Oft beginnt der Notfall, wenn man das Krankenhaus erreicht hat: Dann, wenn man in lebensbedrohlicher Situation an einen übermüdeten und überforderten Assistenzarzt gerät. Andere Länder haben Konsequenzen gezogen, um solche Situationen zu vermeiden: In Wien konzentriert man die Notfallaufnahme für Herzinfarkte auf zwei erfahrene Krankenhäuser. In Berlin kann man in über 40, großenteils unerfahrene Krankenhäuser eingeliefert werden.
Die Strukturierung der Notfallaufnahmen ist eine der neuen Aufgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses. Er soll Mindeststandards für eine gestufte Notfallversorgung definieren. Dass eine derartige Neuordnung angezeigt ist, zeigen auch jüngste Untersuchungen der Leopoldina, wonach von den rund 1.400 Plankrankenhäusern ein Viertel keinen CT und ein Fünftel kein Intensivbett haben. Bei wirklichen Notfällen sollten solche Häuser nicht angefahren werden. Die Brisanz dieser Thematik – schon der Begriff Notfall erhöht den Blutdruck im Politikgeschehen – hat dazu geführt, dass die KHSG-Frist 31.12.2016 im Rahmen des PsychVVG um ein Jahr und damit auf einen Zeitpunkt nach der Bundestagswahl verschoben wurde.
Aber es geht nicht nur um die Abschläge bei Nichtteilnahme an der Notfallversorgung. Die grundlegende Neuordnung der gesamten Notfallkette könnte eines der zentralen Themen der nächsten Legislaturperiode werden. Das beginnt mit den Rettungsdienst-Leitstellen, die noch nicht alle im digitalen Zeitalter angekommen zu sein scheinen. Hessen und einige andere Bundesländer haben mit dem IVENA-System eine erste Orientierung gegeben. Es geht weiter mit der vielfach diskutierten „Unterfinanzierung" der Notfallambulanzen, die derzeit noch über die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) finanziert werden. Hier wird zu regeln sein, wie die durch leichte Fälle „verstopften" Notfallambulanzen durch KV-Notdienstpraxen an Krankenhäusern zu entlasten sind – ein Ansatz des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes, der noch nicht flächendeckend umgesetzt ist und auch einige Detailfragen zur Zusammenarbeit aufwirft. Noch ist nicht klar geregelt, dass die Triage (die Entscheidung, ob es sich um akute Notfälle handelt) durch spezialisierte Ärzte des Krankenhauses und nicht durch die KV-Praxis erfolgen sollte. Derzeit entscheidet oft der Pförtner, ob der Patient zur KV-Praxis oder zur Krankenhaus-Notfallambulanz geleitet wird. Das wiederum führt zu der großen innerbetrieblichen Krankenhausorganisationsfrage: Für Notfälle sollte es eine zentrale Notfallaufnahme geben – so der internationale Standard und die dringende Empfehlung der Fachgesellschaften. In Deutschland ist das alles andere als selbstverständlich.
Schon die kurze Auflistung zeigt, dass es vielfältigen ordnungspolitischen Handlungsbedarf gibt. Ähnlich wie bei elektiven Eingriffen ist auch bei Notfällen Professionalität und Erfahrung gefragt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft wäre gut beraten, nicht weiter das Ziel zu verfolgen, möglichst viele Krankenhäuser an der Notfallversorgung zu beteiligen. Es sollte in der anstehenden Debatte nicht um das Überleben von Kliniken, sondern um das Überleben von Patienten gehen