Orientierungswert

Kollege KI, bitte übernehmen Sie!

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Kollege KI, bitte übernehmen Sie!
Jochen Werner © privat

Stellen Sie sich vor: Sie verbringen etwa drei Stunden Ihrer täglichen Arbeitszeit damit, etwas zu tun, was keinen ersichtlichen Nutzen stiftet. Für Ärzte und Pflegepersonal im Krankenhaus ist dies leider bittere Normalität. So hat es die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) vorgerechnet und völlig zurecht ihrem Frust und Ärger darüber Luft gemacht. Demnach verbringen sowohl Pflegekräfte als auch Ärzte täglich durchschnittlich drei Stunden mit Dokumentationsarbeiten, die – wenn überhaupt – nur wenig Nutzen für die Behandlung von Patienten bringen. Diese gigantische Verschwendung der knappen Ressource „Zeit“ und damit natürlich auch der Ressource „Mensch“ wäre in der freien Wirtschaft in dieser Form undenkbar.

Im Gesundheitswesen hingegen leisten wir uns aber drei Stunden täglich mehr oder weniger verplemperte und vor allem teure Zeit für Routine-Tätigkeiten, in denen sich Mediziner und Pflegende nicht ihrer originären Aufgabe, der Betreuung und Behandlung von Patienten, widmen können. Mich hat das unweigerlich daran erinnert, dass wir an der Universitätsmedizin Essen beispielsweise allein 25 Mitarbeitende haben, die sich ausschließlich mit der Codierung unserer Behandlungen für die Abrechnung beschäftigen. Auch wenn es sich hier – im Gegensatz zum erwähnten Pflegepersonal und zu den Ärzten – um Mitarbeitende handelt, die eigens für diesen administrativen Aufwand angestellt sind und ich die Sinnhaftigkeit dieser Arbeit keineswegs infrage stelle, ist dies doch ein Beispiel mehr für die überbordende Bürokratie in unseren Krankenhäusern. 

Ein solchen Zustand können wir uns angesichts des Fachkräfte- und Personalmangels längst nicht mehr leisten. Die DKG belegt weiter: Rein rechnerisch würde nur eine Stunde weniger Zeit für bürokratischen Aufwand rund 21.600 Vollzeitkräfte im ärztlichen und 47.000 im pflegerischen Bereich freisetzen. Insofern ist das angekündigte Entbürokratisierungsgesetz von Bundesgesundheitsminister Lauterbach mehr als zu begrüßen. Nur wäre es – wie so oft – noch schöner, wenn der Ankündigung auch konkrete Taten folgen würden – anders als vorherige Erfahrungen zeigen. 

Einmal mehr frage ich mich, warum das Potenzial von Künstlicher Intelligenz (KI) nicht in den Fokus gestellt wird, sondern immer wieder die leidige Diskussion um die angebliche Entmenschlichung der Medizin. Das Gegenteil ist doch der Fall: KI kann den Menschen dort ersetzen, wo er ersetzbar ist, und ihn dort stärken sowie unterstützen, wo er unersetzbar ist – im direkten Kontakt zum Patienten. KI kann bei der Entlastung von administrativen Tätigkeiten sowohl in Krankenhäuern und Arztpraxen als auch in der großen Skalierung innerhalb des Gesundheitssystems ein wahrer Gamechanger sein und maßgeblich dabei helfen, Strukturprobleme zu lösen. 

Natürlich sind auch die positiven Effekte des Einsatzes von KI im Tagesgeschäft der Medizin gewaltig: bei Diagnostik, Therapie und ganz besonders der Prävention. Aber ich bin davon überzeugt: In Summe wird KI einen deutlich stärker spürbaren positiven Effekt auf die Prozesse und die Struktur der Gesundheitsversorgung haben als auf die klassische Medizin. Mehr noch: Ohne die Optimierung festgefahrener klinischer Prozesse durch Digitalisierung und KI laufen wir unter Umständen sogar Gefahr, dass die ebenfalls mithilfe von KI generierten medizinischen und pflegerischen Verbesserungen gar nicht in vollem Umfang beim Patienten ankommen können, weil schlichtweg weiterhin das Personal und die Zeit dafür fehlen. Und dies wäre nun wirklich abstrus. 

Damit ist KI – neben der simultan unverzichtbaren Entbürokratisierung – ein zusätzlicher Hebel, angesichts des demografischen Wandels und Personalnotstandes, um für die zwingend erforderliche Effizienzsteigerung im Klinikalltag zu sorgen. Nur so wird am Ende das Krankenhaus der Zukunft auch ein Human Hospital sein können mit klarem Fokus auf die Menschen – auf Patienten und Mitarbeiter gleichermaßen. Human Hospital bedeutet: maximale Leistungsfähigkeit der Krankenversorgung, spürbare Entlastung der Beschäftigten, eine enge, digitalgestützte Verknüpfung mit anderen Akteuren im Gesundheitssystem, mehr Wirtschaftlichkeit, mehr Wertschätzung sowie ausgeprägter Klima- und Ressourcenschutz. Ohne naiv auch mögliche Gefahren zu übersehen: Wir sollten für die großartigen Chancen durch KI offen und dankbar sein. 

Autor

Prof. Dr. Jochen A. Werner

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