Rücken- und Lifestyle-Training für die Mitarbeiter sind die beste Investition

700 Prozent Return on Investment

  • Strategie
  • Titel
  • 01.03.2007

Gesundheits Wirtschaft

Ausgabe 3/2007

Rücken- und Lifestyle-Training für die Mitarbeiter sind die beste Investition der Daimler Chrysler AG.

Einen Euro investieren – sieben Euro kassieren: Ein solches Geschäft würde jeder Banker als unseriös abtun. Bei der Daimler Chrysler AG funktioniert das. Zwar nicht in der Herstellung und im Verkauf der Automobile mit dem Stern. Aber beim Investment in die Gesundheit der Mitarbeiter. Wendet der Konzern einen Euro dafür auf, Rückenschmerz und damit verbundene Folgeleiden der Belegschaft zu verhindern, spart er durch Produktivitätssteigerung sieben Euro ein, weil weniger Kollegen wegen Krankheitstagen einen im Arbeiterjargon genannten „gelben Zettel“ abgeben müssen.

Das kann der Mediziner Dr. Ralf Franke belegen. Er ist oberster Werksarzt des Konzerns weltweit, seine Visitenkarte ziert den Titel „Leiter Gesundheitsmanagement und Arbeitsschutz“. In Deutschland unterstehen ihm etwa 230 Mitarbeiter, darunter Werksärzte, Sozialberater und betriebliche Gesundheitsförderer. Damit auch das Personal so wertstabil wie ein Mercedes bleibt, hat der Konzern das Gesundheitswesen in einem zentralen Bereich zusammengeführt.

Fachkräfte werden besonders gut gepflegt

Das Marktforschungsinstitut EuPD Research aus Bonn befragte im Auftrag des Handelsblatts die 500 größten Arbeitgeber in Deutschland im Detail nach ihrem Gesundheitsmanagement. Lediglich 151 antworteten – was den Schluss nahelegt, 350 kümmerten sich nicht systematisch um das körperliche und seelische Wohlergehen ihrer Leute. Obwohl die Überalterung der Gesellschaft und der drohende Facharbeitermangel ihnen keine Wahl lassen werden.

Unternehmen mit hohem Fachkräfteanteil pflegen ihre Mitarbeiter deutlich besser, weil ihnen die demografischen Probleme bekannt sind und die jungen Leute ihnen das Fachwissen und die Kontinuität der erfahrenen älteren nicht ersetzen können.

Hinzu kommt, dass die Krankheitskosten in den Unternehmen insgesamt gestiegen sind, so die Handelsblatt-Studie. Grund: zunehmende Arbeitsverdichtung. Früher gab es noch Puffer in der Personaldecke. Dann aber haben zahlreiche Unternehmen zu viele Leute entlassen. Heute bewältigt jeder Beschäftigte ein größeres Arbeitspensum als früher. Die Unternehmen, die sich ein Gesundheitsmanagement leisten, geben 60 bis 120 Euro je Mitarbeiter und Jahr aus, „um das Vier- bis Achtfache zurückzubekommen“, so Michael Forst, Chef von EuPD Research, der die Untersuchung geleitet hat.

Laut Jochen Protzer, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte und Berufsverbandes deutscher Arbeitsmediziner, gibt es in Deutschland 12 000 Fachärzte für Arbeitsmedizin und Mediziner, die die Zusatzbezeichnung Betriebsmediziner tragen. 10 000 davon arbeiten als Betriebsärzte. Zahllose Mittelständler, die sich einen eigenen Werksarzt nicht leisten können, arbeiten mit Unternehmen zusammen, die solche Arbeitsmediziner unter Vertrag haben.

Große arbeitsmedizinische Dienstleister seien AMD in Oldenburg, die IAS-Stiftung in Karlsruhe oder die BAD GmbH in Bonn. Auch die verschiedenen TÜV böten Unternehmen ihre arbeitsmedizinischen Dienste an. Der Mercedes aber unter den Arbeitsmedizinern sei Daimler Chrysler. „Mehr, als dieser Autobauer macht, geht nicht“, sagt Verbandschef Protzer.

Daimler-Check für alle Beschäftigten

Das ist nicht nur gut für die Beschäftigten, sondern auch für die Bilanz der Daimler Chrysler AG. Das Controlling des Konzerns überwacht die Ausgaben für betriebliches Gesundheitswesen. „Wir geben gerne Geld für die Gesundheit unserer Beschäftigten aus. Aber nur, wenn der Return on Investment gut ist“, sagt Gesundheitsmanager Franke. „Nice to have gibt’s bei uns nicht.“ Regelmäßig gibt es für alle Beschäftigten den großen „Daimler-Check“.

Wer dort alarmierende Blutfett- oder Zuckerwerte hat, unter dem metabolischen Syndrom leidet, kann an einem mehrstufigen Gesundheitstraining teilnehmen. Damit die Kosten nicht überborden, holt sich der werksärztliche Dienst Krankenkassen und die Rentenversicherung ins Boot. Stufe eins ist ein einwöchiger Aufenthalt in einer Kurklinik. Am Anfang stehen ein ausführlicher Check, Ernährungskunde und Bewegungstraining. Diese erste Woche zahlt Daimler. „Dann bauen wir das Erlernte in den Alltag ein“, sagt Werksarzt Franke.

Mit dem Geld der BKK, AOK und RV

Zwölf Wochen lang trifft sich die Gruppe zweimal in der Woche für zwei Stunden nach Feierabend, spricht über Ernährungsumstellung, Gewichtsabnahme und trainiert den Körper. Diese Phase finanzieren die Daimler-Betriebskrankenkasse und die baden-württembergische AOK.

Erst dann, wenn neue Lebensgewohnheiten in Fleisch und Blut übergegangen sind, trainieren die Kollegen alleine. Nach sechs Monaten folgt ein „Refresher-Wochenende“, für dessen Kosten die Deutsche Rentenversicherung aufkommt. Hier wird das Erlernte noch einmal wiederholt. Professor Dr. Wolfgang Schlicht, Leiter des Instituts für Sportwissenschaft der Universität Stuttgart, hat die Wirksamkeit dieses Programms evaluiert. Sein Urteil: Ein herausragend gutes Programm, weil es unter den Beschäftigten zur nachhaltigen Verhaltensänderung geführt habe. Die überwiegende Zahl der Teilnehmer isst gesünder, treibt Ausdauersport – und ist deswegen gesünder. Nach einem halben Jahr hatte ein Drittel der Teilnehmer bereits mehr als 20 Kilogramm abgenommen.

Bei Bosch hat der zuständige Personalvorstand das Programm mit freundlicher Genehmigung von Daimler Chrysler für die Mitarbeiter eingeführt. Dort kommt das Geld sogar ganz von der Rentenversicherung, die ihr derartiges Investment mit der sprunghaft verringerten Frühverrentungsquote bei Daimler Chrysler begründet.

Auch Udo Schlitt, Gesundheitsmanager bei der Fraport, der Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens, rechnet vor, dass sich Gesundheitsmanagement lohnt: „Der Return on Investment ist vier zu eins bis acht zu eins. Wenn wir etwa den Krankenstand bei Fraport nur um ein Prozent senken, ist das eine Ersparnis von fünf Millionen Euro.“

Den meisten Unternehmen fehlt aber noch eine richtige Strategie, sie seien eher punktuell tätig, kritisiert die Handelsblatt-Studie. Das meiste Geld geben sie für Präventivmaßnahmen wie Grippeschutzimpfungen, Check-ups oder Krebsvorsorgeuntersuchungen aus. Doch zunehmend setze sich die Erkenntnis durch, dass die Einzelaktionen gut gesteuert werden müssen, um dann als individuelles Bündel für jeden Mitarbeiter ihre volle Wirksamkeit zu entfalten.

Wie eine Perlenkette bietet das Gesundheitsmanagement bei Daimler Chrysler Gesundheitsuntersuchungen und Trainings für Mitarbeiter ohne, mit akuten oder mit chronischen Beschwerden an. Werden derlei Beschwerden augenfällig, wird sofort gehandelt, gibt es OPs oder Therapien, bevor sich Leiden verschlimmern. Für die Zeit nach der Akut-Behandlung kooperiert Daimler Chrysler mit vier Reha-Kliniken.

Unabhängig davon, ob Rückenschmerzen, psychische Probleme, Sucht oder Krebs den Mitarbeiter leiden lassen: Nach der Behandlung verschafft der Autokonzern seinen Mitarbeitern sofort einen Platz in der Reha. Waren früher nach diesen schweren Erkrankungen die Mitarbeiter im Durchschnitt 125 Tage krankgeschrieben, sind es heute nur noch 20 Tage.

„Da wird deutlich, wie sich unser Investment lohnt“, sagt Dr. Franke. Das haben inzwischen mehr Firmen verstanden. Gab es früher häufig Einzelaktionen nach dem Gießkannenprinzip – von Sauna bis Suchtberatung –, so ist heute mehr Strategie erkennbar. Auch die Strukturen werden klarer.

30 verschiedene Präventivleistungen

Ausgewiesene Gesundheitsmanager gibt es mehr und mehr. Sie sind keineswegs identisch mit dem Betriebsarzt, der nur den medizinischen Blickwinkel hat. Ingesamt kommen die Autoren der Handelsblatt- Studie auf 30 verschiedene Angebote wie Alkohol- und Rauchverbot, Krebsvorsorge und Wasserspender als Präventivleistung oder aber Gesundheitsleistungen wie Kinderbetreuung, Spezialschulungen und Bürogymnastik. Betriebssportvereine sind hingegen Auslaufmodelle.

Massagen in der Firma gewähren 52 Prozent der befragten Unternehmen. Daimler-Chefmediziner Dr. Franke hat herausgefunden, dass dazu manchmal „der Berg zum Propheten kommen muss, wenn der Prophet nicht zum Berg will“. Also fahren Physiotherapeuten des Konzerns mit einem speziell für Daimler konstruierten Anhänger namens „Kraftwerk mobil“ zu jedem Arbeitsplatz am Fließband. In dem Glaskasten trainiert jeder Bandarbeiter, der möchte, einmal pro Woche für drei Minuten die Rückenmuskulatur. Das „Kraftwerk mobil“ steht in sechs deutschen Werken zur Verfügung. Die Arbeiter haben viel Spaß damit und vor allem weniger Rückenprobleme, sagt Dr. Franke.

Ein gutes Stück Unternehmenskultur

Weil Rückenschmerzen bei Männern der häufigste, bei Frauen der zweithäufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit sind, haben die Betriebskrankenkasse Essanelle, die Henkel AG und der Klinikbetreiber Mediclin einen Ansatz zur medizinisch- beruflichen Prävention, Akutversorgung und Rehabilitation für Arbeitnehmer mit Rückenleiden ausgehandelt. Darin spielen auch die Hausärzte eine zentrale Rolle. Im Falle jedes Erkrankten führt ein „Case Manager“ alle Fäden zusammen. Dieser Arzt sammelt nicht nur alle Informationen und gibt sie weiter, er organisiert auch betriebliche Gesundheitsaktionen und Entspannungstrainings.

Am besten funktioniert betriebliches Gesundheitswesen, wenn es fest in die Unternehmenskultur eingebaut ist. „In Unternehmen, wo eine miteinander verzahnte Gesundheitsförderung betrieben wird, stimmen auch die Kennzahlen“, beobachtet Werksärzte-Verbandschef Protzer. Deshalb öffnet sich das betriebliche Gesundheitswesen zunehmend einem Präventionsverständnis, wie es die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrer Ottawa-Charta formuliert hat. Danach gibt es in jedem Menschen neben den krankmachenden Faktoren auch gesundheitsfördernde Ressourcen. Sie helfen, Belastungen zu verarbeiten.

Früher war Arbeitsmedizin anders. Wer zur Arbeit erscheint, ist gesund, habe man damals geglaubt, sagt Dr. Franke. Dabei gebe es heute so viele motivierte Mitarbeiter, die auch „mit dem Kopf unter dem Arm“ zur Arbeit erschienen. Umgekehrt gebe es natürlich auch Kollegen, die sich wegen Kopfschmerzen oder Erkältung nicht im Stande fühlten, ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Von diesem Gesundheitsverständnis ließ sich jahrzehntelang das betriebliche Gesundheitswesen leiten.

Es setzte Gesundheit mit der Abwesenheit von quantifizierbarer Krankheit gleich, sagt Bernhard Badura, Professor für Sozialepidemiologie und Gesundheitssystemgestaltung an der Universität Bielefeld. Entsprechend betrachtete das betriebliche Gesundheitswesen auch die Arbeitnehmer: Sie wurden als „zu schützende, zu rehabilitierende, passive Objekte“ verstanden. Folgerichtig setzte sich das Gesundheitswesen zum Ziel, Unfallursachen und Berufskrankheiten zu bekämpfen.

Gesunde Mitarbeiter, gesundes Unternehmen

Mitte der achtziger Jahre begannen die Betriebe umzudenken, weil die Mitarbeiter anders erkrankten. Die infektiösen und berufsbedingten Erkrankungen waren nicht mehr die Hauptursache von Abwesenheit am Arbeitsplatz. Zivilisationskrankheiten wie Erkrankungen von Herz, Kreislauf, des Bewegungsapparats sowie psychosomatische Erkrankungen peinigten die Arbeitnehmer fortan. Deswegen stehe das betriebliche Gesundheitswesen, so Professor Badura, unter Modernisierungsdruck“. Daimler-Chrysler- Gesundheitsmanager Dr. Franke sieht das ebenso, allerdings noch pragmatischer: „Gesunde Mitarbeiter sind eine Voraussetzung für gesunde Unternehmen.“

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