Orientierungswert von Wulf-Dietrich Leber

Die bunte Welt der Leitstellen

  • Orientierungswerte

Die Neuordnung der Leitstellen ist nichts für Farbenblinde. Da gibt es die blauen Leitstellen von der Polizei, die roten von der Feuerwehr, die weißen für das Gesundheitswesen und im Hintergrund die grauen für technische Hilfsleistungen - nicht für die Bevölkerung direkt erreichbar. Die meisten Leitstellen jedoch sind bunt. So gibt es beispielsweise keine rein weißen Leitstellen, die ausschließlich für Gesundheitsleistungen zuständig sind. Alle sind irgendwie mit den roten Leitstellen verbandelt, also rot-weiß. Und manche, die sich integriert nennen, sind noch bunter.

Die Eckpunkte der Bundesregierung für eine Neuordnung der Notfallversorgung, die am 18. Dezember 2018 öffentlich gemacht worden sind und die im April 2019 als Referentenentwurf vorgelegt werden sollen, werden für die gesundheitspolitische Szene Anlass sein, sich mit dieser Farbenlehre vertraut zu machen. Der erste Wurf, der dem Vernehmen nach politisch und innerministeriell noch nicht allzu weit abgestimmt ist, sieht zum einen die Gründung sogenannter „Integrierter Notfallzentren (INZ)“ und zum anderen „Gemeinsame Notfallleitstellen“ vor. Der Text ist kursorisch gehalten und orientiert sich weitgehend an den Vorschlägen des Sachverständigenrates.

In den gemeinsamen Leitstellen sollen die bisher getrennten Rufnummern 112 und 116 117 zusammenlaufen und die Anrufe einer Art Telefontriage zugeführt werden. Damit der Bund die erforderlichen Regelungen zur Organisation treffen kann, ist eine Grundgesetzänderung vorgesehen. Bemerkenswert! (Vielleicht erledigt man die überfällige Grundgesetzänderung zur Krankenhausplanung gleich mit.) So ganz einfach dürfte die Gemeinsamkeit der Leitstellen nicht herzustellen sein, sind diese doch fest in kommunalen Strukturen verankert. Die Übersicht in Wikipedia (Stichwort: Liste der BOS-Leitstellen) zeigt immerhin 246 Leitstellen, die alle völlig unterschiedlich strukturiert sind. Kenner sind in der Lage, aus diesem Wirrwarr noch die Grenzen der alten Besatzungszonen nach dem Zweiten Weltkrieg zu rekonstruieren. 

Drei Probleme stellen sich:

Erstens die Zahl der Leitstellen ist um den Faktor fünf bis zehn zu hoch. Wir haben eine Art vordigitale Struktur, die man beim Übergang des Rettungswesens aus dem Rechtskreis der Katastrophenabwehr nicht ins Gesundheitswesen übernehmen sollte.

Zweitens ergeben sich schwierige Kostentrennungsprobleme. Pointiert formuliert: Die Krankenkassen sollten nicht gezwungen werden, die Finanzierung der Feuerwehrfeste zu übernehmen.

Und drittens sollten die Aufgaben der Leitstellen etwas genauer eingegrenzt werden. Schon bei der Lektüre des Sachverständigengutachtens staunte man über die vielfältigen Aufgaben dieser Zentren: Telefontriage, Koordination des Rettungsdienstes, telefonische ärztliche Beratung, Terminvergabe bei niedergelassenen Ärzten, Koordination von ärztlichen Hausbesuchen, Pflegedienstbesuchen und Palliativ Care Teams, … Hallo! Geht‘s nicht ‘ne Nummer kleiner?

Die flächendeckende Einrichtung von integrierten Notfallzentren, der zweite Reformansatz, ist nicht weniger ambitioniert und bei näherer Betrachtung nichts weniger als die Einrichtung eines neuen Sektors mit eigener Organisation und eigener Vergütungssystematik. Der gemeinsame Tresen von Kassenärztlicher Vereinigung (KV) und Krankenhaus ist inzwischen allgemeiner Reformkonsens. Aber braucht man dafür einen neuen Rechtskreis?

Was dem gesamten Reformentwurf völlig fehlt, ist eine gewisse bundespolitische Strukturierung. Nach gegenwärtigem Stand scheint nur gesichert, dass das Rettungswesen wie bisher überall anders funktioniert und Krankenwagen weiterhin an der Landesgrenze, wenn nicht sogar an der Kreisgrenze, Halt machen. Eine digitale Gesamtstruktur ist doch längst überfällig: Während die minutengenaue Paketverfolgung inzwischen millionenfach bundeseinheitlich funktioniert, gibt es in dieser Republik nicht einmal eine verlässliche Erfassung der Zahl der Rettungsfahrten, geschweige denn ein System, um zu erfassen, welche Krankenhäuser angefahren wurden. Erste Ansätze, wie zum Beispiel das in Hessen entwickelte System IVENA, verbreiten sich nur mühsam. Wenn das gesamte Reformwerk etwas mehr sein soll als die Fortführung überkommener Strukturen verbunden mit einer Kostenverlagerung auf die Krankenkassen (der Strukturfonds lässt grüßen), dann braucht es ein gerüttelt Maß an einheitlicher Strukturierung, so wie jüngst die Notfallstufen im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erstmals einheitlich definiert worden sind.

Eine wirkliche Reform des Rettungswesens wird die ganze Rücksichtslosigkeit des Ministers erfordern. Aber die Sache ist es wert, endlich angefasst zu werden. Noch sind die bunten Leitstellen der Stolz der Landräte. Die politische Debatte darüber verspricht ähnlich bunt zu werden.

Autor

Dr. Wulf-Dietrich Leber

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