Es war ein frustriertes Lob, das Thomas Lemke auf dem Deutschen Krankenhaus Controllertag am gestrigen Donnerstag in Köln aussprach. „Es wird immer schwieriger, in einem total regulierten System Freiheiten im Denken und Handeln zu haben", rief der Sana-Chef und Vizepräsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) den Controllern im Publikum zu. Er sei froh, dass es noch Menschen gebe, die unter diesen Rahmenbedingungen gerne ihren Job machen.
Auf dem Kongress diskutierten Referenten und Teilnehmer über die derzeit größten Herausforderungen für die Kliniken und suchten nach Wegen, wie das Controlling diese unterstützen und gestalten kann: Krankenhausstrukturreform, die Ambulantisierung, Nachhaltigkeit, aber auch die von Minister Karl Lauterbach angestrebte Korrektur des Pflegebudgets.
Pflegebudget: Kassen fordern mehr Transparenz
Die angekündigte Bereinigung der vermeintlichen Doppelfinanzierung im Pflegebudget und in den Fallpauschalen (DRG) löst in den Kliniken bekanntlich nur wenig Begeisterung aus. „Was letzte Woche vorgelegt worden ist, schlägt dem Fass den Boden aus“, schimpfte Lemke. 2024 sollen laut Entwurf des GKV-Finanzierungsgesetzes nur noch qualifizierte Pflegekräfte im Pflegebudget berücksichtigt werden – bisher können Krankenhäuser auch Hilfskräfte einpreisen. „Was haben wir gerungen, um Abgrenzungen zu deklinieren und zu definieren. Ab 2024 soll das nun rausfliegen und nicht mehr finanziert werden“, zeigte sich Lemke sichtbar verärgert. Er kritisierte die bisherige Arbeit von Gesundheitsminister Karl Lauterbach zudem deutlich. Er erwarte eine bessere Einbindung von Praktikern in die Reformkommission. Die bisherigen Vorschläge seien zu wissenschaftlich und theoretisch. Unklar sei hingegen, wie diese ins Sozialgesetzbuch V oder in das Finanzierungssystem kommen sollen. Die „Nichtkommunikation“ Lauterbachs bezeichnete Lemke als Vertrauensbruch, den man in dieser Form noch nicht gehabt habe. Auch die Inflation treffe die Krankenhäuser hart. Wenn die Politik zum 1. Januar 2023 in den Normalmodus zurückkehre, werde es reihenweise Kliniken geben, die ihre Verpflichtungen nicht mehr bedienen können, prognostizierte er. Da Lemke der Regierungskommission nur wenige Aussichten auf Erfolg bescheinigt, hofft er auf eine „Koalition der Willigen“, die den Umbau der Versorgungslandschaft mittel- und langfristig organisiert. Allerdings habe die Pandemie – auch in den Krankenhäusern – ihre Spuren hinterlassen. „Der Coronablues führt zu einer Optimierung von Eigen- und Gruppeninteressen“, so Lemke. Eigeninteressen würden bis zum Maximum ausgereizt, die Emotionalität sei gestiegen, die Zündschnur kürzer geworden. „Wir brauchen Menschen und Strukturen, die dem entgegenstehen“, so Lemke.
Von Brandherden, die vor Ort zu löschen sind, sprach Josef Düllings, Präsident des Verbands der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD). „Die Krankenhäuser sind in der gleichen Situation wie die Schulen, die Bundeswehr und die Deutsche Bahn.“ Er setze in seinem Haus aus strikte Ausgabenkontrollen und eine zügige Leistungsabrechnung. Dies könne im Zweifel auch dazu führen, dass ein Haus nicht mehr alle Patienten versorgen kann. Auf teure Honorarkräfte will er in Zukunft verzichten. Auch er kritisierte den nun vorgelegte Gesetzentwurf, in dem pfegeentlastende Berufe aus dem Pflegebudget genommen werden sollen. „Das ist ein Missverständnis: Pflegeentlastende Berufe werten die Pflege auf“, so Düllings. Mit diesem Vorhaben werde sich der Personalmangel verschärfen.
Kritisch gegenüber den Schutzschirmen und Rettungspaketen für Kliniken in der Pandemie äußerte sich Enrico Jensch, COO der Helios-Kliniken. Corona habe zahlreiche Probleme überdeckt. Viele Kliniken seien am Netz geblieben, die eigentlich nicht mehr benötigt würden. „Wir erleben eine Entökonomisierung der DRG, Scheindebatten um Hybrid-DRG und die regionale Gesundheitsversorgung – aber die Kraft der Politik, das zu gestalten, fehlt.“ Jensch forderte ein anderes „Mindset“ im Klinikmanagement. „Wir haben es uns abgeschminkt, Dinge zu tun, nur weil es Fördermittel dafür gibt.“ Er schilderte, wie sein Unternehmen in München die Spezialisierung und Konzentration vorangetrieben habe. „Wir organisieren die Patientenflüsse anders und haben Mindestmengen über die Mindestanforderungen angehoben – auch gegen den Widerstand unserer eigenen Leute.“ Jenschs Prognose: „Wer das kann, soll das machen – es heißt nicht, dass der Kleine verliert. In Zukunft wird nur der gewinnen, der im Verbund steht.“
Positiver zum ersten Gesetzentwurf des BMG äußerte sich Rosemarie Wehner, seit Anfang Juli Geschäftsführerin der Barmer in Nordrhein-Westfalen. „Wir finden es grundsätzlich gut, dass das GKV-Finanzierungsgesetz das Pflegebudget angehen will, weil es zu große Probleme gibt“. Die Budgetabschlüsse könnten nicht abgeschlossen werden, auch die Umbuchungen bzw. die Doppelfinanzierung müssten angegangen werden. „Man brauchen Anreize, die verhindern, dass Pflegekräfte für minderwertige Tätigkeiten eingesetzt werden, für die sie nicht notwendig sind“, so Wehner. Sie kritisierte allerdings die fehlende Transparenz, die in den Verhandlungen sichergestellt sein müssten. Das Thema sei eine „Blackbox“.
Ambulantisierung: mehr tagesklinische Settings, weniger MD-Prüfungen
Zweites Megathema, das die Kliniken derzeit bewegt: die Ambulantisierung. Der Gesundheitspolitiker und Arzt Armin Grau (Bündnis 90/ Die Grünen) bekräftigte, dass Krankenhäuser einen Gutteil ihrer bisherigen Tätigkeiten ambulant oder teilstationär erbringen könnten. „Das muss auch ausreichend finanziert werden.“ Grau sprach sich für das Konzept der Hybrid-DRG aus, das auch im Koalitionsvertrag verankert ist. Auch Lemke hatte sich dafür stark gemacht. Für Kliniken müsse es attraktiv sein, ambulante Strukturen aufzubauen, wofür es keine Länderunterstützung gebe, so Grau. Im Mit- und Gegeneinander mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) nimmt der Bundestagsabgeordnete „Lockerungen“ wahr. Barmer-Vertreterin Wehner plädierte ebenfalls für mehr Ambulantisierung am Krankenhaus sowie ein „leistungsbezogenes Vergütungssystem“.
Der Chief Operating Officer (COO) der Asklepios-Kliniken, Marco Walker, sieht in den Krankenhäusern die „entscheidenden Träger der Ambulantisierung“. Nach einer Überbezahlung zum Start werde es jedoch zu einer Preiserosion kommen, warnte er. „Ohne dramatisch angepasste Prozesse und Strukturen werden wir uns ambulantes Operieren nicht leisten können.“ Er plädierte für tagesklinische Settings und weniger MD-Prüfungen in diesem Kontext.