Fast alle gesetzlichen Krankenkassen bieten ihren Versicherten medizinische Hotlines. Der telefonische Ratschlag vom Doktor oder der Krankenschwester soll Kunden binden und neue gewinnen. Mitunter hilft die Hotline auch, den Kassen Geld zu sparen.
Er ist oft überfordert, der mündige Patient. Die Fortschritte in der Medizin führen zu mehr Spezialisierungen; immer neue Diagnoseverfahren helfen, Krankheiten besser zu entdecken. Die Fülle aller Medikamente, die eine deutsche Apotheke vertreiben muss, kennt noch nicht einmal der versierte Apotheker. „Wir wollen unseren Kunden helfen, Licht in diesen Informationsdschungel zu bringen“, sagt Inga Lund, Specherin der Techniker Krankenkasse (TK). Im TK-Ärztezentrum beantworten mehr als 80 Fachärzte rund um die Uhr Fragen zu Diagnose- und Behandlungsverfahren, Medikamenten oder Reisevorbereitung.
Fast alle gesetzlichen Kassen bieten ihren Versicherten inzwischen medizinische Informationen am Telefon. Die Gesundheitsreform vor sieben Jahren verpflichtete die Krankenkassen unter anderem dazu, das Informations- und Beratungsangebot für Versicherte zu verbessern. In der Folge etablierten immer mehr Kassen Service-Hotlines mit Informationen zu Gesundheits- und Vertragsfragen. Angesichts eines Leistungskatalogs, der nahezu identisch ist, müssen die gesetzlichen Kassen ihre Alleinstellungsmerkmale wie gute Beratung herausbilden und herausstellen.
„Hochqualifizierte Ärzte beraten ausführlich und persönlich über medizinische Fragen“, heißt es etwa bei der Barmer Ersatzkasse, „und klären über Diagnosen und Behandlungsmöglichkeiten auf.“ „Unsere Hotline soll aber auf keinen Fall den Arztbesuch ersetzen – höchstens vorbereiten oder ergänzen“, sagt TK-Sprecherin Lund. Den Versicherten gefällt derlei Service. In einer repäsentativen Umfrage gaben mehr als 90 Prozent an, mit dem TK-Ärztezentrum zufrieden zu sein, berichtet Lund. 88,5 Prozent wollen die Hotline weiterempfehlen.
Zahlreiche Hotlines werden nicht von den Krankenkassen selbst, sondern von externen Dienstleistern betrieben. Ein großer Informationsmakler der Gesundheitswirtschaft ist zum Beispiel Gesundheitsscout 24. Er beschäftigt 31 Ärzte verschiedener Fachrichtungen, die mindestens zehn Jahre klinische Erfahrung haben. 110 weitere fest angestellte Kräfte wie Krankenschwestern und -pfleger, Arzthelferinnen und Apotheker ergänzen das Auskunftsteam. Von 7 bis 22 Uhr beantworten sie täglich Fragen rund um das Thema Gesundheit und Krankheit, unter anderem für die Mitglieder großer Ersatzkassen. Mercur aus München, ein weiteres Callcenter, bedient zahlreiche Ortskrankenkassen.
Auch Angehörige nutzen das Angebot
Für die Mitglieder der jeweiligen Krankenversicherung ist der Service weitgehend kostenfrei, nur geringe Telefonkosten – zumeist zwischen sechs Cent pro Anruf und zwölf Cent pro Minute – fallen an. Nicht nur Patienten selbst, sondern auch Angehörige rufen an. Themen, die nach Auskunft der Kassen besonders häufig angesprochen werden, sind Prävention und Wellness, Fragen nach der Wirksamkeit und den Nebenwirkungen von Medikamenten sowie Fragen ob der Zahnbehandlung.
Stiftung Warentest hat die medizinischen Hotlines untersucht. Das Fazit der Tester: Die Mitglieder der Krankenversicherungen sollten die Patienten-Hotlines nutzen, auch wenn sie dort immer mal wieder auf Wissenslücken stießen. In den meisten Fällen bemühten sich die Mitarbeiter, die gewünschten Informationen zu beschaffen und riefen die Versicherten häufig auch zurück. Patienten könnten mit einem gut erreichbaren und freundlichen Callcenter rechnen. Ärgerlich, so das Urteil der Warentester, seien aber die Schwächen bei den Adress- und Kostenauskünften.
Service ist die beste Kundenwerbung
„Wir sehen unser Angebot als eine wichtige Erweiterung unseres Kundenservice“, sagt TK-Sprecherin Lund. Service spiele im Wettbewerb um die Versicherten eine wichtige Rolle. Die Kundenbindung und der Kontakt mit den Kunden sollten durch derartige Zusatzdienstleistungen nachhaltig verbessert werden. Die Hotlines dienten auch der Mitgliederwerbung. „Zwar nicht direkt“, wie Lund einräumt. Gelegentlich öffne sich die Kasse aber mit Fragestunden zu bestimmten Leiden auch gegenüber Anrufern, die nicht bei der TK versichert seien. Diese würden zwar nicht direkt angesprochen, die Kasse zu wechseln. „Aber wir zeigen, wie gut unser Service ist – das ist die beste Werbung.“
Im TK-Ärztezentrum erreicht der Versicherte Fachärzte wie beispielsweise Orthopäden, Zahnärzte oder Hautärzte. Bei komplizierteren Fragen können zudem weitere Spezialisten zu Rate gezogen werden. Für die Ärzte sei die Arbeit im Callcenter eine interessante Ergänzung zu der Arbeit in der Praxis. „Geeignete Fachärzte zu finden, ist kein Problem“, sagt Lund. Auf eine Anzeige, zum Beispiel im Ärzteblatt Schleswig-Holstein, gingen viele Bewerbungen ein. Die Tätigkeit sei bei Ärzten wegen der Abwechslung und dem festen Einkommen beliebt.
Service hilft, Kosten in den Griff zu bekommen
Mit dem Service hilft die TK auch der eigenen Kasse, zu sparen. Denn die Kunden können beispielsweise Heil- und Kostenpläne ihres Zahnarztes an das Ärztezentrum faxen. Die Zahnärzte prüften dann, ob die Behandlung sinnvoll und der Eigenanteil gerechtfertigt sei, so Lund. Andere Wege beschreitet die AOK Rheinland/Hamburg. Die erst seit einem Jahr fusionierte Kasse betreibt ein eigenes Callcenter nur mit fest angestellten Mitarbeitern, sagt Sprecherin Dr. Ellen von Itter.
Damit sei der Datenschutz gesichert. Sensible medizinische oder soziale Daten der Versicherten fielen nicht in falsche Hände. Die rund 60 Mitarbeiter von Clarimedis, davon 15 Ärzte, seien Experten aus den Fachbereichen Medizin, Pflege, Krankenhaus und Sozialversicherung. Aufgrund des Zusammenspiels der Mediziner und der Versicherungsexperten sei eine interdisziplinäre Beratung möglich, beispielsweise wenn sich aufgrund einer bestimmten Diagnose eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit abzeichnet, die Regelungsbedarf in der Kranken-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung erkennen lässt.
Wenn der Versicherte wider Willen einen Arzttermin erst in einem halben Jahr bekommt, dann macht Clarimedis Druck – mit einem „Terminvermittlungsservice“, wie Sprecherin von Itter das nennt. Denn zum Jahreswechsel habe das wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen herausgefunden, dass sechs Monate Wartezeit auf eine Mammographie keine Seltenheit waren – selbst, wenn der Hausarzt nach Tastuntersuchung zu dringender Abklärung riet. Clarimedis gab eine „Drei-Tage-Garantie“, in der bereits in den ersten zwei Wochen 98 Prozent der 500 Anruferinnen geholfen worden sei.
Durch „Mund zu- Mund-Propaganda“ seien in vielen Städten die Wartezimmer von Fachärzten übervoll, andere hätten aber durchaus Kapazitäten. „Die haben wir vermittelt, sofern der Patient bereit war, den Arzt zu wechseln.“ Wollte dieser das nicht, „dann hatten auch wir Schwierigkeiten“, räumt die Sprecherin ein. Die Mitarbeiter von AOK Clarimedis könnten „fallabschließend“ informieren. Anfragen von Versicherten würden selten an die betreuende Geschäftsstelle weiter oder zurückverwiesen, sondern direkt bearbeitet. Da das AOK-Clarimedis- Team den technischen Zugriff auf die Versichertendaten hat, könne es Informationen über den Stand eines aktuellen Leistungsfalles geben. Versicherungsrechtliche Beurteilungen oder die Klärung von Beitragsangelegenheiten würden sofort erledigt, sagt die Sprecherin.
In Spitzenzeiten 700 Anrufer die Stunde
Durchschnittlich wenden sich 1 400 Kunden pro Tag an Clarimedis. In Spitzenzeiten werden bis zu 700 Anrufer pro Stunde gezählt. Inzwischen würden auch die Fragen der Versicherten der Ortskrankenkassen Berlin, Brandenburg, Bremen/ Bremerhaven, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und Schleswig- Holstein auf das Callcenter im Rheinland geroutet.
Was das Callcenter kostet, darüber schweigt sich die AOK Rheinland/ Hamburg wie auch die anderen gesetzlichen Kassen aus. Von Itter ist lediglich zu entlocken, dass die jährlichen Kosten die gleichen seien, wie an alle Mitglieder einmal im Jahr einen Serienbrief zu schreiben.
Auch große private Kassen bieten für ihre vollversicherten Patienten medizinische Hotlines. Diese zieren sich nicht, über Kosten zu sprechen. „Die Kosteneinsparung ist ein gleichwertiges Ziel neben der Verbesserung der Servicequalität für den Kunden“, sagt Katrin Schaller von der Allianz Deutschland AG. Die Privatkasse spare, indem sie „Abläufe verbessert und einzelne Sektoren miteinander verzahnt“. Die Behandlung solle am richtigen Ort zur richtigen Zeit vom richtigen Behandler in optimaler Qualität erbracht werden.
Dazu hat die drittgrößte private Krankenversicherung Deutschlands sieben „Gesundheitslotsen“ eingestellt. „Oft sind die Absprachen zwischen den Beteiligten in den unterschiedlichen Sektoren ambulant, stationär und nachstationär mangelhaft“, sagt Dr. Barbara Karuth-Zelle, Leiterin des Gesundheitsmanagements der Privaten Krankenversicherung. Die Patientenbegleiterinnen kümmern sich vom Telefon aus ausschließlich um Versicherte mit schweren Erkrankungen wie Krebs, Schlaganfall oder Herzinfarkt, aber auch nach einem Unfall. Sie sorgen vor allem für die reibungslose Abfolge der einzelnen Behandlungsschritte.
Darüber, wen die Damen im Callcenter anrufen, entscheidet der Computer nach Rechnungshöhen und Diagnosen der Krankenhäuser. Bis heute haben die sieben Patientenbegleiterinnen in drei Jahren rund 3 000 Fälle betreut. Im Schnitt konnten pro Behandlungsfall rund 900 Euro gespart werden, sogar nach Abzug aller Kosten für den Callcenter-Dienst selbst. Die Mitarbeiterinnen sind erfahrene Pflegekräfte, viele von ihnen mit akademischen, gesundheitswirtschaftlichen Weiterbildungen. Wie eine Sprecherin des Bundesverbandes der Privaten Krankenversicherungen sagte, wollen andere private Kassen einen gleichartigen Service ebenso anbieten.
Keine Scheu am Telefon
Die Stiftung Warentest rät Endverbrauchern, die medizinischen Hotlines zu nutzen:
- zur Beantwortung von Fragen, derentwegen man nicht unbedingt zum Arzt gehen würde, die sonst jedoch unbeantwortet blieben,
- zur Vorbereitung auf den Arztbesuch,
- zur Nachbereitung des Arztbesuches, weil man den Arzt nicht verstanden hat, das aber nicht zugeben will,
- bei Fragen, die einem erst nach dem Arztbesuch einfallen,
- um das Bedürfnis zu stillen, eine zweite Meinung zu hören, ohne gleich wieder einen zweiten Arztbesuch zu vereinbaren,
- um Themen anzusprechen, die manchem peinlich sind und die ein Patient von Angesicht zu Angesicht vielleicht nicht ansprechen würde, wie etwa Errektionsstörungen, Inkontinenz, Frauenleiden oder Hämorrhoiden.