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DIW-Chef Fratzscher: „Jetzt ist die Zeit, um klug zu investieren”

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DIW-Chef Fratzscher: „Jetzt ist die Zeit, um klug zu investieren”
Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) © © Regina Sablotny

„Manchmal benötigt es Krisen, damit einem die Augen geöffnet werden” – mit diesen Worten eröffnete Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), das diesjährige DRG-Forum in Berlin. Die Auswirkungen der Pandemie seien noch immer spürbar, ein Krieg, dessen Folgen nur bedingt abzusehen sind, habe gerade erst begonnen. „Wir stehen an einer Zeitenwende, die ein grundlegendes Umdenken verlangt”, so der Ökonom. 

Jahrzehntelang hätte Deutschland, und so auch das Gesundheitswesen, von seiner Substanz gelebt. Seit Beginn der 2000er Jahre habe es viel zu wenig öffentliche Investitionen gegeben, etwa in die Grundversorgung oder die Infrastruktur. Auch dem Digital Health Index der OECD sei abzulesen, dass Deutschland beim Aufbau des digitalen Gesundheitswesens, „und ich hoffe, ich trete Ihnen hier nicht zu nahe”, so Fratzscher ans Publikum gerichtet, nicht gut abschneide. Dem Land sei es gut gegangen in diesen Jahren, zweifelsohne, doch die Folge sei nun ein massiver Reformstau. „Reformen sind nun einmal viel schwieriger, wenn es einem gut geht”, so der Experte.

Russland: Deutsche unterschätzen mögliche Eskalation 

Damit dürfte nun Schluss sein. Sorgenvoll blickt Fratzscher, der als Professor Makroökonomie an der Berliner Humboldt-Universität lehrt, vor allem auf die Entwicklungen in Russland. Als noch zu optimistisch beschreibt er die Deutschen, attestiert ihnen einen „Tunnelblick” und eine Hoffnung darauf, dass die post-pandemische Wirtschaft nun, sobald auch der Krieg wieder vorüber sei, ordentlich wachsen könne. Die Möglichkeit einer weiteren Eskalation des Krieges werde „deutlich unterschätzt”. Es sei die Aufgabe „kluger Politik” ebenso wie von Unternehmen, sich auf alle mögliche Szenarien einzustellen, das schließe das Gesundheitswesen und mithin Krankenhäuser ein. 

Energielieferungen: „Deutschland hat sich zu stark von Russland abhängig gemacht”

Putins Krieg dürfte vor allem dessen eigenem Land ein wirtschaftliches Fiasko bringen, machte Fratzscher auf dem Klinik-Kongress deutlich: „Massiver Einbruch der Wirtschaftlichkeit um zwölf Prozent, hohe Arbeitslosigkeit und eine Inflation zwischen 20 und 30 Prozent” – so skizziert er die Aussichten für Russland. In der Euro-Zone seien die drohenden Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung als „moderat” einzustufen: Statt der zunächst prognostizierten drei bis vier Prozent rechnet der DIW-Chef nun mit lediglich zwei Prozent Wachstum, die Inflation könnte in diesem Jahr bis zu zehn Prozent betragen, das Risiko einer Stagflation jedoch schätzt er als gering ein. „Dazu ist unsere Wirtschaft zu robust.” 

Hohe ökonomische Auswirkungen seien jedoch von einem Energie-Embargo zu erwarten. Derzeit zahlt Europa täglich 600 bis 700 Millionen Euro an Russland für Gaslieferungen; Deutschland ist größter Abnehmer: „Ein Viertel der gesamten russischen Gasexporte in die EU gingen zuletzt nach Deutschland”, so Fratzscher. Damit habe sich das Land nicht nur vorzuwerfen, Putin durch die hohen Exportüberschüsse beim Aufbau einer Kriegsmaschinerie geholfen zu haben, es habe sich auch abhängig gemacht – ein Fehler, urteilt der Ökonom. Die bislang importierten Rohstoffe seien nicht leicht zu substituieren, weder über Kohle oder Flüssiggas noch über erneuerbare Energien, „zumindest nicht innerhalb eines Jahres”. Es sei zudem ein Mythos, fossile Energien leicht durch Atomkraft ersetzen zu können. „Atomkraft ist zu einer der teuersten Energien geworden.” 

Energieverbrauch: „Der größte Hebel liegt bei Ihnen”

Der wirksamste und schnellste Hebel liege daher nicht beim Angebot, sondern beim Verbrauch: Unternehmen, „auch Sie”, so Fratzscher in Richtung Zuhörer, aber vor allem private Haushalte müssten ihren Energiekonsum reduzieren. „Zwei Grad weniger in der Wohnung bringt 20 Prozent Einsparung”, rechnete er vor. Langfristig werde ein Gas- und Ölembargo vor allem energieintensive Unternehmen in die Knie zwingen. Schon heute stünden einige Logistikfirmen vor dem Bankrott; angespannt werde die Lage auch für die Automobil- oder Chemieindustrie. „Auf dieses Szenario muss sich die Politik vorbereiten”, mahnt der Wirtschaftsexperte. Auch das Gesundheitswesen als ebenfalls relativ energieintensive Branche stehe vor einer Herausforderung. Als brauchbaren Hebel sieht Fratzscher die energetische Gebäudesanierung, die „über ein oder zwei Jahre viel Potenzial” verspreche. An die Politik gerichtet empfiehlt er, entsprechende Förderprogramme zu intensivieren.

Wirtschaft und Gesundheit — keine Gegenspieler

Was also braucht es in Zukunft? Den Gürtel enger schnallen? Die Energiewende stoppen? Nein, sagt der DIW-Chef. Gerade durch den Krieg würden Transformationen dringender denn je, ökologische wie auch soziale. „Wenn wir die ökologische Wende gestalten wollen, müssen wir die soziale Komponente mitdenken, beschleunigen und hier investieren.” Einer Erhöhung des Mindestlohns, das ergänzte der Experte auf Nachfrage, stehe er positiv gegenüber, sie würde die steigenden Kosten gerade für Menschen mit niedrigem Einkommen immerhin etwas kompensieren und eine „Balance” schaffen. Auch eine Einmalzahlung, wie Gewerkschaften sie für ihre Mitglieder fordern könnten, wäre ein „kluger Weg”, während eine über Jahre indexierte Erhöhung hingegen in eine Lohn-Preis-Spirale führen könnte. 

Es gelte nun zu handeln. „Jetzt ist nicht die Zeit, um Schulden abzubauen, sondern um klug in die Zukunft zu investieren, auch in der Daseinsvorsorge”, machte er den Forumsteilnehmern Mut. Gesundheit und Wirtschaft – das seien keine „Trade-offs”, keine Gegenspieler. „Die Pandemie hat gezeigt: Jene Länder, die ihre Bevölkerung gut schützen konnten, haben wirtschaftlich deutlich besser performt.” Gesunde Menschen bedeuteten am Ende immer auch ein höheres Wirtschaftswachstum. „So gesehen sind das die besten Investitionen, die wir tätigen können.” (rk)

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