Ein Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Michael Ungethüm über Marktwirtschaft und Wettbewerb und Schumpeters "Schöpferische Zerstörung"

"Schöpferische Zerstörung"

  • Politik
  • Unternehmen & Markt
  • 01.03.2007

Gesundheits Wirtschaft

Ausgabe 3/2007

Die F.A.Z. wandte sich dem Thema unter dem Titel „Ethik des Wettbewerbs“ in einem ganzseitigen Beitrag zu. Das nahm „Die GesundheitsWirtschaft“ zum Anlass, mit einem der Autoren, Professor Dr. Dr. Dr. h. c. Michael Ungethüm, ein Gespräch zu führen. Ungethüm bekannte sich zur Marktwirtschaft, zu Wettbewerb und zu Schumpeters „Schöpferischer Zerstörung“.

Diese Zeitschrift heißt Die GesundheitsWirtschaft. Vereint dieser Titel in sich Unvereinbares? Und wenn ja, warum?

Prof. Ungethüm: Der Begriff „Gesundheitswirtschaft“ ist weder widersprüchlich, noch vereint er Unvereinbares. Dass die Gesundheit ein hohes Gut ist, um die sich eine intensive Bemühung lohnt, ist hinlänglich bekannt und muss an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Der Begriff der Wirtschaft, wenn wir ihn als Abkürzung des Begriffes Marktwirtschaft verstehen, bezeichnet einen Wettbewerb mit moralisch motivierten Mehrleistungen, für die der Kunde Preisbereitschaft zeigt. Dass man den lange Jahre als „Gesundheitswesen“ bezeichneten Gesundheitssektor nun mit dem Begriff der Gesundheitswirtschaft belegt, stellt aus unserer Sicht eine historisch adäquate Aufwertung dieses Beziehungsfeldes dar.

Ist es ethisch, am Leid der anderen Geld zu verdienen? Denn Hilfe ist doch schließlich ein Gebot der Nächstenliebe?

Prof. Ungethüm: Hier sollte die Stoßrichtung der Frage doch erheblich modifiziert werden: Die Grundlage des Gesundheitssystems ist keinesfalls, dass am Leid der anderen Geld verdient wird. Gegenstand ist vielmehr, dass eine Dienstleistung bereitgestellt wird, um das Leid der anderen zu reduzieren oder im Idealfall zu beseitigen.

Der Arzt schuldet dem Patienten nicht den Erfolg seiner Bemühungen, aber eine Behandlung „lege artis“. Dass sich der Arzt immer wieder von Neuem auf diese geradezu intime Beziehung einlässt und stets versucht, die bestmögliche Dienstleistung dem Patienten bereitzustellen, ist an sich bereits schon ein Zeichen der Nächstenliebe.

Dass der Arzt für diese Dienstleistung ein adäquates Honorar erhält, ist nicht nur ethisch vertretbar, sondern sogar ein elementarer Bestandteil einer funktionierenden Marktwirtschaft.

Ist der Arzt nicht in der Lage, eine adäquate, vom Patienten akzeptierte Dienstleistung und den Aufbau einer Vertrauensbasis bereitzustellen, so wird diese Dienstleistung von den Patienten auch zukünftig nicht mehr abgerufen werden. Dies wird heutzutage mit dem Ausspruch „die Patienten stimmen mit den Füßen ab“ bezeichnet.

Somit sorgt die Kompetition um die Gunst der Patienten in der Nachfrage um diese Dienstleistung dafür, dass insuffiziente Anbieter dieser Gesundheitsdienstleistung sich am Markt nicht werden bewähren und halten können. Über viele Jahrzehnte hinweg wurde in Deutschland sowohl von niedergelassenen wie auch Krankenhausärzten jegliche Qualität der beschriebenen Dienstleistung nahezu klaglos akzeptiert.

Wenn der Eintritt der Marktwirtschaft im Gesundheitssektor bewirkt, dass nur noch potente und kompetente Anbieter der Gesundheitsdienstleistung selektioniert werden und somit erfolgreich sind, so ist dies ein ethisch höchst positiver Effekt der Gesundheitswirtschaft.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft befürchtet, der Wettbewerb zerstörte bewährte Versorgungsstrukturen. Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter setzt dagegen auf die Zerstörung durch den Wettbewerb. Wer hat in diesem Falle Recht?

Prof. Ungethüm: An diesem Punkt kann man nahtlos an das zuvor Gesagte anknüpfen und auch hier ausführen, dass Krankenhäuser in der heutigen Situation einerseits einen lokalen oder regionalen Versorgungsauftrag wahrnehmen und andererseits eine Profilschärfung der eigenen Marktposition durch Spezialisierung durchführen müssen, um erfolgreich zu sein. Dass der angestammte Versorgungsauftrag der Krankenhäuser heutzutage nicht mehr allein dominierend ist, hat mit der Tatsache der erhöhten Patientenmobilität zu tun.

Der zunehmend mündige Patient informiert sich wesentlich detaillierter und intensiver, meist über elektronische Medien, über Erkrankung und entsprechendes Behandlungsangebot. Aufgrund einer Attraktivität des spezifischen Behandlungsangebotes von einzelnen Krankenhäusern führt dies zu einer regionalen und schließlich überregionalen Patientenmigration zu vertrauenerweckenden Anbietern oder welchen mit „gutem Ruf“. Doch es sollte nicht vergessen werden, dass diese Migration keinesfalls 100 Prozent aller Patienten erfasst, sondern lediglich einen bestimmten, noch relativ niedrigen Prozentsatz. Die Mehrheit der Patienten nimmt auch heute noch die angebotenen regionalen oder lokalen Versorgungsstrukturen wahr und folgt hierbei dem eigenen Eindruck von der Qualität der angebotenen Dienstleistung wie auch der Empfehlung des Hausarztes oder der nahen Familienangehörigen.

Sollte also ein Krankenhaus Vertrauen verlieren, werden die Dienstleistungen dieses Anbieters nicht mehr in gleichem Umfang nachgefragt wie zuvor. Durch Marktwirtschaft und Kompetition wird nur das zerstört, was offensichtlich in der Gunst der Nachfrager keinen nachhaltigen Bestand oder Erfolg hat. Genau dieser Argumentation folgt der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter, der hier den Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ geprägt hat. Diese schöpferische Zerstörung lässt Überkommenes, Antiquiertes und auch Insuffizientes vom Markt verschwinden, um an diese Stell Besseres treten zu lassen.

Auf den Krankenhaussektor übertragen, muss dies nicht unbedingt heißen, dass ein neues Krankenhaus die Position eines am Markt nicht erfolgreichen Hauses übernimmt. Gegebenenfalls können diese Dienstleistungen auch von anderen Häusern übernommen werden, so dass es zu einer Bereinigung im Sinne der Reduktion der Anbieter kommt.

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass eine Bereinigung des Krankenhaussektors durch die Schließung von Standorten politisch gewollt ist und bisher noch nicht zu einem gravierenden Versorgungsnachteil der Bevölkerung geführt hat. Somit gibt es vermutlich auch gegenwärtig noch eine Überversorgung durch stationäre Krankenhausbetten, und die Marktwirtschaft hat keinesfalls bisher unverzichtbare Anbieter vom Markt eliminieren können. Somit scheint die Sorge der Deutschen Krankenhausgesellschaft nicht begründet.

Sind politisch administrierte Preise, wie wir sie im Gesundheitssystem haben, sozial gerechte Preise?

Prof. Ungethüm: Wenn wir den Gesetzen der Marktwirtschaft konsequent weiter folgen, so sollten wir annehmen, dass politisch administrierte Preise im Gesundheitssystem, wenn tatsächlich Marktwirtschaft vorherrscht, nicht geeignet sind, um ein funktionierendes System herzustellen.

In der deutschen Situation gibt es jedoch einige gravierende Gründe, warum das System aktuell nicht ohne politisch administrierte Preise funktionieren kann: In der gegenwärtigen gesetzlichen Versicherungsstruktur spürt der einzelne Inanspruchnehmer von Leistungen, der Patient, nicht, welche Kosten er für seine Gesundung oder allein durch die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen verursacht. Er spürt lediglich, dass er über die Krankenversicherung regelhaft einen gewissen Betrag für Gesundheitsleistungen monatlich aufwendet, ob er diese nun in Anspruch nimmt oder auch nicht. Diese Situation führt zu dem volkswirtschaftlich oft beschriebenen „Moral Hazard“, da eventuell der Einzelne häufiger Gesundheitsleistungen abfragt und in einem höheren Umfang konsumiert, als das gegebenenfalls erforderlich wäre.

Wenn es jedoch analog der Marktwirtschaft im Gesundheitssystem so wäre, dass jeder für jede in Anspruch genommene Gesundheitsleistung selbst aufkommen müsste, so hätten wir in weiten Teilen der Bevölkerung eine gravierende Unterversorgung, da der Einzelne diese Gesundheitsleistung, vor allem bei schweren oder chronischen Erkrankungen, nicht mehr selbst bezahlen kann. Darüber hinaus könnten die erfolgreichen Anbieter das Preisniveau so anheben, dass der Zugang zu ihren Dienstleistungen heute nur noch wenigen potenziellen Patienten möglich wäre.

Aus diesem Grunde ist das System aktuell sozial gerecht. Diese soziale Gerechtigkeit erstreckt sich jedoch nur auf den potenziellen Inanspruchnehmer von Gesundheitsleistungen. Die Gesundheitsdienstleister werden das System keinesfalls als sozial gerecht empfinden, da ihnen ein politisches Diktat die Preispolitik vorgibt und sie nicht die Gelegenheit haben, durch eigene Preispolitik sich am Markt gegenüber anderen Anbietern im Sinne der Preisführerschaft durchzusetzen oder gar im Sinne der Qualitätsführerschaft ein höheres Preisniveau anzuschlagen.

Wenn wir diese Diskussion weiterführen, kommen wir automatisch auf die Diskussion der Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems. Diese Diskussion wird jedoch keinesfalls im vorgegebenen Umfang erschöpfend behandelbar sein. Es sei jedoch nur Folgendes angemerkt: Es stellt eine bemerkenswerte Eigenart des Gesundheitssektors in nahezu allen Ländern, insbesondere in Deutschland, dar, dass kontinuierlich über die Finanzierung oder über den Preis des Systems diskutiert wird, ohne jemals die ethisch wesentlich problematischere Diskussion über den Umfang der Inhalte zu führen.

Wenn Sie diesen Gedanken auf den Kauf eines Autos transportieren, so wird Ihnen automatisch klar, dass bei einer Vorgabe eines Preises Sie auch nur einen bestimmten Rahmen an Ausstattung oder Fahrzeugqualität abrufen können. Es wird jedoch aktuell das Gesundheitssystem in so genannter Vollausstattung gewünscht, aber es besteht andererseits nur die Bereitschaft, den Preis für ein durchaus reduziertes Ausstattungspaket zu bezahlen.

Das Gespräch führte Uta Meurer

Autor

Ähnliche Artikel

f&w führen und wirtschaften im Krankenhaus

Die Fachzeitschrift für das Management im Krankenhaus

Erscheinungsweise: monatlich

Zeitschriftencover

Kontakt zum Kundenservice

Rufen Sie an: 0 56 61 / 73 44-0
Mo - Fr 08:00 bis 17:00 Uhr

Senden Sie uns eine E-Mail:
info@bibliomedmanager.de

Häufige Fragen und Antworten finden Sie im Hilfe-Bereich