschaft das Teilen über das Internet zu ihrem Leitthema und die Idee gesellschaftsfähig. Im Kern geht es um das Teilen und Tauschen von Ressourcen über einen begrenzten Zeitraum. Im Zentrum stehen dabei in erster Linie die Angeboteder Collaborative Consumption, des Gemeinschaftskonsums, die Peer-to-Peer, also unter Gleichen, erfolgen. Dreh- und Angelpunkt sind die Plattformen und Apps im Internet, die das klassische „Schwarze Brett" oder die Kleinanzeige abgelöst haben. Sie ermöglichen Echtzeit-Kommunikation von Millionen Usern weltweit. Die neue Form der Koordination und der Vernetzung ist die neue und zugleich alte, weil gewinnorientierte Geschäftsidee der Sharing Economy. „Formen und Funktionen des Konsums sind in Bewegung gekommen, und alternative Besitz- und Konsumformen sind mehr als ein Nischen- und Oberflächenphänomen", sagtProf. Dr. Harald Heinrichs, Professor für Nachhaltigkeit und Politik am Institut für Nachhaltigkeitssteuerung der Leuphana Universität Lüneburg. Insbesondere die jüngere Generation habe die Vorteile einer Ökonomie des Teilens wiederentdeckt und belebe sie dank der Internettechnologie neu. Umwälzende Veränderungen wie auf dem Musik- oder Wohnungsmarkt erlebt das Gesundheitswesen bislang allerdingsnicht. Und es ist unwahrscheinlich, dass Sharing Economy, einer Welle gleich, etablierte Strukturen hinwegspülen wird. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Idee der Sharing Economy komplett an der großen Gesundheitsbranche vorüberziehen wird. Viel wahrscheinlicher ist, dass diese Entwicklung den Markt sukzessive erweitert, hergebrachten Unternehmen Konkurrenz im Kleinen macht und sogar den Patienten mehr Freiheiten und Verbesserungen bietet. Für die Gesundheitsbranche insgesamt birgt das möglicherweise die Chance, vorhandenes Silodenken (siehe Interview Seite 36) abzulösen und Platz zu machen für neue Modelle, die Innovationen für Versorgungsengpässe bieten. Erste Ansätze gibt es bereits. Fünf Thesen zum schwierigen Zusammenspiel der Ökonomie des Teilens und des Medizin-Betriebs – und warum dieses letztlich doch klappen könnte.1. Noch nehmen die Akteure im Gesundheitswesen Sharing Economy eher als Gefahr denn als Chance wahr.Gleich mehrere Umfragen aus dem vergangenen Jahr (von PricewaterhouseCoopers [PwC], der Gesellschaft für Konsumforschung [GfK-Verein] und dem Fraunhofer-Institut Stuttgart) bestätigen zwar, dass Sharing Economy in der breiten Masse angekommen ist – laut PwC planen 64 Prozent der Bundesbürger, in den nächsten zwei Jahren Angebote der Sharing Economy zu nutzen. Auch die GfK-Umfrage unter Marketing verantwortlichen ergab, dass im Gesundheitswesen mehr als jeder Zweite (51 Prozent) davon überzeugt ist, dass die Idee des Tauschens und Teilens wirtschaftlich relevanter wird. Mehr Effizienz, weniger Kosten, leicht zugängliche Versorgung für jeden, auch in den entlegens- ten Gegenden – das wären sicher positive Effekte des gemeinsamen Nutzens von Ressourcen. Doch lediglich ein Viertel der befragten Entscheider aus dem Gesundheitssektor sehen darin eine Chance für ihre Branche. Die Sharing Economy werde den Wettbewerbsdruck erhöhen, befanden dagegen 65 Prozent der Befragten in der Fraunhofer-Untersuchung. Dennoch steuert die Branche erstaunlicherweise kaum gegen: Es gebe im eigenen Unternehmen noch keine Anpassungen an den Trend, antworteten immerhin 74,3 Prozent der Befragten. Eine Ursache dafür ist sicher in der Beschaffenheit des deutschen Gesundheitswesens zu suchen. 2. Im Ausland können Sharing-Geschäftsmodelle leichter Fuß fassen als im hoch regulierten deutschen Gesundheitswesen.„Die Gesundheitswirtschaft ist von einer ganzen Reihe starker Akteure geprägt und an vielen Stellen eher strukturkonservativ – daher werden sich Neuerungen zögerlicher durchsetzen. Sharing Economy wird die Gesellschaft verändern, das Gesundheitswesen wird dabei nicht im Auge des Orkans stehen", sagt Heinrichs. Als Vorreiter gelten bislang Start-ups aus dem Ausland – „Pager" aus den USA, aber auch ähnliche Services wie „Heal" und „Doctor on Demand", ein Dienst, der mit Google kooperiert. In den Niederlanden bietet die Plattform „Zorgvoorelkaar" ehrenamtliche und professionelle Pflege für zu Hause an. Per App bestellte Hausbesuche wären mit den Berufsordnungen der deutschen Ärztekammern vereinbar, würden in Deutschland jedoch bislang an der Vergütung scheitern.Die Qualitätsfrage ist ungeklärt Dennoch ist auch hier etwas in Bewegung gekommen: Immer mehr Krankenkassen übernehmen beispielsweise die Kosten für Online-Therapien (siehe „Die Online-Therapie", Seite 15). Daneben gibt es weitere ungeklärte Fragen: Wer darfüber Plattformen künftig welche Versorgung in welchem Umfang anbieten – und vor allem in welcher Qualität? Wenn Internetplattformen lediglich als Vermittler auftreten, wer trägt dann die Verantwortung für die erbrachte Leistung? Wer sichert die Qualität bei Bedarf kurzfristig verliehener medizinischer GeräteWie vertrauenswürdig sind therapeutische Angebote übers Netz?   
  Einer der Befragten in der Fraunhofer-Untersuchung sagte: Wettbewerbsvorteile der Sharing Economy könnten dort ihre Grenzen haben, „wo Dienstleistungen, Produktion und generell Wertschöpfung angewiesen sind auf die längerfristige Loyalität der Arbeitskräfte, auf deren Kompetenzen und Fähigkeiten, die auf Dauerhaftigkeit und Vertrauen basieren". Arbeitsschutz, Arbeitsrecht, sich verschiebende Berufsbilder, das sind weitere ungeklärte Felder. Das Festlegen von stabilen Rahmen bedingungen, von Qualitätsstandards der Produkte und Dienstleistungen sowie der Datenschutz seien die großen Herausforderungen der Sharing Economy, so Heinrichs. „Für den Gesundheitsbereich gilt das verstärkt."3. Der Zugang zu Daten wird über den Erfolg der Sharing Economy im Medizinbereich entscheiden.„In der vernetzten Wirtschaft ist materielles wie geistiges Eigentum für Unternehmen etwas, auf das man zugreift", schreibt der amerikanische Trend-Ökonom Jeremy Rifkin in seinem Buch „Access – Das Verschwinden des Eigentums". Das bedeute: „Eigentum an Sachkapital, im Industriezeitalter Kern nicht nur des Wirtschaftslebens, wird für den ökonomischen Prozess immer unbedeutender." Erschienen ist Rifkins Buch bereits im Jahr 2000. Professionelle Strukturen, die den Austausch im Internet ermöglichen sollten, entstanden damals gerade erst. AirBnB, Uber, Carsharing oder Cookasa, eine Online-Plattform, die fremde Menschen in verschiedenen Städten am Herd zum Kochen zusammenbringt, drangen im Laufe der Jahre neben anderen Geschäftsmodellen auf den Markt, längst nicht mehr als Nischenphänomen, sondern zugänglich für die breite Masse, auch in Deutschland. Ihnen allen gemeinsam ist die Idee des Verfügbarmachens von Produkten (Autos bei Carsharing) und Dienstleistungen (Fahrdienst bei Uber) für die Allgemeinheit. Auf direktem Weg, ohne Schnittstellen. Das eröffnet die Möglichkeit, Dinge nutzen zu können, ohne sie zwangsläufig besitzen zu müssen. Man braucht lediglich einen Zugang zu Angeboten, zu Inhalten. Das Tor ist dabei das Internet. Der Zugriff, von dem Rifkin in seinem Buch zur Jahrtausendwende spricht, ersetzt bei diesen Modellen das Eigentum. Die eigentliche Marktmacht hätte dann derjenige mit dem besten Zugang zum Kunden und seinen Daten. 
  Während die US-Amerikaner unter Hochdruck ihre Clouds mit Gesundheitsdaten füllen, auf die alle an der Versorgung Beteiligten zugreifen können, müht sich Deutschland noch immer mit der elektronischen Gesundheitskarte ab. Von einer echten digitalen Vernetzung ist man hierzulande weit entfernt, und auch das Teilen von Patientendaten unter den Leistungserbringern gestaltet sich schwierig (siehe „Die Akte X", Seite 21). 4. Deutschland braucht eine Debate über Grenzen und Chancen der Sharing Economy  auch im Gesundheitswesen.Bislang schwankt die Politik im Umgang mit der Ökonomie des Teilens zwischen Verbot und Nichtstun. Es fehlt ein strategischer Ansatz, der positive Entwicklungen unterstützt und Gefahren unterbindet. Jüngst hat Berlin ein Verbot für das Zurverfügungstellen von Wohnungen über AirBnB erlassen, weil es die Wohnungsnot in der Hauptstadt nur verschärfe. Auch der Taxidienst Uber ist mittlerweile auf richterliche Anordnung hin eingestellt worden. „Die große Frage bleibt, an welcher Stelle die Politik in der Gesundheitsbranche regulierend eingreift", sagt Heinrichs. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft seien g fordert, die Rahmenbedingungen für Sharing Economy so zu gestalten, dass die Ökonomie des Teilens und gemeinschaftlichen Konsums als Ergänzung zu Eigentumsökonomie unindividualisiertem Konsum ihre Entwicklungspotenziale entfalten kann.5. Sharing Economy hat das Potenzial, den Sozial- und Gemeinsinn im Gesundheitsbetrieb weiterzuentwickeln. Geprägt hat den Begriff der Sharing Economy 1984 der Harvard-Ökonom Martin Weitzman. Er besagt demnach im Kern, dass sich der Wohlstand für alle erhöht, je mehr unter allen Marktteilnehmern geteilt wird. Das hört sich sozial und gerecht an: Wer teilt, gibt ab, ist großzügig, achtet auf das Wohl des anderen. Gleichzeitig macht Eigentum Mühe, kostet, wird als Ballast empfunden. Im Grunde genommen hat die Sharing Economy jedoch nicht die Menge an Besitz generell geschmälert. Im Gegenteil, sie erweitert das Spektrum der Teilhabe vieler am individuellen Konsum und ist allein schon deshalb ein spannendes Geschäftsfeld.Profitstreben und Nachhaltigkeit „Sicher geht es bei diesen Modellen nicht nur um Sozial- und Gemeinsinn. Wir hätten das Thema gar nicht, wenn es nicht auch mehr Profit bringen würde", sagt Heinrichs. Das sei ein Vorteil, da alternative Konsumformen erst durch die Kommerzialisierung in der Mitte der Gesellschaft ankommen würden. Für ihn als Nachhaltigkeitswissenschaftler sind noch weitere Aspekte von Bedeutung: „Wir haben auch nichtkommerzielle Gemeinschafts-Wohnprojekte oder die solidarische Landwirtschaft." Unter Skill-Sharen, dem freiwilligen Spenden von Zeit und sozialer Kompetenz, versteht Heinrichs beispielsweise die ehren amtliche Hilfe der Grünen Damen in Krankenhäusern oder den Einsatz von Selbsthilfegruppen und das Versorgen älterer Menschen in Gemeinschafts-Wohnprojekten. All dies seien positive Effekte der Sharing Economy, die das Potenzial zu nachhaltigen Veränderungen in sich bergen – im besten Sinne.  

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f&w führen und wirtschaften im Krankenhaus

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