Ehrenamt

Grüne Damen: Fürsorge zum Nulltarif

  • GesundheitsWirtschaft
  • 01.06.2012

Gesundheits Wirtschaft

Ausgabe 6/2012

Freiwillige Helfer im Krankenhaus entlasten Personal und Angehörige – gratis. Doch nur wenige Kliniken bieten Strukturen, in denen das Ehrenamt wachsen kann.

Wer zum ersten Mal das Münchener Klinikum Rechts der Isar betritt, der könnte sich auf all den Fluren und Etagen leicht verirren. Wären da nicht jene freundlichen Damen in dunkelblauen Kostümen und Halstüchern, fast wie Stewardessen, die im Empfangsbereich jeden Besucher begrüßen und ihn auf Wunsch zum Ziel begleiten. „Wir laufen kilometerweit durch die Gänge, tragen Taschen, schieben Rollstühle“, sagt Imma Basel. Die 49-Jährige leitet die Ehrenamtliche Krankenhaushilfe Rechts der Isar, mit 65 Helfern die größte Krankenhaus-Freiwilligentruppe Deutschlands.

Der Lotsendienst am Eingang ist nur eine von vielen Aufgaben: „Wir haben eine Kleiderkammer eingerichtet für alle, die in der Not nicht genug Wechselsachen dabeihaben. Einmal im Monat organisieren wir ein Konzert in der Krankenhauskirche. Wir bringen Zeitschriften oder Bücher, begleiten Patienten, die lange auf Untersuchungen warten müssen“, so Basel. Außerdem sitzen die Frauen und Männer am Bett der Kranken, wenn diese jemanden zum Reden brauchen, wenn einfach jemand da sein und die Hand halten soll.

Zeit, Geborgenheit, Freundlichkeit, kleine Besorgungen – das bieten ehrenamtliche Helfer im Krankenhaus. Gratis. Sie füttern und sie pflegen nicht, verabreichen keine Medizin, verordnen keine Therapien. Aber sie schenken genau die menschliche Zuwendung, für die Pflegern und Ärzten oft die Zeit fehlt. Ehrenamtliche kommen auf eigene Initiative über Organisationen, Vereine oder die Kirche zum Krankenhaus. Um zu bleiben, brauchen sie nicht viel – außer ein wenig Anerkennung vom fest angestellten Personal und einen einfachen organisatorischen Rahmen für ihre Tätigkeit.

Keine Übernahmepflegerischer Aufgaben

Besseres kann einer Klinik unter dauerndem Effizienz-Druck heute kaum passieren. Doch das scheint man nicht überall so zu sehen: Als ihre Vorgängerin 1991 gemeinsam mit einem Chefarzt den ehrenamtlichen Dienst gründete, gab es einige Skeptiker, erinnert sich Imma Basel. „Festangestellte sagten damals, das hier sei ein Krankenhaus, wo man Medizin anbietet, nicht irgendwelches Drumherum.“ In München hat sich das mit den Jahren geändert. Parallel dazu wuchs auch das Angebot der Ehrenamtlichen. „Längst werden wir hier sehr geschätzt, fühlen uns als ein kleiner Eckpfeiler der Patientenversorgung“, sagt Basel. Die Klinik stellt die Kleidung, übernimmt Fahrtkosten und hat einen Tresen für den Lotsendienst aufgebaut. Auch eine Weihnachtsfeier ist immer drin. Dort hält der Klinikdirektor eine kurze Rede voller Dankesworte für die Freiwilligen. Das ist vorbildlich. Esther Pausch von der Pflegedienstleitung am Krankenhaus Rechts der Isar ist froh über die Ehrenamtlichen. Dennoch wäre es schön, wenn die Bedingungen für das Pflegepersonal so wären, dass auch Festangestellte Zeit für zusätzliche Gespräche mit den Patienten hätten. „Ehrenamt soll ein Zusatz sein, kein Ersatz für festes Fachpersonal“, sagt sie.

Es gibt auch Unverständnis und Neid

Über die Grenzen zwischen fest und freiwillig und die unterschiedlichen Rollen-Definitionen wird auch an der Göttinger Uniklinik immer wieder mit dem Personal diskutiert. Seit vier Jahren gibt es dort einen ehrenamtlichen Dienst für die Palliativstation. „Anfangs sind wir nur zögerlich Teil des Stations-Teams geworden“, sagt Kathrin Heiß, die den Dienst aufgebaut hat und koordiniert. „Eigentlich ist das feste Personal dankbar, dass Ehrenamtliche da sind. Aber es gibt auch Unverständnis und Neid, weil die Freiwilligen nach ein paar Stunden wieder gehen dürfen, kein festes Stellenprofil und nicht so viel Druck haben, dafür aber Freiräume.“ Nicht selten müssten die freiwilligen Helfer als Blitzableiter herhalten, wenn das feste Personal viel Stress hat. Dabei kann Ehrenamt Pflegekräfte und Angehörige unterstützen. Zum Beispiel als Telefondienst während des Schichtwechsels und der Übergabe. Noch einmal hinaus ins Schneegestöber fahren, einen Blumenstrauß auf den Tisch stellen, ein Buch vorlesen oder ein Lieblingsessen besorgen – solche Wünsche erfüllen ehrenamtliche Helfer in Göttingen. Heiß: „Ehrenamt ist wichtig für ein Krankenhaus, um Patienten das zu geben, was menschlich nötig ist.“ Die Klinikleitung sieht das so – und hat die halbe feste Stelle von Kathrin Heiß als Ehrenamtskoordinatorin für 40 Helfer eingerichtet.

Standard ist das in Deutschland nicht. Viele Krankenhäuser haben einen Seelsorger, mehr nicht. „Ehrenamtliche bieten bei uns Zusatz-Leistungen an, die nicht in den Plan eines Krankenhauses gehören“, so Dr. Sebastian Freytag, Vorstand Wirtschaftsführung und Administration an der Göttinger Uniklinik. „Das wirkt sich aufs Wohlbefinden der Patienten aus, kann zu einer besseren Genesung beitragen und den Ruf der Klinik verbessern“, sagt er. In Zahlen lässt sich nicht ausdrücken, was ein Krankenhaus dadurch spart. „Hätte Ehrenamt einen unmittelbaren Nutzen für uns, wäre das Missbrauch des Amtes“, so Freytag. „Aber mittelbar sparen wir dadurch natürlich Geld. Wenn ehrenamtliche Helfer Patienten betreuen und beschäftigen, die sonst sehr unruhig wären, wird das Pflegepersonal entlastet und hat Kapazitäten für anderes.“

Dr. Dirk Fellermann, Regionalgeschäftsführer der Asklepios Kliniken Bad Wildungen, hat die Erfahrung gemacht, dass ehrenamtliche Helfer oft näher am Patienten sind als festes Personal. „Deshalb sind sie bei uns aktiver Teil des Beschwerdemanagements, können und sollen jederzeit Anregungen weitergeben“, sagt er. Und doch ist Ehrenamt am Krankenhaus „mehr vom Lassen als vom Tun bestimmt“, sagt Kathrin Heiß. Das weiß auch Monika Knackstedt, seit 26 Jahren die Leiterin der Grünen Damen am selben Krankenhaus in Göttingen. „Man braucht sehr viel Einfühlungsvermögen und muss selbst in Balance sein“, sagt die Göttinger Leiterin des bundesweiten Ehrenamtdienstes mit über 11 000 Helferinnen und Helfern für kranke und alt gewordene Menschen. Die meisten Göttinger Grünen Damen seien im Schnitt 50 Jahre alt, sagt sie. Wenn Knackstedt über eine Zeitungsannonce 14 Bewerbungen bekommt, bleiben am Ende etwa fünf künftige Grüne Damen übrig. Einmal im Jahr gibt es dann eine Fortbildung und regelmäßige Treffen zur Supervision. Mehr Hürden nehmen Ehrenamtliche für die Palliativversorgung in Kauf: Der Vorbereitungskurs für die Begleitung Schwerkranker und Sterbender dauert ein Dreivierteljahr und kostet 100 Euro. Trotzdem kamen zum ersten Infoabend 100 Interessierte, 60 von ihnen blieben. Mit jedem Kandidaten führt Kathrin Heiß ein ausführliches Gespräch. Die jüngste Ehrenamtliche in ihrem Team ist 23, die älteste 70; viele sind berufstätig als Ingenieure, Verkäufer, Psychologen, Friseure, auch ein Mathematiker ist dabei.

Verantwortung und Leidenschaft

Imma Basel in München hat mit ihrem Ehrenamtsdienst auch keine Nachwuchsprobleme – obwohl sie mit Bewerbern mindestens eine Stunde durch die Klinik läuft. „Da sieht man all die unschönen Dinge, die sehr nahegehen, die einen aber hier erwarten“, sagt sie. Abschrecken lassen sich davon nur wenige. Wer sich einmal für ein Ehrenamt am Krankenhaus entschieden hat, sagt, dass er mehr gewinnt, als er gibt. „Diese Arbeit verändert einen, verschiebt Prioritäten, gibt Sinn und relativiert die Angst vorm Sterben“, sagt Kathrin Heiß. Ehrenamtliche Helfer übernehmen Verantwortung und bringen Leidenschaft für ihre Aufgabe mit, sonst wären sie nicht da. Für Krankenhäuser ist das ein großes Potenzial, das es nur zu nutzen gilt.

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