Budgetabschlüsse sollen beschleunigt werden. Doch wieder einmal wird ein gut gemeintes Vorhaben in der Gesetzgebung in das Gegenteil verkehrt, schreibt Thomas Zauritz.
Gesetze haben leider allzu oft den Bezug zur Realität verloren und führen zu Chaos in der Umsetzung und Frustration bei allen Beteiligten. Auch bei der angestrebten Beschleunigung von Budgetabschlüssen ist zu ahnen, wie sich ein an sich gut gemeintes Regelungsvorhaben, nämlich die wirtschaftliche Lage für Krankenhäuser durch zeitnahe Budgetabschlüsse planbarer zu machen, in der Gesetzgebung in das Gegenteil verkehrt.
Seit wir für das Budget 2022 (erstmals) in die Schiedsstelle gegangen sind, nähren sich meine Zweifel, dass die angestrebte Beschleunigung eintreten kann. Sechs Wochen für Verhandlungen? Sechs Wochen für eine (automatische) Entscheidung in der Schiedsstelle? Es wäre schön, wenn das funktionieren würde. Die Machbarkeit scheint aber sehr zweifelhaft und die daraus resultierenden Verwerfungen könnten größer sein, als vom Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Gesetzes erwartet – zumal es auch heute schon – zumindest theoretisch – verbindliche Fristen gibt.
Dazu die Rahmendaten unseres Schiedsverfahrens:
- Die Aufforderung zur Verhandlung erfolgte im Februar 2022
- Erste Verhandlungen fanden im Juni und Juli statt.
- Die Schiedsstelle wurde im August angerufen
- Dann folgte von September bis Dezember eine Terminabstimmung.
- Der erste Verhandlungstermin wurde für Januar 2023 festgesetzt – und abgesagt.
- Neuer Termin wurde April 2023 mit Folgeterminen im Juni und voraussichtlich September 2023.
Damit ist seit Anrufung der Schiedsstelle bereits ein Jahr vergangen – ohne finalen Schiedsspruch.
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Wir alle leben bekanntlich in einer sehr komplexen Budgetwelt. In unserem Fall ging es um diverse Fragen zur Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie (PPP-RL) zum Beispiel welche Leistungen werden zugrunde gelegt, die Anrechnung der Freihaltepauschale 2020 auf das Budget, Anwendung des Tarifs für alle Mitarbeitenden, eine Schwankungsreserve und vieles mehr. Insofern war eine kurze Sitzung realistisch nicht zu erwarten. Beide Schiedsstellensitzungen dauerten jeweils mehr als zehn Stunden. Davon waren wir als Partei ungefähr jeweils zwei Stunden in die Sitzung eingebunden. Die restliche Zeit war die Schiedsstelle mit internen Beratungen beschäftigt. Dabei gelang es bisher nur wenige der vorliegenden Rechtsfragen zu klären bzw. Festlegungen zu treffen. Die wenigen Punkte, die bereits entschieden wurden, konnten aber immerhin überwiegend zu unseren Gunsten getroffen werden. Viele wichtige Fragen sind aber weiterhin offen.
Wenn man bedenkt, dass eigentlich prospektiv verhandelt und nach dem Scheitern zumindest ein noch ansatzweise prospektives Schiedsergebnis erreicht werden sollte, sind wir davon aufgrund der erlebten Schiedsstellepraxis meilenweit entfernt, trotz aller auch heute schon geltenden Fristen. Warum ist das aber so? Sehr schwierige und kontrovers zu diskutierende Sachthemen trafen auf überdurchschnittlich diskussionsfreudige Kassenvertreter. Ein Wunder ist das alles nicht, liegen die Vorteile der Verzögerung aufgrund der verbundenen Liquiditätsaspekte doch ausschließlich im Interesse der Kassen. Hinzu kamen eine sehr konsensorientierte und damit langwierige Terminfindung, lange Diskussionen zu Themen, die wir als eher klar und selbstverständlich empfunden haben, wie zum Beispiel Leistungen auf Ist-Basis 2022, nachdem das Jahr 2022 zwischenzeitlich beendet war (an sich gängige Rechtsprechung) oder die Frage nach der Nichtanrechenbarkeit der Freihaltepauschale (steht explizit im Gesetz).
Chronisch überlastete Schiedsstellen treffen auf Gesetzgebung
Nun treffen heute schon chronisch überlastete Schiedsstellen auf die neue Gesetzgebung. Damit kommt auch eine Vielzahl neuer Fragen auf. Wie schaffen die Krankenkassen die Einhaltung der Fristen? Durch Einstellung neuer Verhandler, straffer geführte Verhandlungen? Lösen Datennachforderungen der Kassen automatisch Abschläge aus, wenn diese von den Krankenhäusern nicht erfüllt werden können (oder wollen)? Was bedeutet es für das Verfahren, wenn es aufgrund von Verzug durch Schiedsstellen oder Rechtsstreitigkeiten noch kein festgesetztes Budget und damit keinen Aufsatzpunkt für das nächste Jahresbudget gibt Derzeit sind viele Bundesländer noch weit von einer prospektiven Verhandlung entfernt und befinden sich oftmals viele Jahre im Verzug.
Es ist mehr als fraglich, wie Schiedsstellen bei Nichteinigung automatisch innerhalb von sechs Wochen auf Basis von umfangreichen und hoch komplexen Budgetunterlagen Entscheidungen (am grünen Tisch) treffen sollen, die ansatzweise vernünftig sind und nicht automatisch in ein Klageverfahren münden. Die Herausforderungen allein für die Schiedsstellenmitglieder scheinen sowohl inhaltlich wie zeitlich unrealistisch zu sein. Insofern steht zu befürchten, dass die Verfahren nicht schneller zu einem Ende kommen, sondern dass das System durch Rücktritte, vor allem der ehrenamtlichen Vorsitzenden, insgesamt handlungsunfähig wird und so zu einer weiteren Überforderung führt. Wer will oder kann sich das auch freiwillig antun wollen?
Auch die inzwischen allgegenwärtige Bestrafungskultur der Krankenhäuser wurde in diesem Gesetz erneut umgesetzt. Wieso es in Anbetracht der Realität nun aber nur die Krankenhäuser sind, die mit Strafe bei Verzögerungen bedroht werden, darf durchaus kritisch hinterfragt werden. Etwas polemisch könnte man fragen, wo eigentlich der Rechnungsaufschlag bleibt, wenn die Verzögerung auf Seiten der Kostenträger liegt?
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass selbst bei konstruktiv verlaufenden Budgetverhandlungen oft deutlich mehr als sechs Wochen vergehen, bis es überhaupt zu einem ersten Verhandlungstermin kommt. Dabei sind es selten die Krankenhäuser, die terminliche Verzögerungen verursachen, sondern zumeist die Krankenkassen.
Sinnvoller Verhandlungsfluss wird abgewürgt
Den etablierten Ritualen folgend, wäre der nächste logische Schritt für den Gesetzgeber eigentlich, den Medizinischen Dienst (MD) zu beauftragen, die Qualität der vorgelegten Unterlagen zu prüfen – sozusagen ein Qualitätsunterlagenvorlagegesetz (QualUnVG) – hört sich vermutlich nicht nur zufällig so ähnlich an wie Unfug. Wie auch immer, es wird sich sicher ein Weg finden, das System durch weitere Regulierungen und unrealistische Vorgaben so kompliziert auszugestalten, dass ein sinnvoller Verhandlungsfluss von vorneherein abgewürgt wird.
Um zum Schluss noch einmal auf den Anfang zurückzukommen: Gut gemeint ist leider nicht immer gut gemacht. Das dürften Verhandler von Krankenhäusern und Krankenkassen in diesem Fall sogar ähnlich sehen. Auch die Hinweise der Krankenhäuser auf die umfangreichen Probleme haben nicht zu einem sinnvollen Umsteuern in der Gesetzgebung geführt. Augenscheinlich werden die unter hohem Zeitdruck erstellten Stellungnahmen inzwischen eher als Lobbymeinung und nicht mehr als wertvolle Meinung aus der Praxis abgetan. Daher würde ich mir ein QualUnVG für Gesetze und Verordnungen wünschen. Es bleibt letztlich nur die Frage, ob darin dann auch Strafabschläge für den Gesetzgeber festgelegt wären.