Die moderne Medizin machts möglich: Viele Erkrankungen, die früher nur stationär behandelt werden konnten, können künftig ambulant versorgt werden. Und die Patientinnen und Patienten wollen das auch. Das Gesundheitssystem muss deshalb aus deren Perspektive neu gedacht und gestaltet werden. Der Weg von der Institution zum Prozess ist bereits vor Jahren angestoßen worden und ist inzwischen – mühsam zwar – in Gang gekommen. Unbestritten ist mithin, dass die tradierten ambulanten und stationären Angebotsstrukturen erneuert werden müssen. Ein wichtiger Treiber dieser Entwicklung ist auch die sich mehr und mehr durchsetzende Digitalisierung mit den Chancen zur Vernetzung.
Als ich 1979 in die Gesundheitsbranche gewechselt bin, wurde die Debatte um eine enge „Verzahnung“ der ambulanten und stationären Medizin bereits heftig geführt. Viel geschehen ist seither nicht. Aber jetzt besteht die Chance, im Interesse der Patientinnen und Patienten Fahrt aufzunehmen und die notwendigen Schritte mit Erfolg zu gehen. Dafür sind die politisch derzeit diskutierten Vorschläge zu einer umfassenden Strukturreform ausgehend vom Krankenhaus sehr zu begrüßen. Für ein Gelingen des Wandels ist eine große Kraftanstrengung aller Beteiligten notwendig.
Selbstkostendeckungsprinzip für Pflegeleistungen extrem kontraproduktiv
Am Anfang aller Bemühungen muss eine Verständigung des Bundes mit den Ländern zu den Grundsätzen einer solchen umfassenden Neugestaltung des Gesundheitssystems stehen. Denn nur wenn Planung, die die Länder verantworten, und Finanzierung, wo der Bund das Sagen hat, das gleiche Ziel anstreben, wird der Umbau funktionieren. Beide Parteien sind also zum gemeinsamen Handeln gezwungen. Sonst ist das Projekt bereits gescheitert, bevor es überhaupt startet.
Die jetzt vom Bund betriebene Krankenhausreform erfüllt diese Voraussetzungen nicht ansatzweise. Wer die Krankenhäuser zu umfassenden Umstrukturierungen bis hin zur Aufgabe großer Teile ihrer bisherigen stationären Angebote ermutigen will, muss die Finanzierungsregeln so ausgestalten, dass die radikale Umgestaltung für die Akteure Attraktivität erlangt. Wie das mit einer Vorhaltefinanzierung erreicht werden soll, die ja fürs pure Dasein gezahlt wird, erschließt sich in keiner Weise. Auch die kürzliche Wiedereinführung und jetzt geplante Verfestigung des Selbstkostendeckungsprinzips für Pflegeleistungen ist für den dringend erforderlichen Umbau der Gesundheitsangebote extrem kontraproduktiv.
Allen Beteiligten sei in dieser Situation angeraten, innezuhalten und sich der gemeinsamen Verantwortung für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem bewusst zu werden. Nichts ist gefährlicher als verunsicherte Bürgerinnen und Bürger, wenn es um ein so elementar wichtiges Thema wie Gesundheit geht.
DRG-System weiterentwickeln
Das jetzt oft zu hörende Motto „Jede Reform ist besser als keine Reform“, wird sich schnell als hochgefährlich erweisen. Dann nämlich, wenn die negativen Folgen für die Patientinnen und Patienten sichtbar werden. Verzweifelte Menschen auf den Wartelisten werden das leichtfertige Gerede von den massenhaft ökonomisch getriebenen, medizinisch völlig überflüssigen Behandlungsfällen Lügen strafen.
Der Weg aus der aktuellen Sackgasse erfordert eine politische Lösung nach dem Motto:
- Ja zur Strukturreform mit der Konzentration komplexer Medizin auf weniger Standorte und gleichzeitig eine Dezentralisierung der Gesundheitsangebote auf Basis der Ambulantisierung.
- Nein zur geplanten Finanzierungsreform mit Vorhaltekosten und Selbstkostendeckung.
Stattdessen gilt es, eine Weiterentwicklung des DRG-Systems mit neuen Parametern über die Diagnose hinaus, wie Qualität und Patientenwohl, gemeinsam zu planen und voranzutreiben. Eine verantwortungsbewusste Politik gestaltet den Wandel, in dem sie den Gesundheitsanbietern Perspektiven für ihre Zukunft durch aktives Handeln bietet.